Frankfurt am Main. Gegen Polen will der Weltmeister die 0:2-Niederlage aus dem Hinspiel vergessen machen. Bundestrainer denkt schon über die EM hinaus.

Als Bundestrainer ist man es gewohnt, dass man bisweilen mit Störgeräuschen umgehen muss. Diesmal kamen sie von oben. Joachim Löw erklärte gerade, warum seine Mannschaft im so wichtigen EM-Qualifikationsspiel gegen die Auswahl Polens an diesem Freitag (20.45 Uhr/RTL) gewinnen werde, da legte sich Flugzeuglärm über seine Stimme. Das kleine Zelt, in dem der DFB seine letzte Pressekonferenz vor der Partie abhielt, liegt neben der Frankfurter Arena – und die wiederum unweit der Einflugschneise von Deutschlands größtem Flughafen. Starten, Landen. Löw sprach einfach lauter, damit ihn auch ja jeder verstand.

Die Personalsituation war schnell abgearbeitet. Marco Reus? Mit gebrochenem Zeh abgereist. „Er wird uns fehlen“, sagte Löw. Mesut Özil? Wieder fit. „Er wird spielen.“ Und Mario Götze? Ebenfalls wieder in Form. „Der Mario“, so Löw“, „hat einen enormen Wert. Er wird gegen Polen beginnen.“

Doch es waren besonders die Sätze abseits dieser Personalentscheidungen, die der 55-Jährige trotz Fluglärms an den Mann bringen wollte. Und bei öffentlichen Auftritten Löws sind diese Sätze meistens in zwei Richtungen gemeint: nach außen an die interessierte Öffentlichkeit. Und gleichermaßen nach innen an sein Team, an den Weltmeister, der im Jahr eins nach Brasilien selten weltmeisterlich auftrat. „Das Jahr nach der WM war mühsam. Die Spieler standen nicht immer unter allerhöchster Spannung“, sagte Löw.

Als Dritter drohen die Play-offs

Nach der Niederlage gegen Polen (0:2) im Hinspiel und dem Remis gegen Irland (1:1) liegt die deutsche Nationalmannschaft in Gruppe D der EM-Qualifikation nur auf Rang zwei. Das entspricht erstens nicht dem eigenen Selbstverständnis, und zweitens führt es dazu, dass Löws Team nun Nachholbedarf auf dem Weg zur EM hat. Vier Spieltage vor Ende der Gruppenphase braucht es zwei Siege – zunächst gegen Polen und am Montag auch gegen den Drittplatzierten Schottland –, um die Verhältnisse wieder zurechtzurücken und die Teilnahme am Turnier in Frankreich sicherzustellen. Mit 13 Zählern liegt die DFB-Auswahl einen Punkt hinter Polen und nur zwei vor Schottland. Die ersten beiden qualifizieren sich direkt für die Endrunde. Als Dritter würden die Play-offs drohen.

Für Löw und seine Mannschaft besteht kein Zweifel daran, dass letzteres Szenario nicht eintreten wird. Schon in den Tagen vor dem Polen-Spiel vernahm man ungewöhnlich forsche Töne beim DFB. Teammanager Oliver Bierhoff verband seine Lobeshymne auf Polens Topstürmer Robert Lewandowski vom FC Bayern mit den Worten: „Ich freue mich auf ein trauriges und enttäuschtes Gesicht von ihm nach dem Spiel.“ Zudem sprachen zahlreiche Spieler wie Thomas Müller und Bastian Schweinsteiger davon, dass sie nach der ärgerlichen Hinspielpleite auf Revanche gieren. „Mit den Polen haben wir noch eine Rechnung offen“, sagte Müller. „Es ist ein Duell auf Augenhöhe.“

Für Löw bedeutet dieses Duell auf Augenhöhe gegen die Polen eine dreifache Zäsur. Es läutet erstens das Ende der langen Findungsphase nach dem WM-Titel ein, zweitens den Anfang des Endspurts in der EM-Qualifikation sowie drittens den Auftakt für das übergeordnete Fernziel „Titelverteidigung bei der WM in Russland“.

Die Spannung ist zurück

Nach einem Jahr des mehr oder weniger großen Dahinplätscherns geht es für die DFB-Auswahl wieder wirklich um etwas. Die Spannung ist zurück, und Löw hat sie auch bei seinen Spielern wiederentdeckt. „Wir stehen vor den Wochen der Wahrheit“, sagte der Bundestrainer. Und war es nicht so, dass sein Team immer dann da gewesen ist, wenn es wirklich gebraucht wurde? Nun, gegen die wiedererstarkte polnische Mannschaft, sei sie gefragt. „Es ist ein gefährlicher Gegner. Das wird kein Selbstläufer“, sagte Löw.

Dieser „gefährliche Gegner“ ist für Löw auch ein schöner Testballon, ob sein Team schon für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet ist. Die Analyse der Polen habe ergeben, erzählte Löw, dass sie das Spiel gern dem Gegner überlassen, sich tief in der eigenen Hälfte verschanzen und die Räume eng machen, um dann zu kontern. So war es ja auch schon im Hinspiel, als die DFB-Auswahl zwar gefühlte 70 Prozent Ballbesitz besaß, daraus jedoch nichts erwirtschaften konnte und sich zweimal überrumpeln ließ.

Aber was sein Team nun gegen die Polen erwartet, wird auch in Zukunft bei den Turnieren auf sie zukommen. Die Entwicklung gehe dahin, dass immer mehr Teams es verstehen, organisiert zu verteidigen, so Löw. Seine Mannschaft müsse sich verbessern, dass sie auf engstem Raum zielstrebiger den Weg zum Tor findet. Das sei die Herausforderung – jetzt gegen Polen und in der Zukunft überhaupt. Denn Löw denkt in Vierjahreszyklen. Und deswegen sagte er noch einmal laut und deutlich, damit es jeder hören konnte: „Die EM ist ein wichtiges Etappenziel. Aber die Mission heißt: Titelverteidigung bei der WM 2018.“

Deutschland: Neuer – Rudy, Boateng, Hummels, Hector – Schweinsteiger, Kroos – Bellarabi, Özil, Götze – Müller.Polen: Fabianski – Piszczek, Glik, Szukala, Jedrzejczyk – Grosicki, Krychowiak, Jodlowiec, Rybus – Lewandowski, Milik.