Hamburg. Die in Hamburg lebende Tischtennisspielerin Funke Oshonaike tritt in Rio de Janeiro zum sechsten Mal für ihr Heimatland Nigeria an

Mit einem tiefen Seufzer plumpst Funke Oshonaike auf das Ledersofa, das im Eingangsbereich des McFit-Studios in Steilshoop steht. Der Körper schmerzt, der Geist ist müde nach zwei Stunden Athletiktraining am Morgen, aber Funke Oshonaike lacht. Das ist an sich keine Nachricht, denn das tut sie häufig. Aber dieses Lachen kündet von mehr als nur dieser afrikanischen Lebensfreude, die die Nigerianerin ausstrahlt. Es ist pure Vorfreude, die sich Bahn bricht, als sie zu erzählen beginnt, denn die physischen Qualen haben ja einen Sinn.

Wenn am 6. August in Rio de Janeiro das olympische Tischtennisturnier startet, wird Funke Oshonaike dabei sein. Zum sechsten Mal hat sich die 41-Jährige, der man das Alter weder von ihrem makellosen Gesicht noch von ihrem drahtigen Körper ablesen kann, für das größte Ereignis qualifiziert, das ein Leistungssportler erleben kann. Sechs Olympiastarts schafften weltweit bislang nur 23 Athleten. Bei den Afrikaspielen im Sommer 2015 in Brazzaville, der Hauptstadt der Republik Kongo, hatte sie sich einen der sechs afrikanischen Startplätze gesichert. „Völlig überraschend“, sagt sie, „denn eigentlich ist der Nachwuchs besser als ich.“

Ob sie es sich antun sollte, nach Brasilien zu reisen, hatte sie sich zunächst gefragt. Immerhin spielt sie schon lange nicht mehr als Profi Tischtennis, sondern nur noch für die Regionalligadamen des SC Poppenbüttel, für die sie laut Abteilungsleiter Mathias Grundei „das Aushängeschild und Vorbild für die Jugend“ ist. Dreimal die Woche abends Training, mehr geht nicht, wenn man wie Funke Oshonaike beim Otto-Konzern im Retourenbetrieb arbeitet und dafür um vier Uhr morgens aufstehen muss. Wenn man zwei Söhne hat, Devine (13) und Unique (9), die die Mama nachmittags beschäftigen. Aber wirklich lang hat die Besinnungsphase nicht gedauert. „Ich habe mir gesagt, dass es nichts Besseres geben kann, als die Karriere mit Olympischen Spielen zu beenden“, sagt sie.

Funke Oshonaike war acht Jahre alt, als sie in ihrer Geburtsstadt Lagos zum ersten Mal einen Tischtennisschläger in die Hand nahm. Neun Geschwister hat sie, vier davon spielten diesen Sport mit dem kleinen weißen Zelluloidball, der damals in Nigeria sehr populär war. „In Lagos gab es überall auf den Straßen Tischtennisplatten, man musste bezahlen, um darauf spielen zu dürfen“, erinnert sie sich. Die ersten Versuche unternahm sie mit ihren Brüdern auf dem Küchentisch in ihrem Elternhaus, und wenn gerade kein Spielpartner zur Verfügung stand, spielte sie gegen eine Wand.

Dass sie mehr Talent hatte, um nur in der heimischen Küche zu schmettern, entdeckte ein Scout des Verbands, als sie an einer der öffentlichen Platten spielte. „Er fragte, ob ich nicht Lust hätte, für Nigeria zu spielen.“ Hatte sie, und weil die Lust, in ihrem Sport zu Ehren zu kommen, größer war als der Drang, einen herkömmlichen Beruf zu lernen, brach Funke Oshonaike als 18-Jährige ihr Studium und ihre Zelte in Lagos ab, um als Profi nach Italien zu gehen. 1994 war das, „und der Schritt fiel mir nicht schwer, denn ich hatte Lust, Neues zu entdecken“, sagt sie.

Zwei Jahre zuvor hatte sie kurz vor ihrer ersten Olympianominierung gestanden, doch eine 17-Jährige mit nach Barcelona zu nehmen erschien dem damaligen Nationaltrainer als zu früh. „Das war für mich der Anstoß zu meiner olympischen Karriere. Damals habe ich mir geschworen, alles zu tun, um es zu den Spielen zu schaffen“, sagt sie. Als sie dann 1996 im Kader für Atlanta stand, da war das wie die Erfüllung eines Traums, auf die sie zwar hingearbeitet hatte, aber mit der sie nie gerechnet hätte. „Amerika“, sagt sie, „das war damals für mich das Größte!“

In London qualifizierte sie sich 2012 für die erste Hauptrunde

Und genau so hat sie ihre ersten Erfahrungen unter den fünf Ringen auch in Erinnerung. „Atlanta ist bis heute das prägendste Erlebnis meines Lebens.“ Die riesigen Einkaufszentren, der Lebensstil der Amerikaner, ihre Freundlichkeit, das olympische Dorf mit einem kulinarischen Angebot, das sie in dieser Fülle nicht kannte – all das hat sich dermaßen in ihr Langzeitgedächtnis eingebrannt, dass sie die Bilder von vor 20 Jahren alle abrufen kann, während sie aufgeregt auf dem Sofa im Steilshooper Fitnessstudio hin- und herrutscht.

Die Jahrtausendspiele vier Jahre später im australischen Sydney hat sie dagegen in schlechter Erinnerung, was einen persönlichen Hintergrund hat. „Ein Mitglied des nigerianischen Teams ist bei einem Unfall gestorben, das hat total auf die Stimmung gedrückt.“ 2004 in Athen habe sie sich von den vielen Sicherheitskräften ebenso genervt gefühlt wie von den logistischen Problemen und der miesen Stimmung in den Arenen. „Das waren keine schönen Spiele.“

Peking 2008 dagegen habe sie sehr genossen. Einerseits, weil Tischtennis in China Nationalsport ist und die Menschen alle Teilnehmer wie Stars gefeiert hätten. Andererseits, „weil man dort super shoppen gehen konnte, weil alles so billig war“. Das Gegenteil davon erlebte sie vier Jahre später in London. „Dort war es wahnsinnig teuer. Außerdem hat mich London an Lagos erinnert, so viele Nigerianer waren da. Das war für mich nichts Besonderes.“

In diesen Momenten wird deutlich, dass Funke Oshonaike die Spiele ihres Lebens nicht vorrangig nach ihrem Abschneiden bewertet, sondern vor allem die Rahmenbedingungen im Blick hat. „Das olympische Motto ,Dabeisein ist alles‘ ist für mich erfunden worden“, sagt sie – und lacht so laut, dass sogar die aufgepumpten Kraftprotze von ihren Foltermaschinen aufschauen. Funke Oshonaikes bestes Ergebnis war 2012 die Qualifikation für die Hauptrunde. Dort verlor sie gegen die für Italien startende Chinesin Tan Wenglin chancenlos mit 0:4 Sätzen. Bei den anderen vier Teilnahmen war schon in der Qualifikation Schluss, dennoch blieb sie für die Dauer der Spiele. „Ich muss doch die anderen Nigerianer anfeuern. Wir sind ein Team, egal in welcher Sportart. Das ist unser Selbstverständnis.“

In Rio wird das wieder so sein. Natürlich weiß sie, dass es fast unmöglich ist, ihr Resultat von London zu toppen. Zwar hat sie seit Anfang Juli Urlaub, um fünfmal in der Woche in der Halle des SC Poppenbüttel zu trainieren und zusätzlich in Steilshoop, wo sie mit ihren Söhnen und ihrem nigerianischen Ehemann lebt, den sie in Hamburg kennenlernte, ihr Krafttraining zu machen. „Aber das Niveau, das die Weltspitze hat, ist für mich nicht zu erreichen.“

Für die Spiele in Rio opfert sie ihren Jahresurlaub

Die Spiele in Brasilien will sie bis zum letzten Tag genießen. Es ist schließlich ihr Jahresurlaub, den sie opfert, entsprechend „muss ich mir auch Zeit nehmen, um Urlaub zu machen“. Um nicht allzu lang von ihren Jungs, die Basketball und Fußball spielen, aber von Tischtennis nicht viel wissen wollen, getrennt zu sein, verzichtet sie auf das Trainingslager in Nigeria und reist direkt nach Rio. Aber die 16 Wettkampftage, die wird sie auskosten, wird andere Sportarten besuchen und auch den brasilianischen Alltag erkunden. „Ich war noch nie in Südamerika und freue mich riesig darauf, endlich die schönen Sambatänzerinnen live zu erleben.“

Und was kommt nach Rio, wenn sie international die Tischtennisplatte endgültig zusammenklappt? Funke Oshonaike würde gern Trainerin werden, in Nigeria. Nicht dass es sie dort dauerhaft hinzieht, nein, dazu ist der Trubel um sie viel zu groß. „Dort bin ich eine Legende, ich kann nirgendwo hingehen, ohne dass ich bestürmt werde.“ Zweimal im Jahr besucht sie die Familie, und nach zwei Wochen zieht es sie mit Macht zurück nach Hamburg, in die Stadt, in der sie seit 1998 glücklich ist mit ihrem beschaulichen Leben.

Aber sie möchte gern etwas zurückgeben von dem, was ihr Sport ihr ermöglicht hat. Sie möchte Tischtennis wieder auf das Niveau bringen, das es hatte, als sie damals ihre ersten Schlagversuche machte in den Straßen von Lagos. „Ich helfe natürlich auch beim SC Poppenbüttel“, sagt sie, „aber in Nigeria braucht man mich mehr als in Hamburg.“ Dann steht sie auf vom Sofa, mit einem Ruck und neuer Energie. Sie muss noch ihr Stretchingprogramm hinter sich bringen. Ist ja schließlich nicht nur Spaß, der in Rio auf sie wartet.