Hamburg. Bei den German Open trifft sich die internationale Elite der neuen olympischen Sportart Karate in der Sporthalle Hamburg.

Spätestens wenn sich einer an die Königskata „Unsu“ wagt, wird es still auf den Rängen. Die Zuschauer halten den Atem an: Wird der 360-Grad-Sprung mit Rückwärtsfußtritt kurz vor dem Ende der Übung gelingen? Überzeugt die Vorstellung, brandet so lauter Jubel auf, dass der abschließende Kampfschrei des Karateka bei seinem finalen Fauststoß fast untergeht.

Solche Gänsehautmomente werden auch die German Open bieten, die am Freitag in der Sporthalle Hamburg beginnen. Fast 1200 Athleten aus 72 Nationen zeigen drei Tage lang Kampfkunst auf Topniveau. Der Wettkampf ist Teil der K1 Karate Premier League, einer internationalen Turnierreihe des Weltverbands WKF. Für das Team Deutschland sind die German Open eine Generalprobe: Vier Wochen nach dem Turnier finden die Weltmeisterschaften in Linz statt. Unter den Zuschauern werden viele der rund 2500 Hamburger sein, die in 55 Karatevereinen trainieren, dazu Besucher aus dem Bundesgebiet, Hunderte Schlachtenbummler aus aller Welt und etwa 200 Betreuer. Ob alle 4200 Plätze besetzt sein werden, sei schwer zu prognostizieren, da die Eintrittskarten nur an der Tageskasse verkauft würden, sagt Frank Miener, Sprecher des Deutschen Karate-Verbands.

Wettkampfkarate besteht aus zwei Disziplinen: Zum einen ist da die Kata, ein stilisierter Kampf gegen imaginäre Gegner, bei dem der Karateka eine festgelegte Abfolge von Techniken zeigt. In der Teamkategorie kämpfen drei Karateka gleichzeitig, was eindrucksvoll wirkt, wenn die Darbietung synchron ist. Je schneller und kraftvoller die Athleten ihre Schläge ausführen, desto lauter „knallen“ ihre Anzüge durch die Bewegung. Wer den ersten von zehn Meistergraden (Dan) erwerben will, muss in der Stilrichtung Shōtōkan mindestens zwölf Kata beherrschen. Bei Weltklasseturnieren zeigen die Athleten durchweg anspruchsvollere Kata, die erst vom zweiten Dan an gefordert sind.

Bei den German Open starten für Deutschland die Teamweltmeisterinnen Jasmin Bleul, Christine Heinrich und Sophie Wachter. Im Einzel wird Vizeweltmeister Ilja Smorguner sein Können zeigen. Von den internationalen Topstars ist Antonio Díaz aus Venezuela vertreten, der die WM 2012 gewann und zudem diverse Premier-League-Turniere in dieser Saison.

Sie alle betreiben neuerdings eine olympische Disziplin. Erst Anfang August wurde Karate ins Programm der Sommerspiele 2020 in Tokio aufgenommen. Karate wird dann mit zwei Kata- und sechs Kumite-Kategorien vertreten sein.

Kumite ist der richtige Zweikampf. Zu den deutschen Topstars, die in Hamburg starten, gehören der fünffache Europameister und zweifache World-Games-Sieger Jonathan Horne und die amtierende Vizeweltmeisterin Duygu Bugur. Von den internationalen Topstars hat der amtierende Weltmeister Enes Erkan aus der Türkei zugesagt.

Die Kunst ist, den Schlag oder Tritt rechtzeitig zu stoppen

Zu sehen bekommen die Zuschauer Karate mit leichtem Kontakt – so, wie es in Deutschland überwiegend trainiert und auch von den wichtigsten internationalen Verbänden befürwortet wird. Das bedeutet: Den Rumpf des Gegners – vor allem den Bauch – darf der Angreifer treffen ohne K.-o.-Wirkung; tabu sind hingegen insbesondere der Kopf, aber auch Gelenke, Arme und Beine – hier muss der Schlag oder Tritt wenige Zentimeter davor gestoppt werden. Kommt es doch zu Berührungen, tolerieren die Kampfrichter dies meist bis zu einem bestimmten Grad; landet der Angreifer einen harten Treffer am Kopf des Gegners, wird er disqualifiziert. So viel Kontrolle über den Körper zu erlangen, dass so etwas nicht passiert, üben Karateka in der Regel erst einige Jahre beim Kihon, wie die Technik-Grundschule heißt, bevor es in den Freikampf geht.

Ernste Verletzungen seien im Karate selten, auch deshalb, weil viele Fortgeschrittene inzwischen Hand- und Fußschoner sowie einen Gebiss- und Genitalschutz nutzten, sagt Joachim Kraatz (75), Präsident des Hamburger Verbands und Träger des sechsten Dan. Wer sich dem schwarzen Gürtel nähere, müsse jedoch mit einigen blauen Flecken umgehen können.

Dabei hatte der legendäre Gichin Funakoshi das moderne Karatedō (japanisch „Weg der leeren Hand“) zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf Okinawa als reine Selbstverteidigungskunst entwickelt, die ohne Waffen auskommt. Zu seinen Prinzipien gehörte: Im Karate gibt es keinen ersten Angriff. „Seine Philosophie sah vor, dass schon die erste Abwehr so hart sein sollte, dass der Angreifer aufgibt“, sagt Kraatz.