Mönchengladbach. Bastian Schweinsteiger verabschiedet sich beim 2:0 gegen Finnland hochemotional aus der Nationalmannschaft. Starke TV-Quote.

Oft hatte er vorher an diesen Abend gedacht. Wie es wohl sein würde, wie es sich anfühlen würde? Aber als der Moment gekommen war, da überraschte Bastian Schwein-steiger die Wucht des Ereignisses irgendwie doch. Blumen gab’s vor dem Testspiel und eine Bildercollage aus seinen zwölf Jahren Nationalmannschaft. Lang anhaltender Applaus von den Rängen. Das war der Moment, der ihn dann doch übermannte.

Schweinsteiger weinte, nein, er schluchzte, versuchte sein Gesicht in der Ellenbogenbeuge vor den Kameras zu verstecken. Dann blickte er wieder auf - in die Richtung, in der sich auf der Tribüne auch seine Familie um seine Eltern Alfred und Monika sowie Bruder Tobias versammelt hatte. Letzterer wurde von dem Gefühlsausbruch seines Blutsverwandten derart angesteckt, dass er ebenfalls feuchte Augen bekam.

Jeder dritte Fernsehzuschauer (30,0 Prozent Marktanteil) sah den Abschied des Kapitäns am Mittwochabend. 8,14 Millionen TV-Gucker schalteten das ZDF ein und wollten das eigentlich unbedeutende Testspiel gegen Finnland sehen. Doch bedeutend würde es mit dem "Schweini"-Servus.

Unten schnaufte Bastian Schweinsteiger durch und sprach, das sorgsam gescheitelte Haar schon schwer durcheinander, in das Stadionmikrofon. „Es war mir eine große Ehre, für Deutschland und euch Fans zu spielen. Vielen, vielen Dank für die tollen Momente.“ Dieser vor dem 2:0 (0:0)-Sieg der deutschen Fußballer im Test- und Schweinsteigerverabschiedungsspiel in Mönchengladbach wird auf ewig einen festen Platz im Gedächtnis des Kapitäns haben, der sein 121. und letztes Länderspiel absolvierte.

Stadion nur mäßig gefüllt

Es war eines, in dem jede noch so banale Aktion des 32-Jährigen mit so viel Szenenapplaus gefeiert wurde, als habe er eine Flanke geschlagen und selber ins Tor geköpft. 30.121 Zuschauer hatten sich dann doch eingefunden, um den WM-Helden gebührend in den Nationalmannschaftsruhestand zu begleiten. Sie sahen ein Spiel, in dem Schweinsteiger das zentrale Mittelfeld allein zur Betreuung anvertraut wurde.

Hinter ihm verteidigte unter anderem Niklas Süle und feierte somit sein schwarz-rot-goldenes Debüt. Vor ihm tobte sich mit Max Meyer, Kevin Vol­land, Julian Brandt und Mario Götze ein im Vergleich zu Schweinsteiger jugendliches Quartett aus, das allerdings zunächst keine Tore zustande brachte. Aber immerhin war Schweinsteigers Hoffnung für dieses Spiel von Bundestrainer Joachim Löw erfüllt worden.

„Ich brauche ausdauernde Läufer neben mir“, hatte er am Tag vorher für die Aufstellung gefordert. Der alte, graue Mann delegierte mit seinen Pässen die restlichen Aufgaben. Erster Torschuss nach 14 Minuten durch Max Meyer. Vorlage? Schweinsteiger, versteht sich. Weitere Chancen? Gab es. Aber Vollands Versuch wurde noch von der Linie geschlagen (24.), ein Querschläger des Finnen Paulus Arajuuri landete am Pfosten (27.), und Götze wartete nach einem hübschen Tänzchen durch die Defensive zu lange mit seinem Abschluss (32.).

Team arbeitet angestrengt vor sich hin

Eigentliches Ziel des Abends war es aber nicht, irgendein schnödes Tor zu erzielen, sondern am besten alles so vorzubereiten, dass der ergraute Maes­tro noch zu einem eigenen Erfolgserlebnis käme. In Mönchengladbach schoss er im Jahr 2005 seine ersten beiden Tore für Deutschland, 2:2 endete die Partie gegen Russland. Max Meyer war da acht Jahre alt.

Die Ernsthaftigkeit der bevorstehenden Aufgabe am Sonntag, der ersten Partie in der WM-Qualifikation gegen Norwegen, gebietet die Feststellung, dass die doch sehr runderneuerte deutsche Mannschaft über weite Strecken angestrengt vor sich hin arbeitete. Die wenigen Chancen, die es gab, konnten also schwerlich alle Bastian Schwein­steiger vor die Füße fallen. Daher sorgten sich dann also doch erst mal andere um das richtige Ergebnis. Götzes flache Hereingabe ließ Volland feinsinnig durch, und in der Mitte rauschte der nicht mehr achtjährige Meyer heran und schob den Ball ins Tor (55. Minute).

Flitzer umarmt Schweinsteiger

Zehn Minuten später hätte Götze erhöhen müssen, doch mit seinem Schuss aus fünf Metern scheiterte er am heranstürzenden Janne Saksela. Mesut Özil erzielte in der 77. Minute noch den zweiten Treffer. Doch das Ergebnis hatte da schon längst nur noch statistischen Wert. Längst ging es wieder nur um Schweinsteiger. Ein Flitzer rannte nach einer Stunde auf das Feld. Sein Ziel: der Profi von Manchester United. Umarmung am Mittelkreis, Selfie am Mittelkreis. Dann verschwand der Mann wieder, ohne dazu von Ordnern gedrängt worden zu sein. Er hatte ja, was er wollte.

Nur sieben Minuten später war die Zeit für den Abschied gekommen. Die Sieben leuchtete an der Seitenlinie auf, das Zeichen für die Auswechslung, die letzte Auswechslung. Die Menschen im Stadion erhoben sich. Beifall regnete warm herab, während Bastian Schweinsteiger das Feld verließ. Er winkte ins Publikum, bedankte sich. Die Kapitänsbinde nahm er am Arm mit aus dem Spiel. Sie wird neu vergeben werden (an Manuel Neuer), aber nicht mehr an diesem Abend, der sein Abend war. An der Seitenlinie wartete zur Einwechslung Julian Weigl, groß geworden im gleichen Jugendverein (1860 Rosenheim). Generationswechsel. Schwein­steiger übertrat die Seitenlinie, umarmte Weigl, umarmte Löw. Und aus den Tränen war ein Lächeln geworden.

Deutschland: ter Stegen (46. Leno) – Kimmich, Mustafi, Süle (58. Tah) – Schweinsteiger (68. Weigl) – Bellarabi, Meyer, Hector (63. Özil) – Brandt (78. Müller), Volland - Götze. Tor: 1:0 Meyer (55.)., 2:0 Özil (77.) – SR: Alexey Kulbakov (Weißrussland). – Z.: 30.121.