Las Vegas. Der Berliner verliert seinen Weltmeistertitel im Supermittelgewicht gegen den Mexikaner Ramirez und gewinnt keine der zwölf Runden.

Die erste Journalistenfrage wehrte er noch ab, stoisch, den Blick ins Leere gerichtet, und ohne ein Wort zu sagen. Doch es brodelte in Ulli Wegner, an der tiefer werdenden Rötung seines Gesichts und der anschwellenden Halsschlagader war das abzulesen. Und so dauerte es nur noch wenige Augenblicke, ehe es herausbrach aus dem Mann, der gerade eine der größten Enttäuschungen seiner jahrzehntelangen Karriere als Boxtrainer erlebt hatte.

„Hört auf, hier so rumzueiern“, unterbrach er seinen Schützling Arthur Abraham, der irgendetwas von falscher Taktik anführen wollte, „wir waren super vorbereitet, hatten die richtige Taktik. Arthur kann alles, aber er hat es nicht umgesetzt. Deshalb muss sich zuallererst der Trainer hinterfragen“, bellte der 73-Jährige in dem Ton, der ihm den Spitznamen „Diktator“ eingebracht hat. Es sei, mutmaßte Wegner noch, ehe er in seinem weißen Trainingsanzug aus dem Presseraum der MGM Grand Garden Arena verschwand, „ein psychisches Problem. Vielleicht muss Arthur von einem anderen Trainer motiviert werden.“

Denkwürdige Niederlagen erfordern bisweilen drastische Schritte. Und auch wenn niemand im Team Sauerland voreilige Schlüsse ziehen wollte, ehe eine genaue Analyse vorliegt: Es bleibt festzuhalten, dass der Abend in der Zockermetropole in der Wüste Nevadas, der zum Triumphzug auf der größten Boxbühne der Welt werden sollte, in einem Fiasko endete, das selbst übelste Pessimisten so nicht hätten vorzeichnen können. Arthur Abraham, der als erster Deutscher in Las Vegas einen WM-Kampf gewinnen wollte, verlor nicht nur seinen WBO-Titel im Supermittelgewicht an den Mexikaner Gilberto Ramirez, nein: Keiner der drei Punktrichter gab dem 36-Jährigen auch nur eine der zwölf Runden, so- dass am Ende dreimal 108:120 in Abrahams Kampfrekord stehen blieb.

Vordergründig waren die Ursachen für die Demontage schnell ausgemacht. Obwohl Wegner und Promoter Kalle Sauerland dem gebürtigen Armenier in den Tagen vor dem Kampf immer wieder eingebläut hatten, von Anfang an hellwach zu sein und Ramirez nie zur Entfaltung kommen zu lassen, boxte Abraham so, wie er es immer getan hat: abwartend, mit erhobenen Fäusten vor dem Gesicht. Wer aber weiß, dass eine solche Doppeldeckung in den USA allenfalls beim Belegen eines Sandwiches goutiert wird, der konnte schon nach vier Runden erahnen, in welche Richtung das Urteil tendieren würde.

Besonders bitter war, dass der zwölf Jahre jüngere und mit 1,89 Meter Körperlänge 14 Zentimeter größere Pflichtherausforderer nichts tat, was Abraham hätte erschrecken müssen. Weder schlug der Mexikaner sonderlich hart noch bot er technische Finessen. Vielmehr ließ Ramirez den zögerlichen Kontrahenten an seiner rechten Führhand verhungern. Die Schlagstatistik wies am Ende mit 532:441 Schlägen und 144:85 Treffern klare Werte zugunsten von Ramirez aus.

Warum es Abraham im Verlauf des Kampfes nur einmal, in Runde sechs, gelang, eine halbwegs ansehnliche Kombination zum Kopf des Gegners zu bringen, müssen Trainer und Sportler in Ruhe ergründen. Die ersten Erklärungsversuche des zerbeulten Wahl-Berliners klangen so hilflos, wie er auch im Kampf gewirkt hatte. Zu steif sei er gewesen, außerdem sei Ramirez viel zu viel weggelaufen, was ihn wütend gemacht und dazu beigetragen habe, die geplante Linie noch mehr zu verlassen. Immerhin nahm der in nunmehr 49 Profifights fünfmal Besiegte, der nach drei Tagen Urlaub in Las Vegas zu seiner schwangeren Ehefrau Mary nach Eriwan fliegen wird, die Schlappe auf seine Kappe: „Ich bin sehr enttäuscht über meine Leistung und kann mich dafür nur entschuldigen.“

Promoter Kalle Sauerland, der mit der kleinen Crew an mitgereisten Betreuern und Freunden im Wolfgang-Puck-Grill im MGM Hotel den Frust mit deutschem Bier herunterzuspülen versuchte, wollte noch nicht den Stab über seinen Altmeister brechen. „Wir werden in Ruhe schauen, was die nächsten Schritte sein können“, sagte er, und auch Abraham gab sich kämpferisch: „Ich werde alles dafür geben, diesen Abend vergessen zu machen. So werde ich sicherlich nicht aufhören.“

Abraham scheint nicht mehr bereit zu sein, sich im Training zu quälen

In Deutschland sind noch ein paar Kämpfe zu machen, das Duell mit WBA-Superchampion Felix Sturm geistert seit Jahren durch die Boxwelt. Zwar wird Abraham kaum noch mal die 1,4 Millionen Euro erreichen, die ihm das Duell mit Ramirez eingebracht hat, aber gutes Geld ist in der Heimat hinter der Doppeldeckung weiter zu verdienen. Den Weg an die großen Geldtöpfe in den USA allerdings, den hat er sich endgültig verbaut. Auf dem wichtigsten Boxmarkt der Welt bleibt nach den Pleiten im Super-Six-Turnier gegen Andre Dirrell (2010) und Andre Ward (2011) und nun gegen Ramirez das Bild von einem, der dann, wenn die beste Leistung gefragt war, versagte.

Und das ist genau das Problem: Dass Abraham, der sich längst mit Beteiligungen an Immobilien und Autohäusern ein zweites Standbein aufgebaut hat, nicht mehr heiß genug darauf ist, sich härter zu quälen, als es nötig ist, um ein schönes Leben zu führen. Kein Trainer der Welt kann daran etwas ändern, wenn er es nicht selbst ändern will. Und dass er es nicht will, hat die Nacht von Las Vegas bewiesen.

Im Hauptkampf des Abends bezwang Weltergewichts-Weltmeister Manny Pacquiao, 37, aus den Philippinen in seinem mutmaßlich letzten Kampf den starken US-Amerikaner Timothy Bradley einstimmig (dreimal 116:110) nach Punkten.