Évian-Les-Bains. Jonas Hector über seine Rolle als Linksverteidiger, Holger Stanislawski als Wegbereiter und die Slowakei

Vor dem Achtelfinale am Sonntag gegen die Slowakei spricht der Kölner Jonas Hector (26) im Abendblatt über seinen ungewöhnlichen Karriereweg und sein Fernstudium in Betriebswirtschaftslehre (BWL).

Herr Hector, viele fragen sich, wie es sein kann, dass Sie der einzige Nationalspieler sind, der seit einem Jahr in jedem Länderspiel von Anfang an dabei ist. Kann es daran liegen, dass die linke Abwehrseite seit Philipp Lahms Wechsel vor Jahren nach rechts immer als Problemposition in der Nationalmannschaft gesehen wurde?

Hector: Es wäre natürlich toll, wenn ich mich dauerhaft hinten links etablieren könnte. Aber ich muss Ihnen trotzdem widersprechen…

Nur zu…

Hector: Vor zwei Jahren sind wir in Brasilien Weltmeister mit Benedikt Höwedes als linken Verteidiger geworden. So groß kann das Problem hinten links also gar nicht gewesen sein.

Höwedes war eine Turnierlösung. Davor und danach hat er kaum noch für Deutschland hinten links verteidigt.

Hector: Stimmt. Aber die Turnierlösung hat funktioniert. Unabhängig vom Turnier will ich mich natürlich auf dieser Position festbeißen. Ich will mich hier in Frankreich beweisen und etablieren.

Joshua Kimmich hat neulich verraten, dass er sich YouTube-Videos von Philipp Lahm anguckt, um sich Anschauungsmaterial für seine Rolle als Rechtsverteidiger zu besorgen. Wen googeln Sie?

Hector: Ich schaue schon genau hin, wie andere Spieler die Rolle des Linksverteidigers interpretieren. Barcelonas Jordi Alba zum Beispiel. Oder Luís Felipe, der es bei Atlético Madrid überragend macht, aber ganz anders als Alba. Generell bin ich ja nun aber auch schon eine ganze Weile Linksverteidiger, da muss ich mir jetzt nicht mehr jeden Abend Vorbilder im Internet suchen.

Sie waren früher im offensiven Mittelfeld, dann im defensiven Mittelfeld und sind nun bis nach hinten links durchgereicht worden. War diese Versetzung der entscheidende Schlüssel für Ihre Karriere?

Hector: „Durchgereicht“ ist eine unfaire Formulierung, finde ich. Aber sicher wäre ich auf einer anderen Position nicht hier. Als offensiver Mittelfeldspieler wäre ich jedenfalls kein Nationalspieler geworden. Trainer Holger Stanislawski war es, der mich von den Amateuren zu den Profis beim FC hochgezogen hat. Damals war ich noch defensiver Mittelfeldspieler. In der Vorbereitung hatte er dann die Idee, mich als Linksverteidiger auszuprobieren – und auf dieser Position habe ich mich dann irgendwie festgebissen.

Sie werden immer noch von einigen unterschätzt. Viele in Deutschland unterschätzen auch den kommenden Gegner Slowakei…

Hector: Wichtig ist, dass wir sie nicht unterschätzen. Wir hatten ein Testspiel gegen die Slowakei (1:3), das uns aufgezeigt hat, wie gefährlich sie sein können. Dementsprechend sind wir gewarnt.

Wobei das Testspiel in Augsburg aufgrund des Unwetters ja nicht gerade aussagekräftig war…

Hector: Nein, das nicht. Aber wir haben in der ersten Halbzeit geführt, hatten den Gegner im Griff, und plötzlich saßen wir in der Kabine und lagen 1:2 hinten. Wir wissen also, was uns erwartet.

Und was erwarten Sie von Ihrem Fernstudium? Haben Sie auch Ihre Bücher fürs Studium hier mit in Frankreich?

Hector: Ich habe meine Unterlagen auf dem Laptop und auch hier dabei. Wenn ich mal einen freien Tag habe wie am Donnerstag, schaue ich schon mal rein.

Wann steht die nächste Prüfung an?

Hector: Das weiß ich gar nicht so genau. Hier denke ich eher an Fußball. Und da steht die nächste Prüfung gegen die Slowakei auf dem Programm. (ks/jmey)