Hamburg. In Hamburg sind rund 330 Darts-Spieler in acht Vereinen organisiert. HSV und FC St. Pauli unterhalten die beiden größten Abteilungen.

Es muss ja alles seine Ordnung haben. Ist schließlich Punktspiel. Landesliga. St. Pauli 2 gegen St. Pauli 4. Also füllt „Hossa“ den Spielberichtsbogen aus. „Wie, Tom ist gesperrt? Muss das sein?“. Da reden sie nachher noch mal drüber, wenn der neugierige Gast weg ist. Aber erst mal: Spielbericht ausfüllen.

Schon werfen sich die ersten Spieler ein, hinten, im Clubraum der Domschänke an der Budapester Straße. So eine richtige Kneipe ist das, die Zeit scheint stehen geblieben zu sein, vor 25 Jahren etwa. Rauchen kann man auch ohne Zigarette, tief einatmen reicht. Bier gibt’s aus der Flasche, Astra 1,60. Kann man nichts gegen sagen. Die Pfeile surren auf vier Scheiben. Weitere Spieler kommen. Vorne am Tresen gibt die Wirtin noch eine Knolle raus. „Alles ganz locker hier“, sagt Hossa, „wir wollen vor allem Spaß haben.“

Das ist Darts wie aus dem Bilderbuch der Vorurteile. Aber es ist tatsächlich so. Die Wurzeln als Kneipensport lassen grüßen. Die Spieler sind überwiegend älter als 40 Jahre, eher jenseits der 50. Tätowierungen gibt es auch, das kennt man aus dem Fernsehen aber viel stärker. Was möglicherweise an der numerischen Vorherrschaft der Briten dort liegt. Seit im deutschen Sportfernsehen das Präzisionsspiel mit den Pfeilen entdeckt und als Event zelebriert wird, steigen Inter­esse und Neugier gleichermaßen. Diese seltsam anmutigen Dart-Stars, mit den bunten Unterarmen, dem wenig sportlichen Body-Mass-Index, dem fortgeschrittenen Alter und der bodenhaftenden Attitüde, die faszinieren auf ihre Art schon. „Wir haben durch die TV-Übertragungen einen großen Zuwachs“, sagt Francois Huguenin, 50.

Das ist der Präsident des Landesdartverbandes Hamburg (LDVH). Dort wird der Sport für die organisiert, die sich organisieren lassen wollen. 330 Spieler sind das derzeit in acht Vereinen, Tendenz steigend. Gerade ist Altona 93 dabei, eine Dartsabteilung zu gründen. Die „Dunkelziffer“ der Spieler ohne Vereinszugehörigkeit in drei „freien“ Freizeitligen ist noch deutlich höher, von bis zu 800 Spielern insgesamt geht Huguenin aus, mindestens die gleiche Zahl spielt wohl auch regelmäßig E-Darts. Das aber ist dann wirklich Kneipensport, Plastikpfeile, elek­tronische Scoreboards, die irgendwo zwischen Tresen und WC-Tür hängen. Der Spaß aber ist der gleiche. „Zielen, werfen – das kann zunächst jeder, das ist eine natürliche Bewegung“, weiß „Hossa“, „und irgendwann will der Mensch sich dann messen.“

An der Fruchtallee in Eimsbüttel steht das „Dreißig“. Das Lokal ist in der Hamburger Fußballszene als Stammkneipe Exil-Dortmunder Borussenfans bekannt. Spielt der BVB, läuft Sky, ist der Laden zu voll. „Dann haben wir keine Chance“, sagt Huguenin, der im Dartsverein Eimsbüttel spielt. Ein Traditionsclub in der Stadt, der seit 1995 existiert. Im „Dreißig“ hängen vier Scheiben in dem etwas erhöhten Hinterzimmer, die Überraschung aber findet sich im Keller. Rechts runter, kaum zu finden. Da ist eine Spielstätte und Trainingszentrum zugleich. Pokale stehen auf den Regalen, einige Hamburger Meisterschaften gab es zu feiern, Turniersiege. „Wir wollen Leistung zeigen, schätzen aber gleichzeitig die lockere Umgebung“, sagt der Präsident.

An diesem Dienstag tritt sein Team gegen die Erste des HSV an. Ja, dem Hamburger Sportverein. Sechs Teams hat der Club gemeldet, seine Topmannschaft ist in der höchstklassigen Hamburger Verbandsliga auf dem Durchmarsch, ungeschlagen in neun Partien. Die Bundesliga ist das Ziel, dafür müssen später Relegationsspiele gegen die Besten aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein gewonnen werden.

Beim HSV spielt auch Jürgen Stark, 47, Hamburgs Bester, Finalist der norddeutschen Meisterschaft, Halbfinale beim deutschen Ranglistenturnier, Zehnter der deutschen Rangliste. „Ich spiele seit 28 Jahren“ erzählt der Bauhandwerker, „es hat natürlich als Hobby angefangen, aber vor sechs Jahren habe ich gemerkt, es ist mehr möglich.“ Seitdem hat er sich auf Steeldarts konzentriert, trainiert am Wochenende mehrere Stunden. Am liebsten würde er nur noch halbtags arbeiten, sucht Sponsoren – „das ist schwierig“. Sein privates Board hängt im Wohnzimmer, „die Frau macht das zum Glück mit, sie kennt mich nur so.“ Und Stark hat auch ein schönes Tattoo auf dem Unterarm, endlich einer. 1887, das Gründungsjahr des HSV, durchkreuzt von einem Dartpfeil. „Ich bin glühender HSV-Fan, ich bin so froh, dass ich für den HSV spielen darf“, sagt der Mann, der in Neumünster lebt.

Die großen Clubs, die können nämlich etwas mehr tun. Fahrtkosten werden auch mal ersetzt, neue Boards gibts jedes Jahr, auch die Spielkleidung. Beim FC St. Pauli dürfen sie sogar die Mixed-Zone im Millerntor-Stadion als Trainings- und Wettkampfstätte nutzen, wenn keine Fußballspiele sind. Das sieht klinisch sauber aus, das ist eine Sportstätte, das entspricht dem Zukunftsprogramm von Francois Huguenin: „Wir wollen die Kneipen als Spielorte auslaufen lassen, wir wollen, dass der Spielbetrieb auch für Jugendliche möglich wird.“ Die nämlich dürfen in Raucherkneipen nicht spielen, nur etwa 15 sind deshalb im Hamburger Verband organisiert.

Dart-WM im Ally Pally

Die Dart-Fans machen Stimmung
Die Dart-Fans machen Stimmung © Getty Images | Richard Heathcote
Der Deutsche Max Hopp kann in der Weltspitze noch nicht mithalten
Der Deutsche Max Hopp kann in der Weltspitze noch nicht mithalten © dpa | Thomas Eisenhuth
Die Fans drehen durch nach einer
Die Fans drehen durch nach einer "180" © dpa | Sean Dempsey
Prominenter Besuchin London: Schalke 04's Klaas-Jan Huntelaar
Prominenter Besuchin London: Schalke 04's Klaas-Jan Huntelaar © Getty Images | Charlie Crowhurst
Die Dart-Fans kommen in der Regel verkleidet
Die Dart-Fans kommen in der Regel verkleidet © Getty Images | Dan Mullan
Mark Webster aus Wales bei einem Wurf
Mark Webster aus Wales bei einem Wurf © Getty Images | Jordan Mansfield
Der Blick von hinten in die Halle
Der Blick von hinten in die Halle © Getty Images | Dan Mullan
One Direction Bandmitglied Niall Horan
One Direction Bandmitglied Niall Horan © Getty Images | Charlie Crowhurst
Adrian Lewis überzeugte bei seinen Auftritten
Adrian Lewis überzeugte bei seinen Auftritten © Getty Images | Dan Mullan
Peter Wright schied unglücklich aus
Peter Wright schied unglücklich aus © Getty Images | Dan Mullan
Raymond van Barneveld aus Holland legte eine starke WM hin
Raymond van Barneveld aus Holland legte eine starke WM hin © Getty Images | Dan Mullan
Jelle Klaasen aus Holland scheiterte erst im Halbfinale
Jelle Klaasen aus Holland scheiterte erst im Halbfinale © Getty Images | Dan Mullan
Phil Taylors beste Zeit ist offenbar vorbei
Phil Taylors beste Zeit ist offenbar vorbei © Getty Images | Jordan Mansfield
Raymond van Barneveld feiert auf seine Art
Raymond van Barneveld feiert auf seine Art © Getty Images | Jordan Mansfield
Michael van Gerwen schied früher aus als erwartet
Michael van Gerwen schied früher aus als erwartet © Getty Images | Richard Heathcote
1/15

In der Domschänke gibt es zwar einen separaten, rauchfreien Zugang in den Dartraum, aber das ist ja nur der halbe Spaß. Alle tragen dort das schwarze Clubhemd mit braunem Kragenrand, Clublogo, Totenkopf vorne, auf dem Rücken ihr Emblem: „Darts-Piraten“. Vor fast genau fünf Jahren haben sich elf Freunde des englischen Wurfpfeilspiels erstmals getroffen. Man müsste doch, man könnte mal ... „Brainstorming“ nennt Hossa das in bestem Denglish. Entstanden irgendwie aus einer Bieridee auf der alten Gegengerade am Millerntor. Die Begeisterung für Darts und den „heiligen“ FCSP ließe sich so doch verbinden. Und dann haben sie losgemacht. Inzwischen zählt die Dartsabteilung des Vereins rund 80 Mitglieder, Tendenz steigend. „Die größte in Norddeutschland“, sagt Hossa, der im bürgerlichen Leben Sven Klein heißt, als Autor arbeitet und auch Stadionführungen bei St. Pauli leitet, nicht ohne Stolz.

Vom 13. bis 15.Mai gastiert die Profitour in der Inselparkhalle in Wilhelmsburg

„Die Mischung aus Anspannung und Lockerheit, die vor dem Wurf nötig ist“, fasziniert Huguenin. Natürlich schaut er auch im Fernsehen zu, wenn die Superstars um die dicken Siegprämien werfen, er wird in die Inselparkhalle in Wilhelmsburg gehen, wenn vom 13. bis 15. Mai Topleute der Profitour Hamburg die Ehre geben. Aber das ist wie der Blick in eine andere Welt. „Hier bei uns lebt keiner vom Darts. Wir haben es mit allen sozialen Schichten zu tun, vom Akademiker bis zum Arbeiter. Das gefällt mir.“ Good darts.