Hamburg. Ein halbes Jahr vor der Box-WM spricht Verbandschef Jürgen Kyas über den Stand der Vorbereitung und die Korruption im Weltverband

In seinem Berufsleben als Polizeibeamter hat Jürgen Kyas gelernt, Dingen auf den Grund zu gehen. Kein Wunder also, dass Gründlichkeit und Integrität die Zutaten sind, mit denen der 71 Jahre alte Osnabrücker seit 2009 den Deutschen Boxsport-Verband (DBV) führt und seit 2010 sein Amt im Exekutivkomitee des olympischen Weltverbands Aiba ausübt. In genau sechs Monaten steht für Kyas und den DBV die größte Bewährungsprobe an, dann beginnen die Weltmeisterschaften in der Sporthalle Hamburg.

Herr Kyas, außerhalb Hamburgs beklagen viele Boxfreunde, dass nichts über die WM in Deutschland zu hören sei. Stellen Sie sich vor, es ist WM, und niemand geht hin.

Jürgen Kyas: Die Kritiker haben nicht ganz unrecht, dennoch teile ich die Befürchtung nicht. Hamburg ist eine box-affine Stadt, das sieht man nicht zuletzt am Zuspruch, den das neue Bundesligateam Hamburg Giants erfährt. Deshalb habe ich keine Sorge, dass uns die Hamburger Fans hängen lassen. Klar ist aber, dass wir auch den Rest der Republik erreichen wollen. Da waren wir bislang zurückhaltend, weil einige Dinge noch ungeklärt waren. Jetzt sind die Planungen abgeschlossen und wir werden die Öffentlichkeitsarbeit verstärken.

Welche Dinge waren ungeklärt? Der Termin wurde ja schon zweimal verschoben, auch der Ort von der Messe in die Sporthalle Hamburg verlegt.

Ort und Termin stehen fest, wir starten in der Sporthalle am 26. August mit der Vorrunde, der 2. September ist als Finaltag festgelegt. Es sieht so aus, dass das ZDF Finals mit deutscher Beteiligung ebenso live überträgt wie den Auftaktkampf von Artem Harutyunyan, was uns natürlich sehr freut.

Artem Harutyunyan soll als Lokalheld das Gesicht der WM werden. Als einziger deutscher Boxer ist er für seine Gewichtsklasse bis 64 Kilogramm gesetzt. Fühlen sich da nicht andere Sportler brüskiert?

Nein, da gibt es keinerlei böses Blut. Artem ist als Bronzemedaillengewinner von Rio 2016 derjenige, der unserem Verband die Förderung für den Zyklus bis Tokio 2020 gerettet hat. Wir wären doch verrückt, wenn wir ihn nicht einbinden würden. Auch wenn ich nicht daran zweifle, dass er sich sportlich qualifizieren würde, ist es für alle Seiten besser planbar, ihm einen Platz zu sichern.

Nach dem Rio-Zyklus sind mit Araik Marutjan, Albon Pervizaj, Emir Ahmatovic, Leon Bunn und Denis Radovan sehr aussichtsreiche Amateure zum Sauerland-Profistall gewechselt. Droht die WM für den DBV zum sportlichen Fiasko zu werden?

Nein, denn die junge Garde klopft längst an die Tür. Ich bin überzeugt, dass einige der von Ihnen genannten Sportler es schwer gehabt hätten, sich gegen die nachrückende Konkurrenz für die WM zu qualifizieren.

Tatsächlich gehen Sie mit dem Abgang von Toptalenten zu den Profis wesentlich entspannter um als noch vor einigen Jahren. Sogar das Verbot für Trainer, gleichzeitig Amateure und Profis zu trainieren, soll aufgehoben werden.

Das ist richtig, wir werden an diesem Wochenende auf unserem DBV-Kongress in Frankfurt am Main darüber beschließen, die vom Weltverband vorgegebenen neuen Wettkampfbestimmungen zu übernehmen. Ein wichtiger Punkt darin ist die Aufhebung besagten Verbots. Ich halte das für den richtigen Weg, denn beide Seiten haben verstanden, dass sie einander brauchen, um den Boxsport nach vorne zu bringen.

In Rio durften erstmals Profis bei Olympia starten. Weil die Qualifikationskriterien sehr schwammig waren, nahmen nur drei teil, in Tokio sollen es deutlich mehr werden. Wann wird es in Deutschland die ersten organisierten Vergleichskämpfe zwischen Profis und Amateuren geben?

Die Aiba plant, über die nationalen Verbände Ranglisten aufzustellen, um darüber internationale Vergleichskämpfe zu ermöglichen, in denen dann auch die Olympiastarter ermittelt werden. Ich denke, dass wir dieses Jahr noch benötigen, um die Strukturen aufzubauen. 2018 wird es die ersten Duelle zwischen Amateuren und Profis geben.

Der Hamburger Amateurbox-Verband (HABV) wäre auch gern Bundesstützpunkt, steht aber noch im Schatten von Schwerin. Sehen Sie mit dem Rückenwind der WM Chancen, dass sich das ändert?

Diese Bestrebungen kommen nicht von ungefähr, denn in Hamburg hat sich in den vergangenen Jahren sportlich eine Menge entwickelt. Dem haben wir mit unserer Wahl des Austragungsortes Rechnung getragen. Hamburg ist schon jetzt ein Box-Schwerpunkt. Was in Zukunft daraus wird, bleibt abzuwarten.

Die WM in Hamburg sollte die Vergabe der Sommerspiele 2024 positiv beeinflussen, die im September in Lima ansteht. Gab es nach dem negativen Referendum mal Bestrebungen, die Titelkämpfe zurückzugeben?

Am Tag nach der Entscheidung kam diese Frage kurz auf. Aber alle maßgeblichen Partner in Hamburg haben die Diskussion im Keim erstickt und gesagt, dass wir es jetzt erst recht durchziehen würden. Die WM stand nie zur Disposition, und wir könnten uns keinen besseren Partner wünschen. Natürlich wäre Olympia nicht zu toppen gewesen, aber die sportliche Bedeutung einer WM ist kaum zu schlagen, und wir werden eine großartige WM organisieren.

Das wäre auch im Sinne der Aiba, die angesichts der Korruptionsvorwürfe und der Fehlurteile in Rio dringend eine skandalfreie WM braucht. Ist Deutschland für die Aiba eine Art Feigenblatt?

Da liegen Sie nicht falsch. Die Aiba hat an die WM in Deutschland eine riesengroße Erwartungshaltung, was Verlässlichkeit, Fairness und korrekte Durchführung angeht.

Mit Verlaub, aber wie will der Weltverband seinen katastrophalen Ruf verbessern, wenn er im Präsidium immer noch einen Mann wie den Usbeken Gafur Rachimow duldet, dem Beteiligung an schweren Verbrechen nachgewiesen wurde?

Rachimow ist zwar noch ehrenamtlich tätig, sein Einfluss in der Aiba ist aber kaum noch wahrnehmbar. Die Aiba hat in den vergangenen Jahren die alte Garde sukzessive ausgetauscht. Vor allem im Hauptamt sind alle Funktionsträger, die im Ruch der Korruption standen, fristlos gekündigt worden, und die Prozesse vorm Schweizer Arbeitsgericht hat die Aiba allesamt gewonnen.

Dennoch gab es in Rio wieder reihenweise Klagen über falsche Urteile. Schon während der Spiele mussten Kampfrichter ausgetauscht werden, eine umfangreiche Untersuchung wurde angekündigt. Was ist daraus geworden, das Hoffnung macht?

Ab sofort gehen die Wertungen aller fünf Kampfrichter ins Urteil ein und nicht nur drei zufällig vom Computer ausgewählte. Das wird die Transparenz erhöhen. Außerdem wurden alle 36 Kampfrichter von Rio suspendiert.

Das heißt, in Rio war die Aiba korrupt?

Nein. Ich sage ganz deutlich, dass von denen 98 Prozent ihre Arbeit korrekt gemacht haben. Leider gibt es, wie in vielen anderen Sportarten auch, immer ein, zwei faule Äpfel. Die Aiba wollte mit der kompletten Suspendierung aber das Zeichen setzen, einen ehrlichen Neuanfang starten zu wollen. Und seitdem gab es keine Klagen mehr. Bei einem Jugendturnier in Russland gab es einen Verdacht gegen einen Funktionär, der Einfluss auf ein Urteil zu nehmen versuchte. Der wurde sofort ausgeschlossen. Es gibt keinen Raum mehr für Betrug. Die WM in Hamburg wird das untermauern.