Damp.

Fast auf die Sekunde pünktlich spaziert Anna Loerper am frühen Nachmittag zum verabredeten Gesprächstermin mit dem Abendblatt in die Hotelhalle des Ostsee Resorts in Damp. Die Kapitänin der deutschen Handballnationalmannschaft hat bereits eine Einheit im Kraftraum hinter sich, am Abend erwartet sie noch ein gemeinsames Training mit der Mannschaft. Auch wenn die 32 Jahre alte Spielmacherin vom TuS Metzingen wenig Zeit zum Durchschnaufen hat, lehnt sie sich entspannt auf einem Sofa abseits der Lobby zurück und spielt an den Bändern ihres Kapuzenpullovers.

20 Spielerinnen hat Bundestrainer Michael Biegler für den ersten Lehrgang des Jahres nominiert. An diesem Sonntag findet die Trainingswoche ihren Abschluss, wenn die Nationalteams der Frauen (14.30 Uhr/sportdeutschland.tv) und Männer (17.30 Uhr/ Sky Sport News HD) beim Tag des Handballs in der Barc­laycard Arena im Hamburger Volkspark gegen Schweden antreten. Bereits am heutigen Sonnabend treffen die Mannschaften in Göteborg aufeinander.

„Es ist die perfekte Visualisierung unseres Ziels“, sagt Loerper. Denn: Im Dezember findet die Endrunde der Heim-Weltmeisterschaft (1. bis 17. Dezember) ebenfalls in der Barclaycard Arena statt. „Wir werden am Sonntag spüren, wie es neun Monate später bei der WM sein könnte. Das löst einiges in den Köpfen der Spielerinnen aus“, meint Loerper.

Bis dahin habe man aber noch einen langen Weg vor sich. In den vergangenen Jahren litten die DHB-Frauen an chronischer Erfolglosigkeit. Bei der WM 2015 reichte es gerade einmal zum 13. Platz, für die Olympischen Spiele 2012 und 2016 qualifizierte man sich gar nicht erst. Ein klarer Aufwärtstrend ist erst erkennbar, seitdem Biegler die „Ladys“ im April vergangenen Jahres übernommen hat. Bereits bei der Europameisterschaft im Dezember in Schweden verpassten die Frauen nur knapp das Halbfinale und wurden am Ende Sechster. Ein Achtungserfolg.

„Wir haben uns aus dem tiefsten Leistungsstand zurückgekämpft. Man hat gesehen, dass sich in Deutschland etwas entwickelt“, sagt Loerper, die 2015 und 2016 zur Handballerin des Jahres gekürt wurde. „Wir haben bei der EM Leidenschaft und mannschaftliche Geschlossenheit verkörpert. Deutschland hat tolle Spielerinnen, die viele Qualitäten mitbringen, sie aber noch nicht bewusst einsetzen konnten. Das hat sich unter Michael Biegler geändert“, erklärt die Kapitänin.

Um das Ziel, die Finalrunde bei der Heim-WM, realisieren zu können, benötige man Zeit. „Wir brauchen dieses Jahr definitiv noch als Vorbereitung, um eine Topleistung abrufen zu können“, sagt die in Kempen geborene Loerper. Das Team müsse an seiner Konstanz und Konsequenz arbeiten. „Wir haben einen ersten Schritt gemacht. Wir wissen, wo wir hinwollen.“ Loerper wirkt schon jetzt so fokussiert, als könne sie jederzeit auf den Platz marschieren und ihre Mannschaft zum Sieg anpeitschen.

Biegler entschied sich bewusst für eine Rückraum-Kapitänin

Dabei hat sie erst seit Oktober vergangenen Jahres das Amt der Kapitänin inne. Biegler entschied sich bewusst für eine Rückraumspielerin anstatt wie zuvor für Torfrau Clara Woltering. „In unserer Analyse haben Sportdirektor Wolfgang Sommerfeld und ich erkannt, dass wir mehr Stabilität und Struktur in unserem Angriffsspiel benötigen. Mit Anna Loerper haben wir jetzt eine das Spiel steuernde Kapitänin. Das ist keine Entscheidung gegen Clara Woltering, sondern für unser Spiel und damit das Projekt WM 2017”, begründete der Bundestrainer seine Entscheidung. Fast ein halbes Jahr liegt die Ernennung zur Anführerin nun zurück. Loerper debütierte 2005 in der Nationalmannschaft und ist mit 228 Länderspielen und 389 Toren die erfahrenste Spielerin im Team.

Hat sich für sie durch das Amt überhaupt etwas verändert? „Natürlich ist es ein anderes Gefühl. Ich habe mehr Verantwortung – auch abseits des Feldes“, erzählt Loerper. Und weiter: „Der Trainer brauchte eine rechte Hand auf dem Spielfeld. Er hat mir die Gewöhnung an die neue Rolle sehr einfach gemacht.“ Die Ablösung von Woltering sei kein Problem innerhalb der Mannschaft gewesen. „Die Mädels haben es akzeptiert und unterstützen mich“, sagt Loerper. Nicht nur sie habe von der Veränderung auf dem Trainerposten profitiert. „Biegler ist kompetent, direkt und rhetorisch stark. Es sind viele Komponenten, die uns beeindrucken. Jede Spielerin brennt darauf, mit ihm zusammenzuarbeiten“, meint Loerper über den Ex-HSV-Coach.

Zum bisher größten Erfolg der Rechtshänderin zählt der dritte Platz bei der WM 2007. Genau zehn Jahre später möchte Loerper dieses Ergebnis bei der Heim-WM am besten toppen. Was danach kommt, weiß sie nicht. Über ein Karriereende hat sie sich keine Gedanken gemacht. „Ich habe noch unheimlich Bock darauf, in der Nationalmannschaft zu spielen“, sagt sie.