Hamburg. Mit Wolfsburg und Schalke hat der HSV elitäre Konkurrenz im Kampf um den Klassenerhalt. Sogar Leverkusen verliert die Nerven und schaut ängstlich nach unten

Berti Vogts, dieser schlaue Fuchs, wusste es schon immer. In einer Zeit, als noch niemand von Vertikalspiel, Konterpressing oder abkippenden Sechsern philosophierte, hatte die 1,69 Meter kleine Fußballgröße bereits eine ultimative und für alle Zeiten unumstößliche Floskel im Angebot, die bis heute keinen Deut an Aktualität eingebüßt hat: „Es gibt keine Kleinen mehr“, hatte Bundes-Berti gesagt. Das wusste Vogts auch schon, als er noch Trainer der deutschen Nationalmannschaft war und nicht Fußballwinzling Aserbaidschan betreute. Und selbstverständlich gilt diese Weisheit nicht nur für Nationalteams, sondern auch für die vermeintlichen Bundesligaschwergewichte wie Freiburg oder Mainz.

Gefühlte drei Zeitalter später hat sich an der vogtsschen Fußballwelt kaum etwas geändert. Es gibt keine Kleinen mehr. Das ist und bleibt Fußballgesetz. Spätestens seit diesem Wochenende könnte man aber durchaus noch eine Ergänzung dieser allgemeingültigen Regel hinzufügen: Es gibt auch keine Großen mehr. Zumindest fast keine, denn die Bayern zählen ja nicht.

Nun mag es zwar wenig überraschend sein, dass der HSV seinen Lieblingstabellenplatz, Relegationsrang 16, seit einiger Zeit okkupiert. Durchaus überraschend ist aber, dass sich im direkten HSV-Umfeld plötzlich mutmaßliche Schwergewichte wie der VfL Wolfsburg, Schalke 04 und mit ein bisschen Pech und Fantasie sogar Bayer Leverkusen bewegen. „Es sind jetzt einige Mannschaften in einer sehr schwierigen Situation. Da muss manch einer mit Abstiegskampf rechnen, der vor der Saison damit vielleicht noch gar nicht gerechnet hat“, sagte Jens Todt am Tag nach dem 1:0-Sieg vom derzeitigen Tabellen-Winzling HSV gegen die mutmaßliche Tabellenübermacht Hertha. Und der Sportdirektor des HSV konnte seine Freude über die ungewöhnliche und neue Tabellensituation nur schwer unterdrücken: „Für die Liga ist das gut.“ Aus Hamburger Sicht bleibt eine Frage: Ist das auch für den HSV gut?

An vogtshaften Antworten mangelte es im Anschluss an den wichtigen Sieg gegen Hertha nicht. „Kein Verein ist mehr klein“, referierte Lewis Holtby im besten Berti-Duktus und setzte noch eine Phrasenschweinfloskel obendrauf: „Jeder kann jeden schlagen.“ Und dann hieß es noch in dreifach abgewandelter Form: „Wir müssen (René Adler), dürfen (Bobby Wood) und sollten (Markus Gisdol) nur auf uns gucken.“

Viel spannender ist aber derzeit tatsächlich der Blick auf die anderen. So rangiert der VfL Wolfsburg, der einen Lizenzspieleretat von angeblichen 90 Millionen Euro zur Verfügung haben soll, punktgleich vor dem HSV auf Rang 15. Schalke (80 Millionen Euro) hat auf Rang 13 gerade einmal ein Vier-Punkte-Polster, und selbst Bayer Leverkusen, das ein Staatsgeheimnis aus dem eigenen Lizenzspieleretat macht, hat auf Rang zehn gerade einmal sieben Punkte Vorsprung.

„Jedes Jahr laufen die sogenannten Traditionsclubs ihren eigenen Erwartungen hinterher“, sagt Todt, der die drei Wörtchen „so wie wir“ noch schnell hinzufügt. Nun darf man natürlich trefflich darüber streiten, ob die Werksclubs aus Leverkusen und Wolfsburg bereits das beliebte Anhängsel „Traditionsverein“ verdient haben. Unstrittig ist dagegen, dass beide Clubs eine genauso bescheidene Saison wie der erwiesene Traditionsclub Schalke 04 spielen.

Auch auf Schalke spricht man erstmals über Abstiegskampf

Besonders laut schrillten am Wochenende in Gelsenkirchen die Alarmglocken. „Ob das jetzt Abstiegskampf bedeutet, weiß ich nicht. Die Entwicklung in den vergangenen Wochen ist jedenfalls nicht gut, wir haben uns das alles leichter vorgestellt“, sagte Manager Christian Heidel, der sich zu allem Überfluss einer öffentliche Debatte stellen muss, ob und welcher Spieler gegen den Wunsch des Trainers verpflichtet wurde.

Einen Schritt weiter ist man bereits in Wolfsburg, wo in der vergangenen Woche der Trainer getauscht, und Leverkusen, wo am Montag ein neuer Übungsleiter vorgestellt wurde. Andries Jonker (VfL) und Tayfun Korkut (Bayer/siehe unten) heißen die neuen Hoffnungsträger. Doch im Windschatten der kriselnden ganz Großen hoffen die nördlichen Scheinriesen Werder Bremen und HSV auf weitere Patzer der Konkurrenz und das Stolpern im unbekannten Terrain.

„Wir haben Erfahrung im Keller. Wolfsburg, Leverkusen und Schalke haben diese Erfahrung eher nicht“, gibt Torhüter Adler zu Bedenken. Der Schlussmann, der übrigens just in dem Moment als Jugendspieler nach Leverkusen wechselte, als Fußball-Grande Vogts das Sagen bei Bayer hatte, frohlockt: „Die Liga ist extrem zusammengerückt. Das wird für alle Teams bis zum letzten Spieltag hochinteressant.“

Dieser letzte Spieltag, so sieht es das Drehbuch der laufenden Saison vor, hat es in sich. Die kriselnden Schalker müssen zum Vorletzten Ingolstadt – der HSV (16.) empfängt Tabellennachbar Wolfsburg (15.). „Der VfL hat Qualität im Kader, die richtig hoch ist“, lobhudelt Todt, der aber gerade noch rechtzeitig in den Berti-Modus zurückschaltet: „Wir müssen uns auf unsere eigenen Stärken konzentrieren.“

Wie die aussehen, konnte man beim umkämpften Sieg gegen Berlin am Wochenende studieren: kämpfen, kratzen, beißen, grätschen – und zu Hause so oft punkten wie möglich. „Wir kennen die Situation Abstiegskampf seit Monaten, der Verein kennt die Situation seit Jahren“, sagt Todt. Ein echter Vogts noch zum Schluss: „Diese Siegermentalität wollen wir auch mental rüberbringen.“