Santa Clara. Die überragende Defense sichert den Denver Broncos den Sieg in einem ereignisarmen Jubiläums-Super-Bowl, der beim Gastgeber nicht nur Freunde fand

Sonne, Hippies, Silicon Valley und Toleranz – Kaliforniens Ruf ist legendär. Kein Wunder also, dass auch die National Football League (NFL) mit ihrem Mega-Event Super Bowl wieder Fuß fassen möchte im „Golden State“. Am besten mit einem Gold-Jubiläum, der 50. Ausgabe des Football-Gipfels. Dass aber San Francisco, die Hauptstadt der Liebe (zumindest in der Neuen Welt), sich selbst genug ist, zeigte sich eindrucksvoll am Ende einer Woche, in der rund eine Million Menschen wegen eines Spiels in die Stadt kamen – und die Denver Broncos die Carolina Panthers mit 24:10 besiegten. Selbst das miese Winterwetter in der Bay nahm eine Auszeit: Beim Spiel im Levi’s Stadium herrschten sommerliche 24,4 Grad.

San Francisco ist ein Mythos – und hält sich, wie Hamburg, für die schönste Stadt der Welt. Man ist hier ähnlich entspannt wie an der Elbe; und die Super-Bowl-Karawane, die mit ihrer Milliarden-Entourage Station machte in Stadt und Region, beglückte bei Weitem nicht alle. „Dass der Super Bowl uns mag, ist deutlich geworden. Aber mögen wir ihn? Die Antwort ist Nein“, meint Al Saracevic, Kolumnist des renommierten „San Francisco Chro­nicle“. Und keilt weiter: „Weder braucht San Francisco die NFL, noch passen die progressiven und innovativen Werte der Stadt zur konservativen Führung der Liga. Unsere Restaurants sind jeden Abend ausgebucht, ob mit oder ohne Super Bowl. Die einfallsreichen Denker der Bay würden die Probleme rund um die Hirnverletzungen im Football lösen – nicht ignorieren. Zusammengefasst: Diese Stadt ist demokratisch, die Liga ist republikanisch.“

Die scharfzüngige Attacke ist ein klarer Kontrapunkt zum Auftreten der Liga. Alles strahlte gülden im Jubiläumsjahr, selbst die Footbälle; aber wie es halt so ist mit Dingen, die glänzen – sie sind nicht immer aus Gold. Ärger mit den neurologischen Spätfolgen des Spiels, die durch den Hollywoodfilm „Concussion“ („Erschütternde Wahrheit“) noch verstärkt wird, horrende Preise bei allen Dienstleistungen rund um den Super Bowl (Bier im Stadion: 15 Dollar, wenn auch erstmals Craft Beer und keine dünne Plörre), und ein gänzlich entrücktes, selbstherrliches Auftreten der Liga-Granden um Commissioner Roger Goodell: Geliebt wird die Liga nicht, geliebt wird das Spiel. Wobei über die Jubiläumsvariante in ein paar Jahren wohl weniger geredet werden wird als über die San-Francisco-typische Halbzeitshow.

Alle hatten vorab über das Duell der Spielmacher geredet – auf der einen Seite Denvers Methusalem Manning, mit 39 Jahren der älteste Quarterback, der je in einem Super Bowl antrat (und gewann) – auf der anderen Cam Newton, 26, der diese Saison zum MVP, dem wichtigsten Spieler der Liga, gewählt wurde. Allerdings polarisiert Newton auch mit klarer Kante zum latenten Rassismus weißer Footballfans („Ich bin ein afroamerikanischer Quarterback, vor dem sich die Leute fürchten“). Newton vermutet ebendiesen Rassismus auch hinter Kritik, die an seinem äußerst selbstbewussten Auftreten geäußert wird. Dass er dies während der Super-Bowl-Woche mehrfach wiederholte, mag seiner Konzentration geschadet haben. Der wohl begabteste junge Quarterback jedenfalls war ein Totalausfall und äußerst einsilbig nach Spielschluss.

Sollte das Mannings finaler Ritt in den Sonnenuntergang der Karriere gewesen sein, so fiel er unterwegs häufiger mal vom Pferd, beziehungsweise vom Bronco. Zu seinem Glück entschied, wie schon im Halbfinale gegen Titelverteidiger New England Patriots, seine Abwehr das Match für ihn – und machte die Panthers samt ihrem besten Angriff der Liga zu Stubentigern. So wurde in Gestalt von Denvers Linebacker Von Miller zum erst neunten Mal ein Abwehrspieler MVP des Super Bowl. Mit seinen erzwungenen Ballverlusten (Fumbles) des Gegners leitete er die beiden Touchdowns der Broncos ein. Erstmals in dieser Saison blieb Newton ohne Touchdown.

Die schnelle 10:0-Führung aus dem ersten Viertel gaben die Broncos nicht mehr her. Untypisch für Football, aber die Fehlerquote, besonders der Panthers, war einfach zu hoch. Ob durch persönliche Fouls oder sogar einen Pfostentreffer bei einem Fieldgoal-Versuch Carolinas: Das Spiel blieb unstet, immer wenn einer die Oberhand zu gewinnen schien, folgten Fehler.

Es waren noch vier Minuten und vier Sekunden zu spielen, als ein weiterer Fumble beim Stand von 16:10 das Schicksal der Panthers besiegelte. Miller schlug Newton das Ei aus der Hand, drei Spielzüge später vollendete C. J. Anderson zum Touchdown. Die Two-Point-Conversion – ein Mini-Touchdown, der zwei Extrapunkte zählt –, sorgte fürs Endresultat. Als Manning dann die Vince-Lombardi-Trophy in den warmen Nachthimmel von Santa Clara reckte, war er auch der erste Quarterback, der mit zwei Teams den Super Bowl holte. Von Rücktritt wollte er erst mal nicht reden, sondern nur davon, „viel Bier zu trinken“ und den Moment zu genießen.

Das taten auch die Zuschauer angesichts der musikalischen Darbietungen, die die sportlichen in den Schatten stellten. Zu diesem Zeitpunkt verzeichnete Sat.1 immer noch 1,56 Millionen Fernsehzuschauer in Deutschland (31,5 Prozent Marktanteil). Im ersten Viertel hatten sogar 2,05 Millionen (22,6 Prozent) die Liveübertragung verfolgt, ein Plus von 400.000 im Vergleich zum Rekordwert des Vorjahrs.

Doch zurück zur Show: Erst begeisterte Lady Gaga mit einer text- wie tonsicheren Variante der Nationalhymne, dann zeigte die Halbzeitshow, was San Francisco ausmacht. Ergreifend waren die Reminiszenzen an den Summer of Love und an die längst Verstorbenen, die einst die Halbzeitshow zu dem machten, was sie ist: den Zeitraffer-Gipfel der Topstars. Whitney Houston und Michael Jackson tanzten noch mal auf der Leinwand; Coldplay („Viva la Vida“), Bruno Mars („Uptown Funk“) und Beyoncé („Formation“) auf der Bühne. Viele Anleihen an Flower-Power gab es beim Bühnenbild, mobile Prilblumen aus Hunderten Statisten trieben fröhliche Blüten.

Farbenfroh ging’s auch auf den Tribünen zu, wo die Zuschauer mit Pappkarten die Kulisse bilden – mit Herzchen durchsetzt. „Love“ war die Antwort. Eine fantastische Hommage, nicht nur an „San Fran“, sondern auch poetische Ermahnung zu Toleranz und Menschlichkeit, indem Zehntausende das Banner der Friedens- und Schwulenbewegung auf den Rängen formten.

Die Halbzeitschau nahm es vorweg: San Francisco kann sich wieder sich selbst zuwenden. Die viel gescholtene „Super Bowl City“ am Hafen, die die Einheimischen als Einschränkung empfanden, schloss die Tore, die irren Preise sinken wieder – und die NFL-Karawane zieht weiter: nach Houston, Texas, wo alles im nächsten Jahr noch größer werden soll. Die San Franciscans haben ihre Straßen wieder, die Touristen auch. Das Valley erfindet weiter. Und die Sonne scheint auch Dienstag und Mittwoch noch.

Lust, selbst einmal Football auszuprobieren? Die Hamburg Blue Devils veranstalten am Sonntag in der Volksbank-Arena (Hellgrundweg 50) ein Try-out für Jungen und Mädchen von 8 bis 13 Jahren (12 Uhr), 14 bis 18 Jahren (14 Uhr), Damen und Herren (16 Uhr) sowie Cheerleading (10 Uhr/Mädchen). Mitzubringen sind Sportsachen und Hallenschuhe.