Austin. Der deutsche Formel-1-Pilot kann sich beim Großen Preis der USA entscheidend von Lewis Hamilton absetzen

Das große Ziel ist endlich in Sichtweite, und auf den letzten Metern will Nico Rosberg nicht plötzlich die Taktik ändern. Schon in weniger als zwei Wochen kann er Weltmeister der Formel 1 sein, nach elf langen und oft undankbaren Jahren in der Königsklasse ist der Gipfel ganz nah – doch über den Titel reden möchte Rosberg weiterhin nicht.

„Das macht keinen Sinn“, sagt er vor dem Großen Preis der USA (Sonntag 21 Uhr MESZ/RTL und Sky): „Warum soll ich meine Energie für etwas verwenden, das noch so weit weg ist. Für mich gilt: Business as usual. Ich will dieses Rennen gewinnen.“ Nur das nächste Duell mit Titelverteidiger Lewis Hamilton zähle jetzt, sagt der souveräne WM-Spitzenreiter. Und wählt einen Vergleich: „Im Fußball funktioniert es auch nicht, wenn eine Mannschaft ihren Vorsprung nur noch über die Zeit bringen will. Damit baut man oft den Gegner wieder auf“, sagte Rosberg der „Sport Bild“: „Ich fahre so, als würde es immer noch null zu null stehen.“

Ein typischer Rosberg also, passender wäre allerdings folgendes Gleichnis: WM-Finale, die Schlussphase läuft, und die Fans feiern schon – denn Team Rosberg führt mit 2:0. In Rennfahrersprache bedeutet das 33 Punkte Vorsprung vier Rennen vor Schluss.

Der Mercedes-Pilot muss sich in den verbleibenden WM-Läufen eigentlich bloß aus allem Ärger raushalten, Fehler in Serie vermeiden und von großem Pech verschont bleiben – dann hat die Formel 1 bald ihren dritten deutschen Weltmeister nach Michael Schumacher und Sebastian Vettel.

Wird Rosberg im überlegenen Silberpfeil hinter dem Teamrivalen Hamilton viermal Zweiter, reicht das schon. Gewinnt Rosberg in den USA und eine Woche später in Mexiko (30. Oktober), und der Brite verpasst dabei nur einmal den zweiten Rang, dann ist Rosberg sogar schon Ende Oktober Titelträger.

All das kann Rosberg nun schaffen – den Zweiflern zum Trotz, die ihm zeit seiner Karriere fehlende Härte attestieren. Der junge Familienvater hat nie die Kompromisslosigkeit auf der Strecke entwickelt, wie sie etwa Michael Schumacher ausgezeichnet hat. Er hat sich kaum mal auf öffentliche Psychospielchen eingelassen, die Rivale Hamilton so perfekt beherrscht.

Neben seinem Rennfahrer-Talent, das er schon mit Titeln in den Nachwuchsserien bewies, wirft Rosberg andere Stärken in die Waagschale. Seit seinem Debüt 2006 ist er ein Musterschüler. Vor allem seine Akribie in der Vor- und Nachbereitung eines Rennwochenendes wird zur immer größeren Stärke.

Und dass es nun im dritten Jahr gegen Hamilton vielleicht endlich zum großen Triumph reicht, hat weitere Gründe. „Dass Nico ein sehr guter Fahrer ist, wissen wir, seit drei Jahren zeigt er durchgehend großartige Leistungen im Qualifying“, sagt Mercedes-Technikchef Paddy Lowe: „Aber in diesem Jahr hat er auch seine Fähigkeiten im Rennen noch einmal verbessert, er ist viel stärker im Positionskampf.“

Auch Niki Lauda, Aufsichtsratschef des Mercedes-Teams, sieht 2016 einen Rosberg mit „mehr Biss“. Bestätigt dieser die Eindrücke weiterhin, dann gehört der Titel in ganz naher Zukunft ihm. Er selbst will sich aber weiter mit der Gegenwart befassen, so fühle man sich am wohlsten. „Man sollte nicht zu viel über seine Hoffnungen und Wünsche nachdenken“, sagt er. Und räumt dann doch ein: „Auch wenn das eine sehr schwierige Angelegenheit ist.“

Hamilton dagegen hat den Kampf um seinen WM-Titel angenommen und Schwung geholt für den Endspurt der Formel-1-Saison. Im ersten freien Training des Großen Preises der USA drehte der Engländer die beste Runde. „Amerika war schon immer ein gutes Jagdrevier für mich, ich freue mich darauf, um den Titel zu kämpfen“, sagte der britische Weltmeister.

Dass der Kampf um den Sieg eine exklusive Angelegenheit für Mercedes werden dürfte, daran besteht kaum ein Zweifel. Im Training wurde Red-Bull-Youngster Max Verstappen (Niederlande) Dritter, hatte dabei allerdings fast zwei Sekunden Rückstand. Hinter dem viertplatzierten Ferrari-Piloten Kimi Räikkönen (Finnland) schaffte es Nico Hülkenberg (Emmerich) im Force India auf den guten fünften Platz. Sebastian Vettel (Heppenheim) hat im zweiten Ferrari als Achter dagegen viel Luft nach oben. Zum wenig eindrucksvollen Auftakt Vettels passte eine ungewöhnliche Panne: Der Heppenheimer beschädigte sich den rechten Rückspiegel und musste diesen mit einer Hand festhalten, während er die Box ansteuerte.