Hamburg. Vor dem Start der Australian Open spricht die Tennis-Bundestrainerin über die Perspektiven ihrer Spielerinnen für die Saison 2016.

Die Lust auf die lange Reise nach Australien, die Barbara Rittner am vergangenen Dienstagabend antrat, hielt sich in Grenzen. „Wenn man das 25. Jahr in Serie nach Melbourne fliegt, dann ist das nicht mehr so aufregend, sondern eher anstrengend“, sagt die Tennis-Bundestrainerin, die seit 2005 die Geschicke der deutschen Damen leitet. An diesem Montag startet mit den Australian Open das erste Grand-Slam-Turnier der Saison 2016, und spätestens dann stellt sich auch der Spaß wieder ein. „Dann freue ich mich darauf, alle wiederzusehen“, sagt die 42-Jährige.

Hamburger Abendblatt : Frau Rittner, war nach dem eher enttäuschenden Ende des Tennisjahres 2015 die Zeit zum Ausruhen ausreichend, damit Sie mit vollem Elan in die Saison 2016 gehen können?

Barbara Rittner: Für mich gibt es selten Ruhe, da ich als Bundestrainerin auch für den Nachwuchs verantwortlich bin. Ich hatte über Weihnachten und Neujahr zehn Tage Urlaub, das war es. Aber das ist kein Problem, im Gegenteil. Die Arbeit mit den Talenten macht mir so viel Spaß, sie ist ein wunderbarer Ausgleich zum Profigeschäft. Die Jugendlichen sind noch richtig aufgeregt, wenn ich mit ihnen rede, die hören sehr aufmerksam zu und saugen alles auf.

Ist in der Altersklasse zwischen 14 und 18 Jahren jemand zu sehen, der die Perspektive hat, in die Weltklasse vorzudringen?

Rittner : Ich kann keinen Namen nennen, weil die Überfliegerin derzeit fehlt, von der ich mir sicher sein könnte, dass sie es schafft. Was ich sagen kann: Die neue Generation arbeitet sehr intensiv im Team zusammen, sie sind alle sehr fleißig und fokussiert und bringen eine tolle Einstellung mit. Aber man muss ihnen die notwendige Zeit geben.

Sprechen wir über die aktuelle Profigeneration. Der Start ins Jahr war mit den Finalteilnahmen von Angelique Kerber in Brisbane und Julia Görges in Auckland verheißungsvoll.

Rittner : Das Wichtigste ist, dass bis auf Mona Barthel alle gesund waren. Wer aus der Vorbereitung kommt, fragt sich immer, wo er steht. Wenn zwei Spielerinnen Finals erreichen, kann das positiv auf das gesamte Team abfärben. Auf jeden Fall ist es ein Zeichen dafür, dass sich das harte Training ausgezahlt hat.

Fast alle Ihre Topspielerinnen haben teils einschneidende Veränderungen vollzogen. Am krassesten war der Fall An­drea Petkovic, die im zweiten Halbjahr 2015 völlig frustriert war und ans Karriereende dachte und die nun mit Jan de Witt als neuem Trainer durchstartet. Wie fragil ist bei ihr die Lage derzeit?

Rittner : Ich war eine der wenigen, die sich keine gesteigerten Sorgen um die Petko gemacht hat. Sie hatte die Unbeschwertheit verloren, nichts war ihr mehr gut genug. Aber sie hat diese Phasen immer wieder, ihre Stimmungsschwankungen machen sie interessant und sind Teil ihrer Persönlichkeit.

Es schien diesmal aber schlimmer zu sein als sonst. Wenn jemand mit 28 ans Karriereende denkt, obwohl er noch viel Potenzial hat, ist das ernst zu nehmen.

Rittner : Natürlich, aber ich habe nie befürchtet, dass sie es wirklich durchziehen würde. Die Bereitschaft, es mit einem neuen Trainer zu versuchen, die ist wichtig. Ich habe mit Jan de Witt gesprochen, nachdem beide ein paar Wochen zusammengearbeitet hatten, und ihn gefragt, ob er das Gefühl habe, dass sie wieder Spaß am Tennis empfindet. Das hat er bestätigt, und den Eindruck macht die Andrea auf mich auch. Jetzt ist wichtig, dass sie ihrem neuen Coach auch tatsächlich Verantwortung überträgt. Am Anfang ist ja immer alles toll. Ob es funktioniert, muss man abwarten. Aber ich denke, dass es klappen wird.

Auch Julia Görges hat mit Michael Geserer einen neuen Trainer. Die Trennung von Sascha Nensel scheint ihr gutgetan zu haben, immerhin war Auckland ihr erstes WTA-Finale seit 2012.

Rittner : Jule hat sich komplett neu aufgestellt, mit neuem Trainerteam, neuem Ausrüster. Ich denke, das ist ein Spiegelbild ihres eigenen Wohlbefindens. Sie wirkte im vergangenen Jahr unglücklich und nicht frei. Sascha hat einen Riesenjob gemacht, aber irgendwann nutzt sich alles ab, und dann muss man etwas anderes probieren. Ich freue mich sehr für sie, dass das zu funktionieren scheint. Sie muss ja gar nicht ihr eigenes Spiel neu erfinden. Wichtig ist, dass sie mit frischem Wind an die Aufgaben geht, die sich ihr stellen.

Glauben Sie, dass unserer deutschen Nummer eins, Angelique Kerber, in diesem Jahr endlich der große Wurf bei einem Grand-Slam-Turnier gelingt?

Rittner : Bei ihr sind zwei Dinge wichtig. Sie hat das Bewusstsein dafür geschaffen, daran arbeiten zu wollen, bei den großen Turnieren konstant ihre beste Leistung abrufen zu können. Und sie hat das umgesetzt, indem sie nach einer kurzen Pause sehr hart an ihrem Aufschlag und an der Aggressivität im Spiel gearbeitet hat. In Brisbane hat sie das sehr gut umgesetzt. Deshalb denke ich, dass sie auf dem richtigen Weg ist.

Sabine Lisickis Weg dagegen scheint eher eine Mischung aus Glamour und Arbeit zu sein. Bereitet es Ihnen Sorgen, dass sie wegen ihrer Beziehung zu Oliver Pocher oft mehr in den Klatschspalten auftaucht als im Sportteil?

Rittner : Nein. Sie ist ein erwachsener Mensch und kann nur selbst beurteilen, ob ihr das Leben, das sie führt, guttut. Sie spielt mit dem Glamourfaktor, und sie sagt, dass ihr das Spaß macht und sie es genießt. Für mich sieht es manchmal so aus, als sei es zu viel. Aber die Ergebnisse werden zeigen, ob sie richtig liegt.

Beim Hopman Cup hat sie jüngst alle ihre drei Einzel verloren.

Rittner : Das stimmt, und wenn man in drei Matches keinen Satz gewinnt, ist das nicht gut fürs Selbstvertrauen. Aber in Sydney hat sie in dieser Woche ihr Auftaktmatch gewonnen. Sie ist für Melbourne ja gesetzt; ich hoffe, dass sie weit kommt.

Aus Hamburger Sicht ist Carina Witthöfts Weg sehr interessant. Sie hat 2015 die Top 50 geknackt, steht momentan auf Rang 63. Der Bonus des Newcomers ist weg, sie gilt jetzt als etablierte Spielerin, alle kennen sie. Was bringt 2016 für sie?

Rittner : Es wird ein schwieriges Jahr, weil sie einige Punkte zu verteidigen hat. Jetzt wird sich zeigen, ob sie so gut aufgestellt ist, dass sie es dauerhaft unter die Top 50 schaffen kann. Spielerisch hat sie das Potenzial, konstant dort zu stehen, und mit ihren Qualitäten muss das das Ziel sein. Dennoch ist sie noch zu schwankend in ihren Leistungen. Ich habe Hochachtung vor dem, was ihre Eltern und ihr Freund, der ihr als Sparringspartner dient, in der Trainingsarbeit leisten. Aber ich wünsche mir, dass sie wenigstens wochenweise einen erfahrenen Mentor hinzuziehen würde, der das Ganze im Hintergrund lenkt. Das würde ihr helfen.

Mit Mona Barthel, Annika Beck, Tatjana Maria, Anna-Lena Friedsam und Laura Siegemund stehen fünf weitere Spielerinnen in den Top 100. Wer von denen hat das Potenzial, die Überraschung der Saison zu werden?

Rittner : Ich glaube, dass Anna-Lena uns richtig positiv überraschen wird. Die hat einen tollen Sprung gemacht, sich in der vergangenen Woche im Halbfinale in Shenzhen gegen eine Topspielerin wie Agnieszka Radwanska gut behauptet. Auf sie bin ich richtig gespannt.

Könnten Friedsam oder Witthöft auch schon Kandidatinnen für die Erstrundenbegegnung im Fedcup gegen die Schweiz Anfang Februar sein?

Rittner : Ich lege mich da noch nicht fest. Aber alle meine Spielerinnen haben ein klares Bekenntnis abgelegt, dass sie für Deutschland spielen wollen. Die Lust, es noch einmal zu versuchen, diesen Titel zu holen, ist bei allen sehr groß.

Ist die Enttäuschung aus dem Halbfinal­aus in Russland in der vergangenen Saison verarbeitet? Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?

Rittner : Verarbeitet ist das noch nicht, wir werden in Leipzig darüber noch einmal eindringlich sprechen. Für mich war das Fedcupjahr 2015 ein Misserfolg, obwohl wir im Halbfinale standen. Meine Lehre daraus ist, dass ich meine Ideen noch mehr einbringen werde. Die Partie gegen die Schweiz ist richtungweisend. Ich freue mich riesig darauf. Die Arena ist fast ausverkauft. Das zeigt die Begeisterung, die um das deutsche Damentennis herrscht. Nun liegt es an uns, diese zu rechtfertigen.

Ein gutes Abschneiden in Melbourne wäre dafür sicherlich eine Initialzündung. Welcher deutschen Spielerin trauen Sie dort am meisten zu, und wer sind Ihre Favoritinnen?

Rittner : Nach dem enttäuschenden vergangenen Jahr hoffe ich erst einmal, dass einige Spielerinnen wenigstens die zweite Woche erreichen. Das wäre schon wichtig für die Köpfe. International ist für mich die Weißrussin Victoria Asarenka eine heiße Kandidatin auf den Titel. Sie scheint sehr gut in Form zu sein, was der klare Finalsieg gegen Angelique Kerber in Brisbane gezeigt hat. Gespannt bin ich auf Garbine Muguruza, aber auch auf die Jungstars wie Sloane­ Stephens, Eugenie Bouchard, Belinda Bencic oder Madison Keys. Ich glaube, dass in dieser Saison einige Überraschungen drin sind. Wenn eine meiner Spielerinnen dabei wäre, wäre das umso schöner.