HAmburg. Im FC St. Pauli treiben 9000 Menschen in 19 Abteilungen Sport. Die Organisation soll professionalisiert werden

Sabine Schubert ist stolz auf das Trikot, das sie trägt. Braun und Weiß, Hamburgwappen. FC St. Pauli, klar. Ja, sie und ihre Mitspielerinnen sind erfolgreich in ihrem Sport, aber da ist halt immer noch ein wenig mehr: „Wir stehen auch für die Werte ein, für die der ganze Verein einsteht“, sagt die Nationalspielerin, „gegen Rechts, gegen Homophobie, für Integration und Freiheit.“ Sabine Schubert spielt Rugby. Beim FC St. Pauli.

Rugby ist mit über 600 Mitgliedern die größte Sportabteilung im FC St. Pauli nach dem Fußball und die zweitälteste. 1933 bereits gegründet. Acht deutsche Meistertitel haben sie errungen, unzählige Nationalspieler/-innen hervorgebracht. Müssen die Kiez-Kicker erst einmal nachmachen. Da gibt es aber auch noch die Handballer, seit 1934 aktiv im Verein und in den letzten Jahren extrem auf Wachstumskurs, 1935 stießen die Tischtennisspieler dazu. Seit acht Wochen haben sich die Futsal-Spieler als Abteilung organisiert – das ist das jüngste Kind. Der Jolly Roger, er verbindet.

„In allen Abteilungen werden Inklusion und Integration gelebt, zudem werden die Werte unseres Vereins gerade mit Blick auf gesellschaftliches und politisches Engagement in toller Art und Weise gelebt, wie man unter anderem bei der Flüchtlingshilfe sieht“, sagt Präsident Oke Göttlich mit Stolz.

In insgesamt 19 Abteilungen treiben Menschen Sport mit dem St.-Pauli-Logo auf ihrem Trikot. Rechnet man die 15.000 fördernden Fußballfans raus, bleiben rund 9000 (einschließlich passiver) Mitglieder der „Sporttreibenden Abteilungen“ – so heißt es offiziell. Das sind mehr Aktive als beim HSV. Vom Boxen bis zum Triathlon, vom Handball über Rugby, Darts, Schach bis zum Goal­ball und Blindenfußball reicht das Angebot. „Die Vielfalt, für die der FC St. Pauli steht, spiegelt sich natürlich auch in unseren Abteilungen wider“, sagt Oke Göttlich: „Hier leisten unzählige Menschen wertvolle ehrenamtliche Arbeit.“

Der Club vom Millerntor ist eben weit mehr als „nur“ ein Fußballverein. Das jährliche Beitragsaufkommen bei den aktiven Sportlern beträgt rund 900.000 Euro. St. Pauli ist Mitglied in der Organisation der Top-Sportvereine. Das weiß nur kaum einer und omnipräsente Lautsprecher bei der Vertretung ihrer Interessen sind die St. Paulianer auch nicht. „Wir haben keinen hauptamtlichen Verantwortlichen, anders als die anderen Großclubs“, sagt Jörn Sturm. Der Hobby-Fußballer ist seit September 2016 Vorsitzender des Amateur-Vorstands, der sich um die Sportler abseits der Profifußballer kümmert. Ehrenamtlich mit seinen fünf Mitstreitern. Einmal im Monat treffen sie sich, das mutet unzeitgemäß an. „Ein übergeordnetes Gerüst für die Amateure existiert aktuell noch nicht“, erklärt Sturm.

So wirtschaften die Abteilungen weitestgehend für sich. Das ist manchmal nicht ganz einfach. Wie bei der erfolgreichen Blindenfußballabteilung beispielsweise. Seit 2009 ist der Journalist Wolf Schmidt dort als Übungsleiter tätig. Er trainiert die Bundesligatruppe, die Jugendlichen, die Neulinge – alles freiberuflich gegen Honorar, für eine Festanstellung ist kein Geld da. So ähnlich ist es in den anderen Abteilungen auch. Sie alle eint die Identifikation mit dem FC St. Pauli, aber sie treiben ihren Sport organisatorisch getrennt.

Das bringt zahlreiche Probleme. Zum Beispiel, wenn es darum geht, Fördergelder beim Hamburger Sportbund zu beantragen. Es ist niemand da, der die Bedürfnisse des Clubs bündelt und an den HSB heranträgt. „Unsere Ehrenamtlichen arbeiten vor allem abends und am Wochenende für den Verein, die Hauptamtlichen in Behörden und Verbänden tagsüber. Das ist ein Problem“, hat St. Paulis Aufsichtsratsvorsitzende Sandra Schwedler festgestellt. So geht dem Verein viel Geld durch die Lappen.

Knapp 7456 Euro Zuschuss für den Vereinsübungsbetrieb hat St. Pauli 2015 vom HSB kassiert. Zum Vergleich: Der Club an der Alster nahm 12.700 Euro dafür entgegen, der Niendorfer TSV erhielt 37.400 Euro. Rechnet man noch Unterstützung für Jugendarbeit, Inte­gration und Finanzhilfen oder Darlehen für Clubs mit eigenen Sportanlagen hinzu, wird die Diskrepanz noch krasser: Der professionell geführte Eimsbütteler TV konnte sich über insgesamt 493.061 Euro freuen, der FC St. Pauli nahm zusammen 37.901 Euro Fördergeld entgegen. „HSB-Mittel greifen wir nahezu gar nicht an“, sagt Sturm, „das ist aberwitzig. Es gibt Potenziale, die wir heben müssen.“

Auch bei der Zuweisung von Sportflächen durch die Bezirke hat St. Pauli Probleme, Wachstum ist derzeit praktisch unmöglich. Für den Amateur-Fußball gibt es nur die beiden Plätze hinter der Nordtribühne, die sich der Club zudem mit Hansa 10/11 teilen muss. Eigene Sporthallen existieren nicht, das heißt: Schulsporthallen beantragen. „Wir nutzen zum Beispiel auch Hallen in Wilhelmsburg und Alsterdorf“, sagt Handballerin Schwedler, „schwierig ist es vor allem auf St. Pauli und Umgebung. Es gibt nicht so viele Hallen.“ „Dabei“, sagt Sturm, „haben die Leute Lust, bei uns Sport zu treiben.“ Zurzeit gibt es die konkrete Nachfrage für eine Basketballabteilung – aber wo sollen die spielen?

Eine Reform der bisherigen Struktur ist also unausweichlich und konkret angedacht. Ein Hauptamt muss und soll kommen, das sich um die Sporttreibenden Abteilungen kümmert. „Die Frage ist, was brauchen wir? Eine hauptamtliche Stelle als Teil des Amateur-Vorstands? Oder jemanden, der dem Amateurvorstand zuarbeitet?“, erläutert Schwedler die Denkmodelle: „Darüber gibt es im Moment Diskussionen und eine Arbeitsgruppe. Wir begleiten diesen Prozess als Aufsichtsrat.“

Ja, einen Teil ihrer Autonomie müssten die verschiedenen Sparten dann abgeben. Die Vorteile der strukturellen Professionalisierung sind aber offensichtlich. „Ich sehe uns in der Pflicht, diese Aufgaben stärker in Angriff zu nehmen“, sagt Jörn Sturm, „wir müssen ein größerer Player werden.“