Vichy. Für Martin Skrtel, den Kapitän des deutschen Achtelfinalgegners Slowakei, ist das Zerstören eine Passion

Der Kleinbus steht schon länger in der sengenden Sonne am Straßenrand, nur ein paar Meter weiter. Familie Kutna hat jetzt einen längeren Weg vor sich. Von Vichy, einem verschlafenen Ort mitten im Nirgendwo sind es mindestens vier Stunden bis zur französischen Grenze, dann geht es quer durch die Schweiz, Deutschland und Österreich, ehe Nitra in der Slowakei erreicht ist. 15 Stunden, wenn es gut läuft. Sie gehen zum Auto. Sie lächeln. Sie haben bekommen, was sie noch wollten – und zwar jeder: Fotos mit ihren Fußballern. Vor allem mit Kapitän Martin Skrtel.

Die Mama, lächeln, klick. Der Sohnemann mit Föhnfrisur, lächeln, klick. Der Bruder mit Fahne um den Hals, lächeln, klick. Ein Andenken an den Besuch bei den slowakischen Nationalfußballern vor dem großen Duell mit Weltmeister Deutschland im EM-Achtelfinale am Sonntag (18 Uhr) in Lille.

In Vichy hatte der „Französische Staat“ während des Zweiten Weltkrieges seinen Sitz, der Ort ist ansonsten als Heilbad und für seine Kosmetik bekannt. Es sind ältere Damen, die es vorwiegend an die weltbekannten Wasserquellen und die Springbrunnen zieht. Die Fußballer der slowakischen Nationalmannschaft, die im Vichy Celestins Spa Hotel ihr Quartier aufgeschlagen haben, passen eher nicht so recht ins Stadtbild. Vor allem Martin Skrtel nicht. Die Haare sind abrasiert, die Arme über und über tätowiert, den Kragen seines Poloshirts hat er hochgeklappt. Wenn er lacht, so wie jetzt auf den Fotos mit den Fans, dann sieht er etwas weniger aus wie jemand, vor dem man sich auch fürchten könnte. Aber spätestens auf dem Fußballfeld darf man sich schon ein bisschen ängstigen.

Breitbeinig steht der 1,93-Meter-Mann nun da, sein Kopf stößt trotzdem fast unter die Decke des Raumes. Die Hände nesteln an der Kordel seiner Sporthose herum. Er denkt kurz nach über die Frage, wie er seine Spielweise definieren würde. „Sehr technisch, ein Zehner, ein Torjäger.“ Alle wissen, dass das ein Witz ist. Er ist das Gegenteil davon. Er ist der Mann, der all das Genannte beim Gegner zunichte macht. Das Technische, das Schöne, die Tore – Skrtel rauscht mit seinem Körper wie eine Abrissbirne hinein, um es zu verhindern. Deshalb der Witz. Die Zuhörer lachen. Dann fragt er mit ernster Miene: „Warum lacht ihr?“ Ewige, viel zu stille Sekunden vergehen. Dann lacht auch er. Ein Glück, er lacht.

Sein ewiges, episches Auflehnen gegen die vermeintlich Starken macht ihn zum Anführer in der Mannschaft, aber ein kleines bisschen auch zum Anführer einer kleinen, jungen Nation. Seit 1993 ist die Slowakei ein eigenständiger Staat, abgespalten von der früheren Tschechoslowakei. Ein bisschen fühlen sich die Slowaken klein, sagen die Kutnas, die siebenköpfige Familie, die im Tal der Häuserfassaden vor dem Mannschaftshotel in schwüler Hitze auf ihre Fotos wartet. 1976 hatte die Tschechoslowakei ihren größten Fußball-Abend: Im EM-Finale schlug die legendäre Mannschaft um Antonin Panenka Deutschland. Die Tschechen galten stets als der fußballerische Ahne, aber in der Mannschaft von damals standen nicht weniger als acht Slowaken. Bei der EM in Frankreich ist der wenig geliebte große Bruder nun schon ausgeschieden, die Slowaken sind noch dabei. Und Skrtel ist die Figur, an der sich alle aufrichten können.

Seit acht Jahren spielt der 31-Jährige für den FC Liverpool, sein schwarzer Bentley aber blieb in seiner kleinen Heimatstadt Prievidza angemeldet. PD - MS – ein Autokennzeichen, das man nicht mal in der Hauptstadt Bratislava häufiger sieht, gelangte in Liverpool zu gewisser Bekanntheit. Nun tritt das ganze Land ins Licht der Aufmerksamkeit. Erstmals in seiner Geschichte schaffte es den Sprung zur EM, das Erreichen des Achtelfinals, das Duell mit dem Weltmeister setzt neues Adrenalin frei. Robert Mak (einst Nürnberg), neben Peter Pekarik (Berlin), Dusan Svento (Köln), Stanislav Sestak (früher Bochum), Jan Durica (Hannover 96) und Adam Nemec (früher u.a. Kaiserslautern) einer von sechs Profis mit Bundesliga-Erfahrung, spricht vom größten Spiel seiner Karriere. Skrtel, der Duelle mit den großen Stars aus dem Liga-Alltag eher gewohnt ist, klingt etwas weniger demütig. Er droht den Deutschen sogar fast: „Den Weltmeister zu schlagen wäre enorm. Ich denke nicht, dass das unser letztes Spiel bei dieser EM sein wird. Wir haben sie einmal geschlagen, warum nicht wieder“, fragt er.

Die Erinnerung an das 3:1 in Augsburg ist sehr präsent

„Augsburg“ – dieses eine Wort ist in diesen Tagen auch für das deutsche Ohr aus den Gesprächen der slowakischen Presse mit den Spielern immer wieder herauszuhören. „Augsburg“. Als sei der Name einer Stadt das Fundament für den Glauben an ein kleines Wunder. „Augsburg“. Dort trafen Deutschland und die Slowakei wenige Tage vor der EM in einem Test aufeinander. Mit 3:1 siegte der Außenseiter.

„Die Mutter des Spiels ist das Ergebnis“, sagt Martin Skrtel beinahe poetisch. Es geht ums Gewinnen. Skrtel ist Pragmatiker. Auf dem Feld kennt er keine Freunde. Das hat er eindrucksvoll dokumentiert, als es gegen England ging und er vorher gefragt wurde, ob es einen Unterschied mache, gegen einen Liverpooler Kollegen wie Daniel Sturridge zu spielen. Seine Antwort: „Wenn ich zutreten muss, trete ich zu.“