Hamburg. Die Hamburger hoffen nach dem ersten Saisonsieg auf Ruhe. Clubboss Beiersdorfer kämpft um seinen Job – und bleibt weiterhin Sportchef

Dietmar Beiersdorfer trug eine winterliche Trainingsjacke, als er am Montagmittag vor die Kameras trat. Der Vorstandsvorsitzende des HSV hatte zuvor bei Temperaturen rund um den Gefrierpunkt einige Minuten des Spielersatztrainings verfolgt. Und das nicht im Mantel des Clubchefs, sondern in der Winterjacke des Sportchefs. Es war ein erneutes Zeichen, das der in Doppelfunktion arbeitende Beiersdorfer am Tag nach dem ersten Saisonsieg sendete: Ich bin nah an der Mannschaft. Ich bin der Sportchef. Und ich bleibe der Sportchef. Bis auf Weiteres.

Nach dem ersten Saisonsieg des HSV, dem 2:0 bei Darmstadt 98 am Sonntag, sucht Beiersdorfer innerhalb des Clubs den großen Schulterschluss. Und dazu stärkt sich der 53-Jährige in einer der größten sportlichen Krisen der Vereinsgeschichte sozusagen selbst den Rücken. Nach wochenlangen Unruhen sieht sich Beiersdorfer auf dem richtigen Weg. „Ich spüre große Rücken­deckung vom HSV und unseren Fans“, sagte er am Montag. „Ich glaube, dass wir in der Gesamtentwicklung des Clubs auf keinem schlechten Weg sind. Im Gegenteil.“

Es ist eine bemerkenswerte Sichtweise angesichts der weiterhin dramatischen sportlichen Situation des HSV. Und doch sieht Beiersdorfer so etwas wie Licht am Ende der Tabelle. Erstmals seit dem siebten Spieltag konnten die Hamburger durch den ersten Bundesligasieg seit 204 Tagen den letzten Platz verlassen und Anschluss an die rettenden Ränge herstellen. „Das kann erst der Anfang sein“, sagte Trainer Markus Gisdol am Montag. „Wir müssen unglaublich gierig bleiben.“

Auch für den Ende September für Bruno Labbadia eingestellten Trainer war das 2:0 in Darmstadt der erste Bundesligasieg mit dem HSV. Der 47-Jährige hat in seinen ersten Wochen viel versucht. Nun scheint er seine Formation gefunden zu haben. In Darmstadt gelang dem HSV erneut das, wofür Gisdol verpflichtet wurde: Er schoss Tore. Zwei Tore. Und das zum vierten Mal in Folge. Eine solche Statistik schafften die Hamburger zuletzt vor drei Jahren zum Amtsantritt von Bert van Marwijk. „Man kann eine Entwicklung erkennen“, sagte Beiersdorfer über die Arbeit von Gisdol.

Aufsichtsrat hat sich mit Bruchhagen getroffen

Der Trainer und sein Sportchef demonstrieren in diesen Tagen Einigkeit – und haben damit vielen Verantwortlichen rund um den HSV etwas voraus. Vor allem in der Sportchef-Frage sorgt der Club für Verwirrung. Aufsichtsratschef Karl Gernandt hat Beiersdorfer in einem Interview mit dem Abendblatt erst vor zweieinhalb Wochen unter Druck gesetzt, indem er forderte: „Wir brauchen dringend einen neuen Sportchef.“ Auf die Frage, ob es der HSV sich leisten könne, ohne einen neuen Sportchef in die anstehende Transferperiode zu gehen, antwortete Gernandt: „Nein. Die Sanduhr hat deutlich weniger Körner oben als unten. Wir sind uns der Dringlichkeit bewusst.“

Am Montag nun machte Beiersdorfer deutlich, dass er so schnell keinen Sportchef präsentieren werde. „Ich habe jetzt auch keinen. Ich muss auch nicht irgendjemanden holen, um jemanden zu bedienen.“ Stattdessen werde er die Transferperiode, die am 1. Januar beginnt, selbst planen. Gisdol erneuerte am Montag den Wunsch nach neuen Spielern für die Innenverteidigung sowie das defensive Mittelfeld.

Im Aufsichtsrat entstand zuletzt der Eindruck, man habe das Vertrauen in den Sportchef Beiersdorfer verloren und wolle nicht noch die Wintertransfers in seine Hände geben. Doch angesichts der laufenden Sanduhr bis Januar bleibt den Räten nichts anderes übrig, als Beiersdorfer das operative Geschäft zu überlassen. Das Szenario, ihn zu stürzen, einen neuen Vorstandsvorsitzenden und damit einen neuen Sportchef zu installieren, will das Kontrollgremium angesichts des zarten sportlichen Aufwärtstrends vermeiden, um nicht weitere Unruhe aufkommen zu lassen. Allerdings hat sich der Aufsichtsrat nach Abendblatt-Informationen vergangene Woche bereits mit dem langjährigen Frankfurter Clubchef Heribert Bruchhagen (68) in Hamburg getroffen.

Beiersdorfer selbst sieht sich als Sportchef ohnehin gut aufgehoben. „Ich habe 14 Jahre Erfahrung und in 18 Transferperioden 150 bis 200 Spieler bewegt. Ich weiß, was ich kann.“ Beiersdorfer kämpft um seinen Job und teilt gegen seine Kritiker aus. Erst am Sonntag hatte Ex-HSV-Torhüter Uli Stein bei „Sky90“ die Verantwortungsbereiche im Club kritisiert und behauptet, Nachwuchschef Bernhard Peters entscheide bei jedem Transfer mit. „Das ist eine völlige Unwahrheit. Es ist klar abgegrenzt, dass Bernhard nichts mit Sichtung und Verpflichtung von Spielern zu tun hat, weder im Nachwuchs noch im Profibereich“, konterte Beiersdorfer.

Der HSV-Chef weiß aber auch, dass er derzeit angesichts von sieben Punkten aus zwölf Spielen keine Argumente auf seiner Seite hat. „Diese Situation ist eine Extremsituation, die das Fundament im HSV zum Wackeln bringt“, sagt Beiersdorfer. Umso eindringlicher wirbt er dafür, die letzten drei Spiele bis zur Winterpause mit der größtmöglichen Ruhe anzugehen. Dafür stellt Beiersdorfer all seine repräsentativen Aufgaben als Vorstandschef zurück. „Ich eröffne im Moment keine Boutiquen am Neuen Wall.“ Die winterliche Trainingsjacke reicht ihm derzeit aus.