Leipzig/Hamburg. 1:0, 2:0, 3:0 – die Hamburger krönen in Leipzig die perfekte englische Woche. Bruchhagen möchte Vertrag mit Gisdol bald verlängern

Am Sonntag war es mal wieder so weit. Zeit für HSV-Witze. Diese oft erzählten, vielbemühten Späße über den Bundesligisten aus Hamburg gingen durch das Netz. Beispiel gefällig? Eine kreuzworträtselnde Frau fragt ihren Mann nach einer Weltmacht mit drei Buchstaben. Die Antwort des Gatten: HSV. Ha-ha-ha-HSV.

Die Zeiten sind noch nicht lange her, da konnten Fans jenes HSV über solche Witze gar nicht lachen. Doch in der vergangenen Woche, die am Sonnabend mit dem 3:0 (2:0)-Auswärtssieg beim bis dahin zu Hause ungeschlagenen Aufsteiger RB Leipzig gipfelte, hat sich die Stimmung gedreht. Von der Weltmacht im Fußball ist der HSV zwar noch ein paar Pünktchen entfernt, doch insbesondere beim Sieg in Leipzig, dem dritten innerhalb von nur acht Tagen, konnten die Hamburger Anhänger mal wieder herzhaft lachen – vor Freude. Der HSV macht wieder Spaß.

Acht Tage nach dem 1:0 gegen Bayer Leverkusen und vier Tage nach dem 2:0 im Pokal gegen Köln schaffte der HSV durch das 3:0 beim Tabellenzweiten den erstmaligen Sprung auf einen Nichtabstiegsplatz seit dem zweiten Spieltag. „Es war eine perfekte englische Woche für uns“, sagte Trainer Markus Gisdol, der dem Team nach dem Spiel ein bisschen Spaß genehmigte. Ein bisschen. „Wir sind nur einen Schritt gegangen, wir sind noch längst nicht über den Berg“, mahnte der Trainer.

Dennoch will HSV-Chef Heribert Bruchhagen den zum Saisonende auslaufenden Vertrag mit dem Coach bald verlängern. „Er genießt höchstes Vertrauen und es gibt im Verein keinen Ansatz, dass sich dieses Vertrauen nicht fortsetzt“, sagte Bruchhagen beim Pay-TV-Sender Sky: „Ich denke, dass unser Manager Jens Todt alsbald mit Herrn Gisdol in enge Gespräche gehen wird.“

Gisdol war es gelungen, eine Taktik zu entwickeln, mit der er dem überfallartigen Leipziger Angriffsfußball schon frühzeitig die Luft rausnahm. „Wir wollten es vermeiden, in die Pressingfallen des Gegners zu tappen. Das hat die Mannschaft heute schnörkellos und kompromisslos gemacht. Mit den Standards hatten wir dann die richtigen Momente auf unserer Seite“, sagte Gisdol.

Die bis Sonnabend schwächste Mannschaft der Liga bei Standards schaffte es – das ist kein Witz – das Spiel mit zwei Standards zu entscheiden. Nicolai Müller fand mit zwei Ecken die Köpfe von Kyriakos Papadopoulos (18.) und dem Brasilianer Walace (24.), der in seinem ersten Bundesligaspiel gleich sein erstes Tor erzielte. „Ich wusste gar nicht, dass er auch köpfen kann“, sagte der zu Späßen aufgelegte Müller, der wiederum bis vor Kurzem noch nicht wusste, dass er gute Ecken treten kann. „Der Trainer hat mich vor einer Woche mal gefragt, ob ich das kann. Ich habe es ausprobiert, hat gut geklappt“, sagte Müller – und lachte. Der beste HSV-Scorer der Saison (vier Tore, sieben Vorlagen) baute seine Statistik am Ende sogar noch aus, als er in der Nachspielzeit auch den dritten Treffer durch den Sekunden zuvor eingewechselten Aaron Hunt vorlegte. „Für Aaron freue ich mich besonders“, sagte Müller. „Es ist einfach schön zu sehen, dass wir ein super Team sind. Wir arbeiten alle an einem Strang und werden belohnt.“

Tatsächlich macht der HSV vor allem deshalb wieder Spaß, weil er sich als Mannschaft präsentiert. Und in dieser Mannschaft ragt neben Müller vor allem ein Mann heraus, der erst seit vier Wochen beim HSV ist: Kyriakos Papadopoulos. Der Leihspieler aus Leipzig führte seine neuen Kollegen gegen seine alten wie schon gegen Leverkusen mit einem Kopfballtor zum Sieg. Noch entscheidender: Der Grieche reißt beim HSV alle mit. So einen Spieler, der jeden geblockten Ball feiert, die Fans aufputscht, seine Mitspieler küsst und den unbedingten Willen verkörpert, hat Hamburg lange nicht gesehen. Ob er schon mal so ein „Mentalitätsmonster“ wie Papadopoulos trainiert habe, wurde Gisdol nach dem Spiel gefragt. Seine Antwort: „Ja. Papadopoulos auf Schalke.“ Großes Gelächter.

Auch Holtby, der mit „Papa“ schon auf Schalke zusammenspielte sieht in der Verpflichtung des Verteidigers einen Schlüssel des Aufschwungs. „Wenn ich sehe, wie er rumschreit, wenn er ein Kopfballduell gewinnt – das ist geil. Das sind Emotionen, die braucht man. Ich bin schon grenzwertig, aber der überschreitet die Grenze – im positiven Sinne“, sagte Holtby. Deutlich spaßbefreiter klang nach dem Spiel die Analyse von Heribert Bruchhagen. Ob er sich freue, dass der HSV jetzt alle 54 Vereine, die jemals in der Bundesliga gespielt haben, mindestens einmal geschlagen habe, wurde der Clubchef gefragt. Bruchhagen erinnerte nur daran, dass der HSV sich noch immer im Abstiegskampf befinde. „Entscheidend ist am Ende die weitere Zugehörigkeit in der Bundesliga“, sagte Bruchhagen.

Zumindest in dieser Woche gibt es für die HSV-Fans aber allen Grund zur Freude. Zur vollständigen Ironie des Spieltags hätte nur noch gefehlt, dass Dennis Diekmeier in seinem 169. Bundesligaspiel sein erstes Tor gemacht hätte, doch der Verteidiger traf nur die Latte (87.). Es wäre tatsächlich der Witz des Wochenendes gewesen.