Hamburg. Mehr Sparring und mehr Schnellkrafttraining waren nötig, um die Schnelligkeit und Dynamik zu verbessern“, sagt ein Hamburger Sportmediziner.

Wer das Glück hat, Wladimir Klitschko seit vielen Jahren durch seine sportliche Karriere begleiten zu können, der erwartet nicht mehr viel von Pressekonferenzen. Die Statements des Dreifachchampions im Schwergewicht ähneln sich, was angesichts von 67 Profiboxkämpfen in 19 Jahren kein Wunder ist. Aber Ende September in London, als der Ukrainer Werbung für sein Duell mit dem Briten Tyson Fury machte, das an diesem Sonnabend (22.10 Uhr/RTL) in der Düsseldorfer Esprit-Arena ansteht, war das anders.

Er wolle, teilte Klitschko den Medienvertretern mit, seinen Trainingsumfang deutlich erhöhen. Statt der üblichen 120 sollten es 200 Sparringsrunden werden. „Besondere Herausforderungen erfordern besondere Maßnahmen“, sagte er. Dass der für 24. Oktober geplante Kampf nur wenige Tage später verschoben werden musste, weil sich der Titelverteidiger bei einem Ausrutscher auf nassem Ringboden einen Muskelbündelriss in der linken Wade zugezogen hatte, wirkte fast wie die logische Strafe für Übermotivation. Trotzdem beharrte Klitschko nach seiner Genesung in einem Interview mit dieser Zeitung auf seinem Sinneswandel. „Ich muss mich neu erfinden, um meine Gegner überraschen zu können. Sie haben mich so gut studiert, dass ich meine Grenzen verschieben muss“, sagte er.

Heiko Hansen ist Sportpädagoge und Mentalcoach. Der 50-Jährige aus Bad Bramstedt, der den Charaktertest VIQ Sport mitentwickelt hat und mit diversen Leistungssportlern und -teams arbeitet, hat im Boxen viele Jahre Erfahrung im Hamburger Universum-Stall gesammelt und Wladimir Klitschkos Kämpfe verfolgt. Er sieht hinter der Neuerfindung einen anderen Ansatz. „In meinen Augen geht es eher darum, dass er versucht, seine Eigenmotivation zu aktivieren. Wenn Dinge zu eingefahren sind, werden sie langweilig, und dann schleichen sich Fehler ein. Wladimir ist Perfektionist, und da er weiß, dass er den meisten seiner Gegner überlegen ist, sucht er nach Möglichkeiten, sich selbst zu Höchstleistung zu pushen“, sagt er.

Das Gehirn auszutricksen, indem man sich beispielsweise stetig einen neuen Glaubenssatz predigt, sei grundsätzlich möglich. „Allerdings wird ein Mensch mit Klitschkos Reife und Erfahrung sein charakterliches Grundmuster nicht mehr verändern. Es geht also weniger um eine Neuerfindung als um eine Ergänzung“, sagt Hansen, der dafür durchaus noch Potenziale sieht. „Mit seiner Physis und seiner Technik kann Wladimir jeden Kampf bestimmen, allerdings steht ihm seine Nachdenklichkeit manchmal im Weg. Ein Ansatz könnte sein, dass er noch mehr auf Schnelligkeit und Dynamik Wert legt.“

Genau das, sagt Bernd-Michael Kabelka, sei der Ansatz gewesen, den Klitschko verfolgt habe. „Er hat nicht generell den Trainingsumfang hochgefahren, sondern die Schwerpunkte anders gesetzt. Mehr Sparring und mehr Schnellkrafttraining waren nötig, um die Schnelligkeit und Dynamik zu verbessern“, sagt der Hamburger Sportmediziner, der den Champion seit vielen Jahren ärztlich betreut. Aus medizinischer Sicht habe nichts gegen die Veränderungen gesprochen. „Wladimir ist körperlich und konditionell in einem besseren Zustand als vor zehn Jahren“, sagt er.

Dass Klitschko seit Ende 2010 bereits vier Kämpfe verschieben musste – drei wegen verschiedener Muskelblessuren, einen wegen eines Nierensteins – sei dem normalen Verschleiß geschuldet, den ein durch Hunderte Amateurkämpfe und 19 Jahre Profiboxen beanspruchter Körper aushalten muss. „Natürlich hat ein fast 40-Jähriger Schwachstellen. Aber Wladimir achtet sehr darauf, sich nicht zu überlasten, was zum Beispiel die Umstellung des Konditionstrainings vom Laufen auf Schwimmen beweist. Er ist einfach begnadet, wenn es darum geht, alles aus seinem Körper herauszuholen. Er pumpt nicht, wie so viele Boxer es tun, einfach die Muskeln auf, sondern trainiert nur das, was er wirklich braucht.“

Wenn vom Verschieben von Grenzen geredet wird, ist das Wort Doping nicht fern, und tatsächlich gibt es – meist unterschwellig, bisweilen auch offen - immer wieder entsprechende Vorwürfe gegen Klitschko. Kabelka, 58, weist diese vehement zurück. „Wir machen laufend Bluttests, er wird im Training und nach jedem Kampf getestet. Alle Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel, die er nimmt, sind streng getestete deutsche Markenpräparate, ebenso prüfen wir jedes Medikament, das er einnehmen muss, weil wir wissen, wie verheerend es für seinen Ruf wäre, wenn da irgendetwas verunreinigt wäre. Ich lege für seine Sauberkeit meine Hand ins Feuer“, sagt er.

Einer, der sich nichts mehr wünscht als eine tatsächliche Neuerfindung Klitschkos, ist Luan Krasniqi. Der ehemalige Schwergewichts-Europameister gilt als einer der größten Kritiker von Klitschkos Boxstil. „Mit seinem Sicherheitsboxen, dem ständigen Klammern und Halten, schadet er dem Schwergewicht“, sagt der 44-Jährige, der in Hamburg lebt. „Ich verstehe ihn ja, mit dieser Taktik ist er zum erfolgreichsten Schwergewichtler unserer Zeit geworden. Deshalb glaube ich nicht daran, dass seine Ankündigung Substanz hat. Trainingsweltmeister war er vorher schon, und aus seinem Denkraster kommt er nicht mehr heraus.“

Krasniqi glaubt wie Heiko Hansen, dass mehr Dynamik und Schnelligkeit, wie sie Klitschko gegen David Haye oder Kubrat Pulev gezeigt habe, der Ansatz zu einer sinnvollen Veränderung sein könnten. „Aber er geht dieses Risiko nur ein, wenn er merkt, dass der Gegner ihn nicht gefährden kann oder kurz vor dem Knock-out steht. Gegen Fury, der größer ist als er und mutig boxen wird, werden wir den bekannten Wladimir Klitschko sehen“, glaubt der gebürtige Kosovare.

Man wird den Sonnabend abwarten müssen, um zu wissen, ob Klitschko in der Lage ist, Gegner und Kritiker zu überraschen. Oder ob er einfach weiter so gewinnt wie immer.