Nach elf Saisons in der Formel 1 hat er genug vom Rundendrehen

Die Videobotschaft fängt harmlos an. „Ein Riesentag für mich in Wien“, sagt Nico Rosberg, im silbernen Mercedes-Anorak auf dem Rücksitz einer Limousine, die ihn zum Vorgeplänkel der Preisverleihung des Automobilweltverbandes in Wien bringt, „boah, das wird was richtig Besonderes, den WM-Pokal entgegenzunehmen.“ Im gleichen Tonfall, fast noch ein paar Nuancen entspannter, sagt er dann, die Haartolle auf Sturm gestellt: „Ich werde auch erzählen, dass ich mit der Formel 1 aufhöre. Jetzt.“ Ein Schock für Mercedes, einer für die Rennwelt.

Fünf Tage nach dem WM-Drama von Abu Dhabi tritt der Champion zurück, zum ersten Mal seit Alain Prost 1993 startet die Königsklasse ohne amtierende Nummer eins in eine neue Saison. Mit 31, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, geht der dritte deutsche Weltmeister in Rente. „Seit 25 Jahren arbeite ich auf diesen einen Traum hin. Ich wollte einmal Weltmeister werden. So, das habe ich jetzt erreicht“, sagt Rosberg, der wie Papa Keke damit zum One-Hit-Wonder wird.

Die Entscheidung reifte nach seinem Sieg beim Großen Preis von Japan, als klar war, dass Lewis Hamilton nicht mehr aus eigener Kraft Weltmeister werden konnte. Statt Entspannung bedeutete das einen immer größeren Druck für den Wiesbadener, gegensätzlich zu dem, wie er aufzutreten versuchte im härtesten Duell, dass es derzeit unter Teamkollegen gibt.

Hamiltons umstrittene Taktik im Finale, die den Deutschen zum Schluss doch noch hätte den Titel kosten können, gab dann wohl den Ausschlag. Am Montag, auf dem Weg zur ersten WM-Feier beim Hauptsponsor in Kuala Lumpur, unterrichtete Rosberg seinen Rennstallchef Toto Wolff. Dieser, bislang Mediator zwischen den beiden Intimfeinden, hat erst gar nicht versucht, den Champion umzustimmen: „Es ist eine mutige Entscheidung und ein Beweis für die Stärke seines Charakters. Die Klarheit, mit der er dieses Urteil gefällt hat, hat mich dazu bewegt, seine Entscheidung sofort voll zu akzeptieren.“ „Es war unglaublich“, gesteht Rosberg, „unglaublich hart. Ich habe alles reingesteckt, was ich hatte. Absolut 110 Prozent. Dazu bin ich nicht mehr bereit, jeden Tag auf diese Art und Weise mein Leben zu verbringen.“

Die Familie, Gattin Vivian und Töchterchen Alaia, hatte er über das Auf und Ab des Titelrennens immer als seine größte Stärke bezeichnet. Sie waren in Abu Dhabi dabei, ihnen verspricht er: „Ich werde bald richtig Papa und Ehemann sein. Das werden schöne Zeiten. Ich folge einfach meinem Herzen.“ Seine Fans bittet er darum, nur die guten Erinnerungen zu bewahren.

Die Intensität des Duells mit Lewis Hamilton wird keiner vergessen. Dieser zeigte sich nicht wirklich überrascht vom Rücktritt des Rivalen: „Ich kenne ihn schon lange. Natürlich werde ich die Rivalität vermissen.“ Da schwingt etwas Genugtuung mit, den Kollegen auch zu diesem Schritt getrieben zu haben. In seiner typischen Poker-Manier fügt er an, dass er bereits zweimal seinen Titel verteidigen musste, und den Gegnern die Chance gegeben habe, ihn herauszufordern. Nico Rosberg, der in Wien ein letztes Mal in einer Talkrunde mit seinem Gegner von Kindheitstagen an sitzt, lässt sich nicht provozieren. „Tausendprozentig sicher“ sei er in seiner Entscheidung: „Ich habe den Gipfel erreicht, deshalb fühlt es sich richtig an.“

Für seine Rennstall-Familie beginnen damit schwerere Zeiten als erwartet. Ohnehin steht durch den anstehenden Wechsel im technischen Reglement die Mercedes-Dominanz etwas infrage, nun kommt die Ungewissheit der fahrerischen Paarung hinzu – und bei Technikchef Paddy Lowe ist noch nicht klar, ob er dem Ruf von Ferrari folgt.

Der entthronte Lewis Hamilton, in dieser Woche erst von den Teamchefs der Formel 1 zum besten Fahrer der Saison gewählt, bleibt eine Bank. Aber auch er war zum Schluss an der Rivalität mit Rosberg gewachsen. Doch die direkten Gegner Red Bull Racing mit Max Verstappen/Daniel Ricciardo und Ferrari mit Sebastian Vettel/Kimi Räikkönen sind doppelt gut besetzt. Auf dem Fahrermarkt verfügbar ist momentan nur Pascal Wehrlein, der Mercedes-Auszubildende von Schlusslicht Manor. Aber hat der 22-Jährige schon die Reife?

Möglicherweise wird Toto Wolff versuchen, erfahrenere Piloten abzuwerben – seinen Schützling Valtteri Bottas von Williams oder Fernando Alonso bei McLaren. Warum es nicht bei Sebastian Vettel probieren, der in Maranello alles andere als glücklich scheint? Die Frage ist, wer hat eine Ausstiegsklausel, wie plant Mercedes bis 2020?

Rosberg hatte erst im Sommer einen Vertrag bis 2018 unterzeichnet. Jenson Button, gerade zurückgetreten, könnte für ein Übergangsjahr zur Verfügung stehen. Und Mick Schumacher (17) wäre ein Wunschkandidat des Publikums, so unwahrscheinlich das auch ist. „Wir werden jetzt alle Varianten prüfen, um dann den richtigen Weg einzuschlagen“, sagt Wolff, der bereits einen Plan im Hinterkopf zu haben scheint, denn die Zeit drängt. Aber wenigstens für diesen Freitagabend sollte die ganze Aufmerksamkeit nur Nico Rosberg gelten.