Kribbeln, Kleinkinder-Betreuung und Unterstützung von Brüdern: Das Abendblatt begleitet vier Sportler auf dem Weg nach Rio.

Dopingskandale und Gnade für die russischen Betrüger; Zika-Virus und Terrorangst; verstopfte Klos im Athletendorf und lange Wege zwischen den Wettkampfstätten. Wer in diesen Tagen die Nachrichten aus Rio de Janeiro und rund um das Internationale Olympische Komitee (IOC) verfolgt, dem wird es nicht leichtfallen, Vorfreude auf die Sommerspiele in Brasilien zu empfinden, die am 5. August im Maracana-Stadion eröffnet werden. Natürlich sind auch die vier Hamburger Athleten, die das Abendblatt seit Anfang Februar in loser Folge auf ihrem Weg nach Rio begleitet, mit diesen Themen konfrontiert. Warum Hockeyspielerin Lisa Altenburg, Beachvolleyballerin Laura Ludwig, Ruderer Eric Johannesen und Boxer Artem Harutyunyan trotzdem froh sind, dass es losgeht, beschreiben sie im vierten Teil dieser Serie.

Hockeyspielerin Lisa Altenburg

Hockeyspielerin Lisa Altenburg
Hockeyspielerin Lisa Altenburg © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Die Ruhe am vergangenen Sonntag hat Lisa Altenburg genossen. Töchterchen Sophie (3) war von ihren Eltern abgeholt worden, sodass die Hockey-Nationalstürmerin vom Uhlenhorster HC endlich Zeit fand, ihre umfangreiche Packliste abzuarbeiten. Immerhin war sie die erste Athletin aus dem Quartett, die in Richtung Südamerika aufbrechen durfte. Am Montag reiste das Damenhockeyteam nach Rio, um seine Zimmer im olympischen Dorf zu beziehen. Einen Tag später ging es weiter nach Argentinien. Dort steht in diesen Tagen Akklimatisieren auf dem Programm, eingebettet darin sind zwei Tests gegen die Gastgeberinnen, ehe am 1. August dann endgültig Rio wartet. „Ich freue mich riesig auf das Turnier, mein Fokus liegt komplett auf dem Sport“, sagt Lisa Altenburg, die 2012 in London ihre ersten Spiele erlebte und deshalb viel entspannter nach Rio reist, als es die vielen Debütantinnen im Team können.

Für die 26-Jährige hieß es am vergangenen Wochenende allerdings Abschied nehmen von ihrem Kind. Für eine Mutter ist das eine hohe mentale Belastung, die beide allerdings von voran­gegangenen Hockeyreisen kennen. Und die Trennung ist ja auch nicht von allzu langer Dauer, immerhin reisen Lisas Eltern, die in Mönchengladbach leben, am 6. August mit der Enkeltochter nach Rio, um dabei zu sein, wenn deren Eltern ihre großen Auftritte haben. Schließlich kämpft ja nicht nur die Mama um eine Medaille. Auch Papa Valentin ist als Bundestrainer der Hockeyherren im Goldrausch.

„Das Schöne ist, dass Sophie es liebt, mit Oma und Opa Zeit zu verbringen. Dafür sind Valentin und ich sehr dankbar, weil es uns vieles erleichtert“, sagt die Torjägerin. Wie viel Zeit tatsächlich bleibt, um im Moloch Rio abseits der Spiele die Familie zusammenzuführen, kann noch niemand absehen. „Aber nach den Spielen werden wir uns immer sehen können. Das tut mir sehr gut“, sagt Lisa Altenburg. Sorgen um die Sicherheit ihrer Kleinen macht sie sich nicht. „Wir haben sie, genau wie uns selbst, gegen Hepatitis A geimpft und ausreichend Insektenschutz gekauft. Das wird schon alles klappen“, sagt sie.

Dass es durchaus anspruchsvoll war, die Reise logistisch zu planen, verhehlt die Edeltechnikerin nicht, die ihren zu Jahresbeginn erlittenen Ermüdungsbruch im rechten Fuß komplett ausgeheilt hat und sich voll einsatzfähig fühlt. Zweimal 23 Kilogramm plus ein Handgepäck dürfen die Athleten mitnehmen. Doch wenn man weiß, dass darin die komplette Ausrüstung – Schläger, Zahn- und Handschutz sowie je zwei Sätze schwarze und weiße Trikots – enthalten sein muss, relativiert sich die Menge.

Wer nur zu den Spielen fliegt, braucht zwar nicht viel Freizeitkleidung, da auf allen Terminen die offizielle Teamausrüstung getragen werden muss. Aber Lisa und Valentin Altenburg werden nach den Spielen noch eine Woche länger in Rio bleiben, um mit Sophie und den Großeltern die Stadt zu erkunden, was während des laufenden Turniers unmöglich ist. „Also musste ich auch noch ein paar Strand-Outfits mitnehmen“, sagt sie. Zudem dürfen ein Laptop und ein E-Book-Lesegerät im persönlichen Gepäck nicht fehlen. Und ihr Kuscheltier, ein Hase, ist als Talisman dabei. „Der hilft mir auch, wenn ich Sophie vermisse.“

Boxer Artem Harutyunyan

Der Boxer Artem Harutyunyan
Der Boxer Artem Harutyunyan © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Einen Talisman, der über die Sehnsucht nach der Familie hinwegtröstet, braucht Artem Harutyunyan nicht – er hat ja seinen Bruder immer bei sich. Der ein Jahr ältere Robert, der im Leichtgewicht knapp am Rio-Ticket vorbeischlug, ist als Betreuer mit im Team des Halbweltergewichtlers (Klasse bis 64 Kilogramm), der während der Spiele 26 Jahre alt wird. Da er nicht im olympischen Dorf wohnen darf, hat sich Artem besonders gefreut, dass sein Trainingskollege vom Bundesstützpunkt Schwerin, Weltergewichtler Araik Marutjan, beim letzten Qualifikationsturnier Anfang Juli in Venezuela die Brasilien-Reise buchte.

„Araik und ich teilen uns auf Wettkämpfen immer ein Zimmer, deshalb bin ich froh, dass er nun auch in Rio dabei ist“, sagt der Weltmeister der Profiserie APB des olympischen Weltverbands Aiba, den viele als Favoriten auf die Goldmedaille in seinem Gewichtslimit ansehen. Auch wenn sein letzter Wettkampf bereits Ende April bei einem Turnier in Belgrad stattfand, das er gewann, wähnt sich der gebürtige Ar­menier in bester Verfassung. Ein drei­wöchiges Höhentrainingslager in Sölden (Österreich) sowie ein intensiver Sparringslehrgang mit internationaler Konkurrenz in Hennef vor dem Abflug am Mittwoch haben dem für TH Eilbeck startenden Athleten viel Selbstvertrauen gegeben.

Mit dem sechs Sportler umfassenden deutschen Team akklimatisiert sich Artem Harutyunyan noch bis zum 2. August in der Hauptstadt Brasilia, bevor es nach Rio geht. Sein Wettbewerb startet zwar erst am 10. August, das persönliche Programm hat er sich aber schon bereitgelegt. Die Eröffnungsfeier will er besuchen, Freunde beim Taekwondo und beim Ringen anfeuern, aber auch die Christusstatue auf dem Berg Corcovado besichtigen. „Ich will bei meiner Olympiapremiere alles aufsaugen, was möglich ist, denn wer weiß schon, ob ich noch einmal die Chance habe, bei Olympia dabei zu sein“, sagt er. Bruder Robert wird als Social-Media-Beauftragter alles in Bild und Video festhalten.

Ruderer Eric Johannesen

Der Ruderer Eric Johannesen
Der Ruderer Eric Johannesen © Andreas Laible | Andreas Laible

Auf seinen Bruder muss auch Eric Johannesen in Rio nicht verzichten. Torben, sieben Jahre jünger als der 28 Jahre alte Ruder-Olympiasieger von London 2012, ist als Ersatzmann für den Achter nominiert. „Ich finde es total schön, dass er mit dabei ist. Für mich ist das nicht ansatzweise eine Belastung, auch wenn für ihn alles neu ist und er in seiner Rolle nicht in der ersten Reihe steht. Aber Torben hat sich super eingestellt und ist eine Bereicherung für das gesamte Team“, sagt Eric Johannesen.

In der Nacht zu Mittwoch reisten die Brüder vom RC Bergedorf nach Brasilien, im Gepäck eine gehörige Portion Zuversicht. Die Ausdauergrundlagen aus dem dreiwöchigen Trainingslager in Völkermarkt (Österreich) und der Sieg bei der Rio-Generalprobe im Weltcuprennen im polnischen Posen im Juni haben für viel Rückenwind gesorgt. Das abschließende Trainingslager in Ratzeburg hat die Mannschaft genutzt, um sich auf die widrigen Hygienebedingungen im Lagoa-Stadion an der Copacabana vorzubereiten, wo am 8. August der Vorlauf ansteht.

„Wir mussten uns vor allem darauf konditionieren, nicht mit den Händen ins Gesicht zu fassen, weil die Gefahr groß ist, dass kontaminiertes Spritzwasser zu Krankheiten führt“, sagt Eric Johannesen. Wie häufig man unterbewusst die Finger in Richtung des Gesichts führt, wurde den Sportlern in den vergangenen Wochen bewusst gemacht. Nun fühlen sie sich gewappnet, werden aber neben dem obligatorischen Mücken- und Sonnenschutz auch Desinfektionsmittel für die Hände auftragen, um Keime abwehren zu können. Fällt im Achter nur ein Athlet aus, kann das schon die Medaille kosten, die alle vom Flaggschiff erwarten.

Johannesen hat versucht, sich von all diesen negativen Gedanken freizumachen. Er will seine zweiten Spiele genießen, so gut es geht. „In London habe ich alle Highlights erlebt, sodass ich diesmal entspannter an die Sache gehen und mir punktuell die Dinge aussuchen werde, die mich interessieren.“ Ein Programmpunkt allerdings, der steht schon fest: Beachvolleyball an der Copacabana mit den Team-Hamburg-Kolleginnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst wird er sich nicht entgehen lassen.

Beachvolleyballerin Laura Ludwig

Die Volleyball-Spielerin Laura Ludwig
Die Volleyball-Spielerin Laura Ludwig © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Über die Aufmerksamkeit von anderen Sportlern freut sich Laura Ludwig immer. Eine prickelnde Atmosphäre, und die darf man ob der Begeisterungsfähigkeit der Brasilianer für Strandsport beim Beachvolleyball an der Copacabana erwarten, kann die entscheidenden Prozente Leistungsfähigkeit mobilisieren. Angesichts des Programms, das die HSV-Athletin mit Partnerin Kira Walkenhorst absolviert hat, ist jede Unterstützung willkommen. Nach dem Gewinn des EM-Titels im Juni in Biel (Schweiz) spielte das Duo, das die Weltrangliste anführt, Majorturniere in Hamburg, Polen, Kroatien und der Schweiz, aktuell sind sie in Klagenfurt (Österreich) aktiv.

„Der Körper ist schon irgendwann müde“, gibt die 30-Jährige zu, „aber wir haben so viel an der Athletik gearbeitet, dass wir vier Wochen am Stück durchspielen können.“ Es sei schön zu sehen, dass der vom Trainerteam aufgestellte Vierjahresplan so gut gegriffen habe. „Das gibt Vertrauen in die Arbeit der Trainer.“ Das Turnier in Klagenfurt sei, nachdem sie in den beiden Wochen davor regenerativ in Bern und Hamburg trainiert hatten, für den Spielrhythmus wichtig. „Für uns ist das zusätzliches Training, um den Feinschliff zu bekommen“, sagt Laura Ludwig.

Da sie nach Peking 2008 und London 2012 ihre dritten Spiele erlebt, wird das Kofferpacken am Montag mit Routine erledigt. Am 2. August ist Abflug, fünf Tage später startet in Rio die Gruppenphase. „Ich weiß, was auf uns zukommt, und werde versuchen, Kira bei ihrer Premiere bestmöglich zu unterstützen“, sagt sie.

Das Kribbeln, mit dem sich die olympische Vorfreude ankündigt, will sich die gebürtige Berlinerin auch von den vielen schlechten Nachrichten nicht nehmen lassen. Die sechs deutschen Beachvolleyballer wohnen zwar in Apartments in Ipanema zehn Fahrradminuten vom Stadion entfernt, ihre Zimmer im olympischen Dorf geben sie aber nicht auf. „Ich freue mich riesig auf die Atmosphäre und auf das Turnier“, sagt Laura Ludwig, „es wird nur Zeit, dass es jetzt endlich losgeht!“