Nizza . Hohn und Spott für England nach dem EM-Aus – Trainer Hodgson zurückgetreten – Rooney will weitermachen

Beschämt und mit grimmigen Mienen flüchteten Wayne Rooney & Co. so schnell wie möglich vom Ort ihrer historischen Demütigung. Nach dem peinlichen Aus im EM-Achtelfinale gegen Island hat der englische Fußball einen neuen Tiefpunkt erreicht – mit Hohn, Spott und blanker Verachtung werden die Three Lions und ihr zurückgetretener Coach Roy Hodgson in der Heimat empfangen. „In Englands 144-jähriger Geschichte ist nichts mit dieser Schande vergleichbar. Nichts. Nach 959 Spielen war das die demütigendste Niederlage“, ätzte die „Times“ über „hirntoten Fußball“ beim 1:2. „Gegen ein Land von 330.000 Einwohnern, trainiert von einem Zahnarzt. England hat letzte Nacht aufgehört, ein Fußball-Team zu sein und ist nur noch eine Lachnummer.“

Nur 19 Minuten nach Vollendung des „erbärmlichen Scheiterns“ („Sun“) vollzog Roy Hodgson den unvermeid­lichen Schritt und verkündete seinen „Brrrexit“ („Mirror“). Mit aschfahlem Gesicht setzte sich der 68-Jährige in den kargen Presseraum des EM-Stadions von Nizza, verlas 155 Sekunden lang monoton sein Rücktritts-Statement und ging sofort durch den Seitenausgang. „Es tut mir leid, dass es so enden muss“, erklärte Hodgson – und kam seinem Rauswurf lediglich zuvor.

Entgegen der ursprünglichen Planungen wollte sich Hodgson am Dienstagnachmittag doch noch einmal den Fragen der Presse stellen. Zuvor war er für sein geplantes Schweigen harsch angegangen worden. „Nach vier Jahren im Amt, 14 Millionen Pfund und drei fehlgeschlagenen Turnieren verdienen die Fans mehr als eine 300-Wörter-Stellungnahme“, kritisierte ein „Times“-Journalist.

Vorbei alles Gerede von einer vermeintlich leuchtenden Zukunft dieser jungen Generation. Vorbei die Träume von einem Ende des halben Jahrhunderts voller Schmerz ohne Titel. Nur zwei Jahre nach dem schmachvollen Vorrunden-Aus bei der WM in Brasilien ist jede Hoffnung dahin. „Die schlimmste Pleite unserer Geschichte. England wird von einem Land mit mehr Vulkanen als Profi-Fußballern geschlagen“, höhnte der Ex-Kapitän Gary Lineker. Selbst das 0:1 gegen Fußball-Entwicklungsland USA bei der WM 1950 fällt in der Peinlichkeiten-Rangliste dahinter zurück.

Wie schon in den Vorrunden-Partien wusste die zweitjüngste Mannschaft des Turniers ihre Dominanz nicht zu nutzen und schied am Ende hilf-, kraft- und einfallslos völlig verdient aus. Seit mehr als einem Jahrzehnt wartet England nun auf einen Sieg in der K.-o.-Runde eines großen Turniers. Noch nie haben die Three Lions außerhalb Englands ein EM-Endrunden-Match gewonnen, in dem es ums Weiterkommen ging.

Auch ein Versagen der Führungsspieler. Keeper Joe Hart wird im Internet für seinen Patzer vor dem entscheidenden Gegentor verlacht, Rooney konnte dem Offensivspiel nach seinem Foulelfmeter zum 1:0 keine dauerhafte Ordnung verleihen. „Es ist beschämend für uns. Wir sind alle bitter enttäuscht, wir wissen, dass wir die Verantwortung dafür tragen“, gestand der Kapitän. Im Gegensatz zu Hodgson will der 30-Jährige jedoch weitermachen und sein Team zur WM 2018 führen.

Doch mit welchem Coach? „Jetzt ist es an der Zeit für jemand anders, den Fortschritt dieser jungen, hungrigen und extrem talentierten Gruppe zu verantworten“, erklärte Hodgson, der mit der unterirdischen Bilanz von drei Siegen in elf Turnierspielen abtritt.

Doch die Nachfolge-Optionen klingen keinesfalls verlockend. Als Favorit wird U21-Coach Gareth South­gate gehandelt, dem jedoch die Erfahrung auf großer internationaler Bühne fehlt. Die restlichen Kandidaten sind eine Mischung aus Trainern mittelmäßiger bis schlechter englischer Clubs (Alan Pardew, Sam Allardyce), Ausländern über ihrem Zenit (Arsène Wenger, Rafael Benitez) oder TV-Experten, die sich selbst ins Gespräch brachten (Alan Shearer).

Bleiben Überraschungskandidaten. Eigentlich pocht der englische Verband auf Premier-League-Expertise an der Seitenlinie. Doch so verzweifelt wie die aktuelle Lage ist, wäre selbst ein Deutscher aus den gerne belächelten USA nicht undenkbar: Jürgen Klinsmann. „Die FA muss wirklich ein Kaninchen aus dem Hut zaubern, weil es anscheinend keine offensichtlichen Kandidaten da draußen gibt“, erklärte der erfahrene Harry Redknapp im „Telegraph“ – und sagte gleichzeitig ab.

Diese Schlagzeilen und Expertenmeinungen werden Rooney & Co. auch die nächsten Tage verfolgen. Nach einer kurzen Rückkehr ins EM-Quartier von Chantilly geht es in den Urlaub oder zurück in die Heimat. Auf Milde dürfen sie nicht hoffen. „Der Grund, warum die Nation damit kämpft, Mitgefühl oder eine Verbindung zu vielen dieser Spieler aufzubauen, ist das Ego“, analysierte der „Independent“ und versah die Profis mit den folgenden Attributen: „Zu berühmt, zu wichtig, zu reich, zu arrogant.“