Sportgespräch mit IOC-Vizepräsident Thomas Bach über die deutschen Chancen bei den Sommerspielen 2012 und die Probleme, Olympia nach Deutschland zu holen

Hamburg. Thomas Bach, 57, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), ist in Hamburg wieder ein gern gesehener Gast. Nach zwischenzeitlichen atmosphärischen Störungen in der Ära von Bürgermeister Ole von Beust führt dessen Nachfolger Olaf Scholz einen konstruktiven Dialog mit Deutschlands höchstem Sportfunktionär. Beim Besuch am vergangenen Mittwoch im Rathaus urteilte Bach, Fecht-Olympiasieger von 1976, dann auch äußerst positiv über Hamburgs neue Sportpolitik: "Hamburgs vorbildliche Dekadenstrategie, die Stadtentwicklung von unten nach oben betreibt, macht Stadt und Sport fit für die Zukunft. Das ,ParkSport'-Konzept, das auf dem Gelände der Internationalen Gartenschau in Wilhelmsburg nach 2013 dauerhafte Sportangebote für jedermann schaffen will, ist wegweisend."

Hamburger Abendblatt:

Herr Bach, wann werden wir Sie als IOC-Präsident begrüßen können?

Thomas Bach:

Diese Frage wird mir bei Interviews immer als letzte gestellt, weil danach das Gespräch von meiner Seite aus zu enden droht. Insofern ist das von Ihnen ein mutiger Einstieg.

Sie seien ein sehr guter Kandidat, hat Jacques Rogge, der Amtsinhaber erst neulich wieder gesagt.

Bach:

Das ist ja sehr ehrenvoll, falls er das so gesagt hat. Aber das ändert nichts daran, dass bis zur Wahl des nächsten IOC-Präsidenten noch fast zwei Jahre vergehen. Zwei Jahre können in diesem Fall eine Ewigkeit sein. Es wäre zudem nicht fair gegenüber dem IOC, jetzt eine Personaldiskussion zu beginnen. Es gibt derzeit genug Sachfragen zu klären.

Wann werden Sie sich erklären?

Bach:

Sie werden mich nicht zu Aussagen verleiten über Entscheidungen, die nicht getroffen sind. Irgendwann werde ich mich entscheiden müssen - aber nicht jetzt und hier.

Müssen Sie eigentlich erst IOC-Präsident werden, damit Deutschland wieder Olympische Spiele ausrichten darf?

Bach:

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die Frage ist auch nicht, ob Deutschland Olympische Spiele ausrichten wird, sondern nur, wann.

Wir hatten zuletzt den Eindruck, die Deutschen haben die besten Konzepte, doch gewinnen tun immer nur die anderen. Was läuft da schief?

Bach:

Auch andere Bewerber haben hervorragende Konzepte. Das ist nicht der entscheidende Punkt. Es gibt zwar keine formelle Rotation der Erdteile, bei den Ergebnissen wurden jedoch die verschiedenen Kontinente immer entsprechend berücksichtigt. Insofern muss das richtige Zeitfenster einer Kandidatur gefunden werden, und welche Mitbewerber gibt es gegebenenfalls im eigenen Kontinent. Und natürlich sind Fragen zu beantworten wie: Ist genug breite Unterstützung vorhanden - aus der Politik, der Wirtschaft und vor allem der Bevölkerung?

Wir haben das Gefühl, dass die Bevölkerung heute weit kritischer sportlichen Großveranstaltungen gegenübersteht als noch vor ein paar Jahren, als Deutschland 2006 bei der Fußball-WM sein Sommermärchen feierte. Ist die Austragung Olympischer Spiele den Deutschen überhaupt noch zu vermitteln?

Bach:

Die Begeisterung für Olympia ist ungebrochen. Sicherlich haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse verändert. Die Bürger sind in der Tat kritischer geworden. Sie dürfen aber nicht den Fehler machen, die Stimmung im Lande zum Zeitpunkt der DFB-Bewerbung 1999 zu verwechseln mit der Stimmung, die dann während der WM herrschte. Zudem müssen Sie die unterschiedlichen Bewerbungsverfahren berücksichtigen. Das IOC verlangt von seinen Olympiakandidaten detaillierte bauliche wie finanzielle Pläne. Als Deutschland den Zuschlag für die WM 2006 erhielt, stand nur grob fest, in welchen Stadien gespielt werden sollte. Das Verfahren des IOC ist viel öffentlicher, viel transparenter. Entsprechend gibt es mehr Widerstände. Wir hatten für München 2018 zuletzt eine hervorragende Zustimmung von mehr als 70 Prozent.

Hamburg erzielte mit seiner Olympiabewerbung vor acht Jahren eine Zustimmung in der Bevölkerung von 92 Prozent. Sind solche Quoten noch erreichbar?

Bach:

Heute ist die Öffentlichkeit kritischer, heute wird der Meinung von Minderheiten mehr Gewicht gegeben. Die Individualinteressen spielen im Verhältnis zu den Gemeinschaftsinteressen eine viel größere Rolle, die eigenen Interessen werden oft als das Maß aller Dinge betrachtet, das zum Teil gar nicht mehr hinterfragt wird. Nehmen Sie nur den einen Grundstückseigentümer in Garmisch-Partenkirchen, der glaubte entscheiden zu können, ob München den Zuschlag für die Winterspiele erhält oder nicht. Und eine breite Öffentlichkeit ist ihm dabei aufgesessen. Hinzu kommt, dass allgemein die Skepsis der Menschen in diesem Land gegenüber Großprojekten deutlich zugenommen hat. Neue Entwicklungen werden mit starken Vorbehalten behandelt. Das reicht hin bis zum Zukunftsdefätismus.

Was heißt das für die künftigen Olympiabewerbungen Deutschlands?

Bach:

Wir müssen noch besser die Vorteile einer Kandidatur kommunizieren. Für München 2018 hätte nur eine Fläche der Größe eines Fußballfeldes zusätzlich versiegelt werden müssen. Da sage ich, das ist ein Preis, den man selbst unter ökologischen Aspekten zahlen kann. Die Ausrichtung Olympischer Spiele ist ein Gewinn für das ganze Land. Deshalb werden wir uns weiter bewerben.

Für Sommer- oder Winterspiele?

Bach:

Beides ist denkbar. Es hängt, wie gesagt, von der internationalen Konstellation ab, zu welchem Zeitpunkt hat eine Bewerbung Aussichten auf Erfolg.

Träfe das auf München 2022 zu?

Bach:

Winterspiele in München bleiben eine Option, 2022 oder 2026. Im Jahr 2013 müssten wir für 2022 die Unterlagen beim IOC einreichen. In diesem Zeitraum sind auch Wahlen. Im September 2013 für den Bundestag und den Bayerischen Landtag, 2014 folgen dann in Bayern die Kommunalwahlen. Eine Bewerbung braucht jedoch eine breite politische Unterstützung, die nicht von Wahlergebnissen abhängen darf.

Berlin und Hamburg sehen sich als Kandidaten für Olympische Sommerspiele in der nächsten Dekade. Wir realistisch sind solche Überlegungen?

Bach:

Zum gegebenen Zeitpunkt wären beide Städte starke Kandidaten. Wir sollten zuerst die Vergabe der Sommerspiele 2020 abwarten. Bekommen wir einen europäischen Ausrichter, wäre das Bewerbungsfenster für 2024 und 2028 vermutlich zu. Das Problem ist: Sommerspiele können fast überall durchgeführt werden, Winterspiele nur in wenigen Bergregionen auf der Welt. Die Chance, Winterspiele ausrichten zu dürfen, ist um ein Vielfaches größer.

Haben Sie heute eine Erklärung für Münchens klare Niederlage gegen Pyeongchang bei der Abstimmung über 2018?

Bach:

Im ersten Moment war ich geschockt. Nicht über die Niederlage, sondern über die nur 25 Stimmen, die wir erhalten hatten. In Gesprächen mit meinen IOC-Kollegen hat sich inzwischen eine für mich plausible Erklärung herauskristallisiert. Es war paradoxerweise die Stärke der Münchner Bewerbung, die zu diesem Ergebnis geführt hat. Pyeongchang, das war die allgemeine Stimmung, sollte nicht ein drittes Mal im letzten Wahlgang, in dem es zu viele Unabwägbarkeiten gibt, knapp scheitern. Daher haben viele im ersten Wahlgang den Südkoreanern ihre Stimme gegeben, um eine zweite Abstimmung zu vermeiden. Der Stimmenabstand spiegelt nicht die hohe Qualität der Münchner Bewerbung wider.

Rührte Ihre sichtbar große Enttäuschung auch daher, dass Ihnen von Ihren IOC-Kollegen weit mehr Stimmen für München versprochen worden waren?

Bach:

Mit Versprechen sollte man sehr sorgfältig umgehen. Wir haben deswegen keine Liste geführt, wer für uns stimmen würde.

Kommen wir zu einer anderen Liste, der der Medaillenkandidaten für die Sommerspiele 2012. Mit 41 Medaillen hatte die deutsche Olympiamannschaft 2008 in Peking ihr schlechtestes Ergebnis seit der Vereinigung 1990 abgeliefert. Was erwarten Sie für London?

Bach:

Das schlechteste Ergebnis ist falsch, denn in der Nationenwertung, deren Existenz ich hiermit sogleich bestreite, waren wir dank 16 Goldmedaillen als Fünfter sogar einen Platz besser als 2004 in Athen. Werten wir die zurückliegenden Weltmeisterschaften in den olympischen Disziplinen aus, dürfen wir, Stand heute, mit einer Platzierung zwischen vier und neun rechnen. Wobei eine oder zwei Goldmedaillen mehr oder weniger den Unterschied ausmachen können. London wird für uns ein ganz heißes Pflaster. Die Konkurrenz wird immer stärker. In Athen haben 74 Nationen Medaillen gewonnen, in Peking 86. Hinter den USA, China und Russland, die für uns unerreichbar sind, dazu Großbritannien als Gastgeber, gibt es fünf bis sieben Nationen, die vor oder hinter uns landen können.

Großbritannien hat zuletzt gezielt nach medaillenträchtigen Nischen in den olympischen Sportarten Ausschau gehalten und in diesen seine Sportler finanziell stark unterstützt. Wäre das auch ein Modell für Deutschland?

Bach:

Wir haben für unsere Olympiamannschaft weiter den Anspruch, die Breite des Sports zu repräsentieren. Deshalb gibt es bei uns auch eine Grundförderung für alle olympischen Sportarten. Die sollten wir aufrechterhalten, weil sie der Sporttradition in Deutschland entspricht.

Auch um den Preis, dass wir mit den Besten der Welt, die alle Profis sind, nicht mehr mithalten können?

Bach:

Die Frage stellt sich nach dem Verhältnis von Grund- und Spitzenförderung. Wir haben inzwischen die Philosophie der Förderung verändert. Früher hing die Höhe der Zuwendungen von den Ergebnissen der Vergangenheit ab, jetzt gibt es Zielvereinbarungen mit den Verbänden auf die Zukunft hin. Das System steht zum ersten Mal in London auf dem Prüfstand. Dann werden wir sehen, ob es sich bewährt hat.

Das Grundproblem ist aber, dass woanders weit mehr Geld in den olympischen Spitzensport gesteckt wird.

Bach:

Richtig ist, dass weltweit noch nie so viel Geld und Know-how in den Leistungssport investiert worden ist wie jetzt. Es gibt überall riesige Aufbauprogramme. Wir haben in Deutschland 2009 einen großen finanziellen Schritt nach vorn bei der Förderung des Spitzensports gemacht, seitdem stagniert jedoch die Höhe der Zuwendungen.

Wie erklären Sie den weltweiten Trend zu diesem Mehr an Sportförderung? Die Zeiten des Kalten Krieges sind schließlich lange vorbei.

Bach:

Es gibt zwei Gründe, die auch bei uns eine Rolle spielen, nur vielleicht nicht dermaßen prononciert: die Botschafterrolle nach außen, die auch für uns gilt; weil erfolgreiche, sympathische Sportler das Bild konterkarieren können des skeptischen, abwartenden Deutschen, der erst einmal Sicherheit für alles haben will, bevor er etwas Neues angeht. Die Botschaft nach innen ist, dass wir Leistung brauchen und wollen. Anderswo spielt die Identifikation, der Stolz auf das eigene Land zudem eine große Rolle. Sportliche Erfolge sind dafür äußerst hilfreich. Das sehen Sie besonders in jungen Staaten, aber auch in traditionsreichen Ländern, die sich neu positionieren müssen. Stichwort: Integrationsdebatte. Sind wir attraktiv für gut ausgebildete Zuwanderer? Alles zusammen macht den Wert von sportlichen Höchstleistungen aus. Übrigens: Dass Sportler eine Vorbildfunktion haben, meinen laut einer repräsentativen Umfrage 91 Prozent der Deutschen.