Vor dem Wiederbeginn der Bundesliga bat das Abendblatt vier Fans,die selbst jede Woche kicken, zur dritten Halbzeit. Eine Kabinenfachsimpelei

Henrik Jacobs

Dienstagabend, Kieler Straße 565. In der Fußballhalle „Soccer in Hamburg“ geht es auf drei Kunstrasenfeldern zur Sache. Es riecht nach Schweiß, auf Feld zwei schreit einer empört: „Natürlich war der Ball drin!“

Auf Feld eins trifft sich an 52 Wochen im Jahr die Gruppe „Men’s Health“, die Woche für Woche ab 20.30 Uhr drei Fünfermannschaften per Los auswählt und anderthalb Stunden lang ein Turnier ausspielt. Zé Roberto ist heute dabei, Milan Badelj, Heung-Min Son. Insgesamt sechsmal ist der HSV per Trikot vertreten, einmal St. Pauli, einmal Manchester City.

Doch wie auf allen Amateurplätzen Deutschlands ist auch in der Kieler Straße die dritte Halbzeit mindestens genauso wichtig wie das Geschehen auf dem Platz. In der Kabine wird der kleine Fußball noch mal diskutiert – genauso wie der große Fußball. Vor dem Wiederbeginn der Bundesliga bat das Abendblatt die HSV-Fans Jan, Marcel, Nasar und Frank nach ihrem Turnier zum Kabinengespräch über den HSV, die Rückrunde, alte Enttäuschungen und neue Hoffnungen.

Wird beim HSV jetzt alles wieder gut?

Nasar: Das hoffe ich. Die ganzen Wechsel waren wichtig. Neuer Trainer, neuer Sportchef, neuer Vorstand – jetzt muss es einfach besser werden.

Jan: Sportlich gesehen kann es ja nicht mehr viel schlechter werden.

Jan Mötting, 42 Jahre alt, will man weder in der Kieler Straße zum Gegenspieler noch als Club als enttäuschten Anhänger haben. Der Vierfach-Papa war mit der gesamten Familie Mitglied beim HSV – bis man geschlossen nach der Ausgliederung ausgetreten ist.

Marcel: Jetzt übertreibst du aber. Ich denke, es ist wichtig, gut aus den Startlöchern zu kommen. Wolfsburg wird eine schwere Aufgabe. Wenn der Start sauber gelingt und das Selbstbewusstsein wächst, dann kann man zumindest mithalten.

Frank: Ich sehe das ähnlich wie Marcel. Wolfsburg ist eine Wundertüte. Wenn der HSV das Spiel gewinnt, kann es eine gute Rückrunde werden. Wenn nicht, brennt auch schnell wieder der Baum. Die Frage ist, ob noch ein Sechser kommt. Wenn sie das nicht schaffen, werden wieder alle krakeelen, dass man es versäumt hat.

Jan: Du darfst nicht vergessen, dass Ekdal nur verletzt war. Du hast mit zwei Außenverteidigern auf der Sechs gespielt, was überraschend gut funktioniert hat. Ostrzolek war Wahnsinn.

Frank: Das würde ich auch nicht mehr ändern. Ich kann mich nicht erinnern, dass Ekdal mal zehn Spiele in Folge gemacht hat beim HSV. Geschweige denn zehn starke Spiele.

Marcel:Gegen Schalke war er Weltklasse. Aber bei unseren Innenverteidigern hatte ich immer Angst. Djourou ist ein Bruder Leichtfuß. Ich bin froh, dass wir jetzt Mavraj und Papadopoulos haben.

Nasar: Total. Beide werden uns helfen.

Jan: Mavraj ist der Knüller. Der hat alle Spiele in Köln gemacht, alle durchschnittlich gut. Warum der von Köln weggegangen ist, bleibt mir ein Rätsel.

Frank: Weil der HSV trotz allem noch eine Hausnummer ist. Nach wie vor. Er hat eine Riesenstrahlkraft.

Frank Freytag, 40 Jahre alt, ist kein Mitglied, aber nach eigener Aussage seit 1982 HSV-Fan. Der Bewunderer von Uwe Bein, Rodolfo Cardoso und Rafael van der Vaart („in seiner ersten HSV-Zeit“) spielt auch selbst gerne mal den Ball aus dem Fußgelenk – und manch ein Pass kommt sogar an.

Habt ihr denn Lust auf die Rückrunde?

Marcel: Ich fahre nach Wolfsburg. So viel zum Thema Lust. Ich setze mich morgens in Elmshorn in den Zug und komme abends um 23.30 Uhr zurück. Wir fahren da mit zwölf Leuten hin. Da wird ein bisschen getankt, und dann geht es los.

Nasar: Ich habe auch wieder richtig Bock. So wie zuletzt konnte es ja nicht weitergehen.

Jan: Die spannendste Frage ist, was Gisdol eigentlich für einen Fußball spielen lassen will. Das habe ich immer noch nicht gemerkt.

Frank: Na, offensiv! Gisdol ist bekannt dafür, dass er ein Vertikalspiel macht, dass er Talente hochzieht.

Jan: Am Anfang hat er gesagt, dass er die Mannschaft nicht überfordern will, und hat es doch erst einmal gemacht.

Marcel:Gisdol macht es richtig, er macht es über den Teamgeist. Es ist wichtig, dass es wieder eine Einheit gibt. Du hattest ja nur Unruhe mit Beiersdorfer, Spahic, Kühne, du hast immer wieder Störfaktoren, die das Team verunsichern.

Marcel Lolk, 35 Jahre alt, wurde Fan, „als es für den HSV nichts mehr zu gewinnen gab“. 1987, nach dem Pokalsieg, ließ ihn der HSV nicht mehr los – auch wenn sich der Hobbyfußballer, der in der Kieler Straße ähnlich viele Kreisel wie Piotr Trochowski in seinen besten Zeiten dreht, nie wieder über einen Triumph freuen durfte.

Frank: Ich kann eigentlich nicht sagen, ob ich mich auf irgendwas freue. Wir haben so viel Leid erlebt, das war so brutal, dass ich mich nicht wirklich auf etwas freuen kann. Die Mannschaft muss erst mal etwas zurückgeben.

Nasar: Bei mir war die Schmerzgrenze im letzten Sommer überschritten. Das schlimme Gekicke konnte ich mir einfach nicht mehr jedes Wochenende antun. 90 Minuten gegen Ingolstadt ohne eigene Torchance bringen einfach keinen Spaß mehr.

Nasar Ghulam, 38 Jahre alt, ist seit 2006 Mitglied. Von 1998 an hatte der gefürchtete Hobby-Torhüter jede Saison eine Dauerkarte – bis zum Sommer 2015. „Ich hatte einfach die Schnauze voll“, sagt der Familienvater, der nun nur noch zu ausgewählten Spielen im Volkspark vorbeischaut.

Jan:Meine Schmerzgrenze war mit HSVPlus überschritten. Von da an war der HSV für mich kein Verein mehr. Wenn man sieht, was Leipzig macht, dürfen wir uns nicht beschweren, weil wir genau die gleiche Nummer fahren.

Nasar: Ich war ein klarer Befürworter von HSVPlus und von der Ausgliederung. Man hat es leider nur verpasst, die versprochenen strategischen Partner zu finden.

Frank: Ich war auch ein klarer Befürworter von HSVPlus. Ich habe mich gefreut, dass Dietmar Beiersdorfer zurückgekommen ist. Jemand, der den Verein wirklich lebt.

Jan: Das Einzige, was der noch hatte, war Stallgeruch. Ansonsten hat der so viel Mist gebaut.

Nasar: Didi hat wirklich viele Fehler gemacht. Er wollte halt alles auf einmal machen: Sportchef und Vorstandschef – das konnte ja nicht gut gehen. Und am Ende läuft alles immer über Kühne ...

Marcel: Dass Kühne Geld gibt, finde ich gar nicht so schlecht. Aber er darf sich nicht einmischen.

Nasar: Genau das ist ja die Krux. Man sollte aber nicht vergessen, dass Kühne den HSV vor der Pleite bewahrt hat.

Jan: Ich gucke gerade sehr neidisch nach Köln, weil ich denke, die haben das richtig gemacht.

Frank: Schmadtke halt.

Jan: Die haben eine Vereinsstruktur erhalten, und da funktioniert es mit viel Geduld. Und plötzlich spielen die unter den besten sechs.

Frank: Der HSV war vor HSVPlus nicht mehr handlungsfähig. Da waren so viele Machtspielchen im Aufsichtsrat. Es musste Änderungen geben.

Jan: Als hätte sich das jetzt geändert.

Nasar: Immerhin ist dieser Gernandt nicht mehr Aufsichtsratsvorsitzender. Das habe ich nie verstanden, wie es möglich ist, dass ein Kühne-Mann auch noch Kontrollchef wird.

Gab es einen Moment, wo ihr gezweifelt habt, ob ihr dem HSV überhaupt noch die Daumen drücken wollt?

Marcel: Überhaupt nicht. Ich stand als kleiner Junge mit der Kutte in der Westkurve, und das geht heute so weiter. Das Herz schlägt dummerweise für den HSV, da gibt es keinen anderen.

Nasar: Es nervt nur, dass man sich gefühlt an jedem Wochenende erklären muss, warum das eigene Herz für diesen HSV schlägt.

Frank: Für mich gab es den Moment, wo der HSV aufgehört hat, leidenschaftlich zu spielen. Ich erwarte doch gar nicht Europa. Ich erwarte, dass die Spieler stolz sind, die Raute auf der Brust zu tragen.

Wird es mit der neuen sportlichen Führung jetzt besser?

Jan: Der Bruchhagen tut tierisch gut. Der hält den Laden zusammen.

Frank: Rhetorisch tut der richtig gut.

Nasar: Bruchhagen und Todt sind ganz okay, aber ich hätte lieber einen großen Namen gehabt. Über Matthias Sammer hätte ich mich gefreut.

Jan: Na ja, Bruchhagen hat zumindest Erfahrung. Ich glaube nicht, dass er der Mann für die Zukunft ist. Aber für eine Phase der Konsolidierung und um Ruhe reinzubringen. Aber am Ende muss es auf dem Platz funktionieren.

Frank: Ich freue mich auf die Flügelzange mit Kostic und Müller, auf Gregoritsch. Wood ist für mich der Transfer der Saison. Der ist vorne eiskalt. Und ich wünsche mir, dass Lasogga ...

Jan: ... für viel Geld verkauft wird ...

Frank: ... dass er sein Potenzial abruft. Ich halte ihn für einen guten Stürmer. In der ersten Saison war der Bombe.

Habt ihr noch Angst vor dem Abstieg?

Nasar: Durch die Verstärkungen hat man endlich wieder ein entspanntes Gefühl. Ich glaube, dass der HSV noch Neunter wird.

Marcel: Man hat aber immer den Blick nach unten und guckt, was die anderen machen. Das ist keine Angst, ich nenne es mal Spannungsverhältnis.

Frank: Mich würde es schon treffen, wenn der HSV absteigt. Aber Angst habe ich nicht. Die Resignation hat in den letzten Jahren so zugenommen, es gab so viele Situationen, in denen wir hätten absteigen müssen.

Jan: Man muss als HSV-Fan viel Demut zeigen aufgrund der letzten drei Jahre. Es ist überlebenswichtig, dass du nicht absteigst. Sobald du mit dem HSV in der Zweiten Liga bist, kommst du nicht mehr raus.

Nasar: Aber wenn wir eines aus der Vergangenheit gelernt haben, dann das: Der HSV steigt nicht ab. Nie.