Melbourne. Mischa Zverev steht erstmals in Runde drei der Australian Open – Kerber gewinnt Duell mit Witthöft

Es gab Momente im Leben von Mischa Zverev, in denen man ihn schon nicht mehr als eigenständigen Tennisspieler wahrnahm. Zwei, drei Jahre ist das her, es war, als sich sein zehn Jahre jüngerer Bruder Alexander als größtes deutsches Versprechen auf eine goldene Zukunft ankündigte. Mischa (29) wirkte damals als Berater, als Nebencoach und Kummerkasten für Alexander. Er war ein sanfter, liebevoller Big Brother, ein erfahrener, aber im Tennisleben oft schwer enttäuschter Wissensvermittler für den Jüngeren. „Er ist unersetzlich für mich“, sagte Alexander in jenen Azubitagen über Mischa, „er hat so viel als Profi und Mensch erlebt.“

Ein Herz und eine Seele sind sie auch jetzt noch, die beiden Zverev-Brüder. Aber was niemand für möglich gehalten hätte nach jahrelanger Verletzungspein, nach quälenden Zweifeln und wiederholten Gedanken an ein Karriereaus, ist nun auf höchst erstaunliche Weise Realität geworden: Der vorübergehend in den brüderlichen Schatten gerückte Routinier hat ein fulminantes Comeback im Wanderzirkus hingezaubert am Mittwoch, dem dritten Wettkampftag der Australian Open in Melbourne. In schier aussichtsloser Position gegen den US-Aufschlaggiganten John Isner, nach zwei verlorenen Tiebreak-Sätzen, startete der in Moskau geborene Hamburger die Aufholjagd seines Lebens.

Zwei Matchbälle wehrte er in einem nervenzerreißenden Thriller auf Court acht ab, im vierten Satz, ehe er nach vier Stunden und elf Minuten mit 6:7 (4:7), 6:7 (4:7), 6:4, 7:6 (9:7) und 9:7 gewann. „Es war der absolute Wahnsinn“, sagte Zverev hinterher als Hauptdarsteller eines Entfesselungsaktes, der einige der aufregendsten Szenen dieses Grand-Slam-Wettbewerbs lieferte. Darunter auch jene beim ersten Matchball von Zverev, den Isner, der 2,07-Meter-Gigant, mit einem Netzroller abwehrte und damit den Krimi noch für einige Minuten verlängerte. „So etwas steckst du nur weg, wenn du diese Erfahrung wie Zverev hast. Wenn du auch so viel durchgemacht und überstanden hast“, merkte Eurosport-Experte Boris Becker an.

Erst zum zweiten Mal in seiner wechselvollen Laufbahn rückte der ehemalige Daviscupspieler, der 2009 auf Rang 45 der Welt den Höhepunkt seiner Karriere hatte, in die dritte Runde eines Grand-Slam-Turniers vor, am Freitag hat er gegen den Tunesier Malek Jaziri keine allzu harte Aufgabe vor sich. In der dritten Runde steht auch Frontfrau Angelique Kerber, die sich an ihrem 29. Geburtstag zu einem 6:2, 6:7, 6:2-Sieg gegen die Hamburgerin Carina Witthöft (21) mühte und sich mit dem Motto „Hauptsache gewonnen, nur das zählt“ anfreunden musste. Die Weltranglistenerste aus Kiel spielt nun gegen Kristina Pliskova, die Zwillingsschwester von US-Open-Finalistin Karolina. Die einstmals hoch gehandelte Mona Barthel (Neumünster), zuletzt von einer mysteriösen Immunkrankheit geplagt, bezwang Olympiasiegerin Monica Puig aus Puerto Rico 6:4, 6:4 und spielt in Runde drei gegen die Australierin Ashleigh Barty.

Deutscher Mitarbeiter des Tages war aber Mischa Zverev, der sich im Aufschlaggewitter Isners letztlich eiskalt behauptete. Weder 33 Asse noch 17 Breakmöglichkeiten Isners konnten ihn stoppen, 16 dieser 17 Chancen wehrte Zverev nervenstark ab, behielt bei Matchbällen gegen sich die Ruhe. Kurios, aber wahr: Aus dem ehemaligen Aufbauhelfer der brüderlichen Karriere ist nun so etwas wie ein freundlicher Rivale geworden – denn von Weltranglistenplatz 50 rückt Mischa nach Melbourne näher heran an Alexander, gegenwärtig auf Platz 24 eingestuft, der in seinem Zweitrundenmatch an diesem Donnerstag gegen US-Toptalent Frances Tiafoe (18/Rang 108) antritt.

Die innerfamiliären Verhältnisse hatten sich in jüngster Vergangenheit umgekehrt: Es war der jüngere Bruder, der den Älteren von dessen Rücktrittsüberlegungen nach einer schweren Handgelenksverletzung und Bandscheibenproblemen abbrachte. „Fitter als er ist keiner“, sagt Alexander inzwischen über den Bruder, der in der Saisonvorbereitung zusammen mit ihm in Florida trainierte. Beide profitieren dabei von der Expertise des Fitnessgurus Jez Green, der einst auch schon Andy Murray schnelle Beine machte.

Schon im vergangenen Jahr hatte sich Mischa, der 2015 aus den besten 1000 gestürzt war, beharrlich in der Weltrangliste nach vorn gearbeitet. „Ich habe erkannt, dass es ein Riesenluxus ist, das zu tun, was einem großen Spaß macht. Ich genieße meine Erfolge intensiver“, sagte er. Wenn er so spielt wie zuletzt, wird er dazu noch häufiger Gelegenheit haben.

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