Hamburg. Deutschlands größter Profiboxstall verlegt seine Firmenzentrale und ändert seine sportliche Ausrichtung

An diesem Dienstag wird der Möbelwagen in der Hanns-Braun-Straße in Berlin vorfahren. Und wenn er am Donnerstag seine letzte Fracht in der Palmaille 55 in Hamburg entlädt, dann wird ein Umzug vollzogen sein, der in der deutschen Berufsboxbranche seit Wochen ein großes Thema ist. Der 1980 gegründete Promoter Sauerland Event verlegt seine Firmenzentrale aus der Haupt- in die Hansestadt – und bringt Hamburg mit dieser Entscheidung wieder massiv auf die Landkarte des Faustkampfes zurück. Der frühere Platzhirsch Universum hatte im Herbst 2012, gut ein Jahr nach dem Ausstieg von Stallgründer Klaus-Peter Kohl, Insolvenz anmelden müssen.

Der Hauptgrund für die Entscheidung ist strategischer Natur. Firmengründer Wilfried Sauerland, der Ende des Monats seinen 77. Geburtstag feiert, hat die Geschäfte zu großen Teilen seinem Sohn Kalle (39) übertragen. Dieser lebt seit 2009 in Hamburg. Auch der seit September 2011 amtierende Geschäftsführer Frederick Ness (48) und Mediendirektor Jan Kucht (43) sind Hamburger. „Wir glauben, dass es unsere Arbeit vereinfacht, wenn der strategische Bereich künftig aus Hamburg gesteuert wird“, sagt Ness.

Der ehemalige Hockey-Nationalspieler legt Wert auf die Feststellung, dass die Berliner Dependance nicht geschlossen wird. „Unser Gym unter Cheftrainer Ulli Wegner bleibt bestehen, Berlin bleibt sportlich unser Hauptsitz“, sagt er. Urgestein Wegner aus Berlin abzuziehen wäre tatsächlich undenkbar. Der 74-Jährige zeigte sich von den Plänen entsprechend „gar nicht begeistert, weil der tägliche Kontakt zu den Chefs wichtig ist. Aber ich akzeptiere die Entscheidung“, sagt er.

Sechs der acht bislang an der Spree beheimateten Mitarbeiter arbeiten künftig von Hamburg aus. Die an das Gym angrenzenden Büroräume an der Hanns-Braun-Straße sind vom 1. März an untervermietet. Der zweite Geschäftsführer Chris Meyer, ebenfalls Hamburger, wird als Ansprechpartner für die Trainingsgruppe Wegner pendeln, PR-Referent Thomas Schlabe bleibt als Kontaktperson fest in Berlin.

Die mit dem Umzug einhergehende, sportlich wichtige Veränderung ist jedoch die Umstrukturierung des Leistungsbereichs. Herrschte viele Jahre die Überzeugung vor, die Sportler an einem Ort zusammenzuziehen, um sie besser steuern zu können, setzt Sauerland in Zukunft auf mehrere über Deutschland verteilte Standorte. Die aktuell 19 unter Vertrag stehenden Boxer sollen dort trainieren dürfen, wo sie sich am wohlsten fühlen. „Unser Bestreben ist, den Sportlern die bestmöglichen Bedingungen zu schaffen“, sagt Ness, „natürlich werden wir aber kontrollieren, ob die Leistung darunter nicht leidet, sondern besser wird.“

Positiver Nebeneffekt dieser Neuordnung ist eine Verschlankung der Kostenstruktur, denn an den Außenstandorten sind die Sportler selbst dafür zuständig, sich ihr Gym zu finanzieren. Auch die Bezahlung der Trainer wird, wie es in anderen Ländern seit Jahren üblich ist, teilweise an die Athleten weitergegeben. „Wir müssen unsere wirtschaftliche Struktur anpassen, weil wir nicht mehr die Fernseheinnahmen wie vor fünf Jahren haben. Deshalb haben wir alles auf den Prüfstand gestellt und die jetzige Lösung gefunden“, sagt Ness. Seit dem Ende der TV-Partnerschaft mit der ARD im Herbst 2014 arbeitet Sauerland mit Sat.1 zusammen. Der Vertrag läuft noch bis Ende 2019, ist aber deutlich geringer dotiert als mit den kolportierten zwölf bis 15 Millionen Euro jährlich, die die ARD gezahlt haben soll.

Fest als Trainer angestellt sind bei Sauerland nur noch Wegner und dessen Assistent Georg Bramowski (57). Alle weiteren Trainer werden auf Honorarbasis oder über Erfolgsbeteiligungen finanziert. Geplant sind aktuell fünf Standorte. In Berlin trainieren Wegner und Bramowski Arthur Abraham (37/Supermittel), Jack Culcay (31/WBA-Weltmeister Superwelter), Burak Sahin (25), Albon Pervizaj (21), Michael Wallisch (31/alle Schwer), Emir Ahmatovic (19/Cruiser) und Leon Bunn (24/Halbschwer). Cruisergewichtler Artur Mann (26) arbeitet mit Hartmut Schröder, Stefan Härtel (29/Supermittel) und Enrico Kölling (26/Halbschwer) suchen derzeit noch einen Coach.

In Schwerin baut Jürgen Brähmer, der seine Karriere im Halbschwergewicht am 8. April in seiner Heimatstadt mit dem Rückkampf gegen WBA-Champion Nathan Cleverly (Wales) fortsetzen will, an seiner Karriere als Trainer. Der 38-Jährige betreut WBA-Champion Tyron Zeuge (24), Denis Radovan (24/beide Supermittel) und Araik Marutjan (24/Mittel).

In Karlsruhe sollen die Toptalente Vincent Feigenbutz (21), Leon Bauer (18/beide Supermittel) und Alexander Peil (27/Cruiser) trainieren. Mittelgewichtler Patrick Wojcicki (25) soll in seiner Heimat Wolfsburg bleiben. Und in Hamburg arbeitet Cruisergewichtshoffnung Noel Gevor (26) mit seinem Stiefvater Khoren. Ein eigenes Gym ist aktuell am neuen Firmensitz nicht geplant, wohl aber, in Zukunft regelmäßig hier zu veranstalten.

Aufkommende Gerüchte, Sauerland stünde vor dem Aus und schließe deshalb seine Tore in Berlin, verweist Kalle Sauerland angesichts der neuen Entwicklung ins Fabelreich. „In den nächsten drei Jahren wollen wir unsere Youngsters und Neuverpflichtungen zu Champions formen. Wir haben in die Zukunft investiert und werden es auch weiterhin so machen. Wir sind für die kommenden Jahre national wie international sehr gut aufgestellt“, sagt er.

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