Hamburg. Der Hamburger Vermarkter Frank Bertling über das Olympia-Aus, die Probleme des Profisports und die Stärke von Großvereinen

    Frank Bertling, 48, ist einer der erfahrensten Sportmanager Hamburgs. Der ehemalige Geschäftsführer der Vermarkter Upsolut und Lagadère Unlimited Events aus Ottensen gründete vor einem Jahr im Hafen seine Agentur SportPort. Im Gespräch mit dem Abendblatt plädiert Bertling, auch Präsident des Hamburger Triathlonverbandes, für eine strikte Trennung zwischen Spitzen- und Breitensport. Das eine sei Geschäft, das andere ein zentraler gesellschaftlicher Auftrag.

    Hamburger Abendblatt: Herr Bertling, erst das Olympia-Aus, dann gehen die HSV-Handballer pleite, die Volleyballerinnen des VT Aurubis verabschieden sich in die Zweite Liga, künftig soll es auch kein Spitzen-Eishockey mehr geben, und selbst die Cyclassics könnten 2017 in einer anderen Stadt gefahren werden. Schafft sich Hamburg als Sportstadt ab?

    Frank Bertling: Keineswegs, da müssen wir die Dinge voneinander trennen. Die finanziellen Probleme der drei betroffenen Vereine waren seit Jahren bekannt, die Cyclassics wiederum haben jahrelang gutes Geld verdient. Jetzt scheint es woanders höheren Profit zu geben. Dass diese Entscheidungen zeitlich zusammenfallen, ist Pech. Die aktuelle Entwicklung kommt nicht überraschend. Profisport ist kommerzielles Entertainment. Musicals werden auch aus dem Programm genommen, wenn sie sich nicht mehr rechnen. Dann folgt wenig später ein neues. Im Sport mag das etwas länger dauern, aber vor 15 Jahren gab es in Hamburg weder Handball noch Eishockey. Für mich definiert sich eine Sportstadt über den Breiten-, Freizeit- und Schulsport. Auch hier gibt es in Hamburg noch viel zu tun. Dass die Stadt seit Jahren Sportstätten systematisch saniert und neue baut, ist aber ein Schritt in die richtige Richtung.

    Haben Sie denn Verständnis für die vielen Eishockeyfans, die jetzt alles versuchen, um ihre Freezers zu retten?

    Bertling: Ihr Engagement ist großartig, zweifellos. Fakt ist aber auch: Die Ligen außerhalb des Fußballs tragen sich wirtschaftlich nicht, weil viel zu hohe Gehälter bezahlt werden, die die Clubs auf Dauer nicht refinanzieren können. Für mich hat kein Leistungssportler einen natürlichen Anspruch auf ein hohes Gehalt. Ein Maler erhält ja auch nur das Geld für sein Bild, das der Kunstmarkt dafür hergibt.

    Hat das Olympia-Aus die Entwicklung bei den drei Vereinen beschleunigt?

    Bertling: Das mag sein. Aber die Entscheidung gegen Olympia in Hamburg hat vor allem mit der verlorenen Glaubwürdigkeit des Spitzensports zu tun. Da wird gelogen, betrogen, manipuliert, gedopt. Das Maß ist voll bei den Leuten. Die Korruption in den Spitzenverbänden hat Dimensionen angenommen, die nicht mehr hinnehmbar sind. Die Menschen an der Basis, die meist ehrenamtlich in Vereinen und Verbänden arbeiten, ohne die es die Stars bei Olympia nicht gäbe, haben keine Lust mehr, für die Interessen weniger missbraucht zu werden. Hamburg und der Deutsche Olympische Sportbund wären gut beraten, wenn sie die Gründe des negativen Referendums ehrlich aufarbeiteten, sich der Realität stellten. Bisher geschieht da nichts. Die Rolle des Spitzensports in unserer Gesellschaft muss dringend neu definiert werden.

    Spitzensportler gelten als Vorbilder. Brauchen wir sie nicht mehr?

    Bertling: Kann der heutige Spitzensportler wirklich Vorbild sein? Nach allem­ was wir über Doping wissen und ahnen, habe ich da meine Zweifel. Der Profisport hat ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Das ist kein russisches Phänomen, auch hierzulande würde ich aufgrund meiner Erfahrungen für niemanden die Hand ins Feuer legen. Spitzensport und Sport sind für mich zwei verschiedene Bereiche. Spitzensport ist Wirtschaft, Standortfaktor, Kommerz. Der gehört in die Wirtschaftsbehörde und sollte von ihr gefördert werden; wenn die Stadt glaubt, aus ihm Nutzen zu ziehen – etwa durch touristische Effekte, die nachweislich existieren.

    Wir bezweifeln, dass die Wirtschaftsbehörde sportliche Kompetenz hat.

    Bertling: Zu Recht. Deshalb wäre es wünschenswert, endlich ein Veranstaltungsmanagement in der Stadt zu eta­blieren, das sich um Events aller Art, nicht nur um die des Sports kümmert, neue Formate scoutet und entwickelt. In Stuttgart gibt es bereits eine solche Gruppe von Fachleuten. Da sitzt gebündelte Kompetenz. Wichtig ist, dass an einer Stelle alles zusammenläuft. Der Aufwand, von verschiedenen Behörden Genehmigungen für Veranstaltungen zu erhalten, hat sich in den vergangenen Jahren in Hamburg verdoppelt, damit auch die Umsetzungskosten. Das ist eine Verschwendung von Ressourcen.

    Und wer soll sich für den übrigen Sport zuständig fühlen?

    Bertling: Der übrige Sport, für mich der weit wichtigere, ist eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe. 15 Prozent unserer Kinder sind bereits adipös, übergewichtig, Tendenz steigend. Das ist erschreckend. Wenn wir als Gesellschaft hier nicht entschlossen gegensteuern, fliegen uns die Gesundheitskosten bald um die Ohren. Wir bräuchten weit weniger Medikamente und Operationen, würden wir uns regelmäßig bewegen.

    Wer aber soll Kinder animieren, sich zu bewegen, wenn Spitzensportler nicht mehr zum Vorbild taugen?

    Bertling: Der Sportlehrer in der Schule, der Trainer im Verein, der Landesliga-Fußballer um die Ecke, Freunde und Bekannte. Die Kinder müssen mit Sport am besten täglich in Berührung gebracht werden. Sie müssen viele Sportarten ungezwungen ausprobieren können, testen, was zu ihnen passt, und das passiert am besten in der Schule.

    Die dritte Sportstunde steht meist nur auf dem Papier. Immer wieder fällt der Sportunterricht an Hamburger Schulen aus, weil Sportlehrer fehlen.

    Bertling: Das muss nicht sein. Es gibt genug Trainer, die vormittags in den Unterricht gehen könnten, die in Zusammenarbeit mit den Lehrern helfen könnten, den Schülern die Lust am Sport zu vermitteln. Das hätte zudem den Vorteil, die Trainer finanziell besserzustellen und diesen tendenziell unterbezahlten Beruf wieder angemessen attraktiv zu machen.

    Der Senat hat den Masterplan Active City angeschoben. Das ist in erster Linie ein Sportkonzept für den öffentlichen Raum. Wie bewerten Sie den Ansatz?

    Bertling: Grundsätzlich positiv. Was ich vermisse, sind konkrete Lösungen. Da fehlt mir die Tiefe in dem Konzept. Vereine sollen demnach Trainer und Übungszeiten für Sportangebote in den Parks, an Alster und Elbe bereitstellen. Schön und gut – aber welcher Verein, wo und wann? Da vermisse ich Fakten.

    Sind viele Vereine nicht schlichtweg überfordert, wenn weitere Anforderungen auf sie zukommen?

    Bertling: Es wäre die Aufgabe kluger Sportpolitik, sie in die Lage zu versetzen, solche Herausforderungen zu meistern. Wir haben in Hamburg starke Vereine, die großartige Arbeit leisten, vor allem bei der Integration der Flüchtlinge. Allerdings bedarf es dafür professioneller Strukturen, das Ehrenamt ist mit diesen Aufgaben überfordert. Ich glaube deshalb, dass langfristig nur große Vereine überleben werden. Wir brauchen mehr denn je den Zusammenschluss vieler kleiner Clubs in den Stadtteilen, damit sie sich Aufgaben wie die Ganztagsbetreuung an Schulen zutrauen. Entsprechende Zielvereinbarungen der Stadt mit dem Hamburger Sportbund könnten sicherlich helfen.