Hamburg. Rafael Nadal zittert sich am Rothenbaum ins Viertelfinale. Ein Ex-Profi erklärt, warum Tennis ein so kopflastigesSpiel ist.

Zufriedenheit? Nein, die war wirklich nicht abzulesen vom Gesicht Rafael Nadals. Eher war es Erleichterung, die sich Bahn brach, nachdem der spanische Topfavorit beim ATP-Turnier am Rothenbaum am Donnerstag nach 2:11 Stunden gegen den Tschechen Jiri Vesely, 22, den zweiten Matchball genutzt hatte. Mit einem hart erkämpften 6:4, 7:6 (7:2) zog der Weltranglistenzehnte ins Viertelfinale ein, wo am heutigen Freitag Pablo Cuevas (Uruguay) nächster Gegner ist. „Er ist einer der weltbesten Spieler auf Sand. Wenn ich ins Halbfinale will, muss ich mich steigern“, sagte Nadal.

Auch in seinem zweiten Auftritt konnte der 29 Jahre alte Rothenbaum-Sieger von 2008 den Eindruck nicht zerstreuen, dass sein derzeit härtester Konkurrent er selber ist. Nadal schlug unfassbar schlecht auf, was der mit einem Doppelfehler vergebene erste Matchball grotesk illustrierte. Er wirkte in seinen Grundschlägen nicht sicher, auch die Überzeugung im Angriffsspiel fehlte. Dass es die Psyche ist, die nach der Achterbahnfahrt der bisherigen Saison verrückt spielt, unterstrich der Mallorquiner am Donnerstag erneut. „Ich bin froh, dass ich das mental durchgestanden habe. In meiner Situation sind solche Siege wichtig.“

Kommentar: Armutszeugnis für deutsche Herren am Rothenbaum

Warum die mentale Seite des Tennisspiels so wichtig ist, weiß Andy Fahlke aus eigener Erfahrung. Der 36-Jährige, der in Hamburg als Psychologe per Heilpraktikergesetz seine Dienste anbietet, war von 1997 bis 2002 selbst als Profi auf der ATP-Tour unterwegs. „Profisportler haben alle den Hang zum Ehrgeiz und den Drang, nach oben zu wollen. Gerade beim Tennis, das als Individualsport Fehler oder Schwächen nicht so verzeiht wie ein Teamsport, wiederholen sich gewisse Verhaltensmuster“, sagt er. So sei in Phasen des Misserfolgs das Katastrophisieren, ein selektives Verallgemeinern, bei dem nach einem schlechten Schlag oder einer falschen Entscheidung gleich der gesamte Matchplan infrage gestellt werde, ein oft beobachtetes Phänomen.

Die besten Bilder vom Rothenbaum-Turnier

Biss in die Trophäe: Rafael Nadal siegte erneut am Rothenbaum
Biss in die Trophäe: Rafael Nadal siegte erneut am Rothenbaum © dpa | Daniel Reinhardt
Im Finale besiegte Nadal den ...
Im Finale besiegte Nadal den ... © Daniel Reinhardt
... Italiener Fabio Fognini
... Italiener Fabio Fognini © dpa | Daniel Reinhardt
So sehen glückliche Qualifikanten aus: Der Franzose Lucas Pouille feierte mit dem Halbfinaleinzug am Rothenbaum den größten Erfolg seiner Karriere
So sehen glückliche Qualifikanten aus: Der Franzose Lucas Pouille feierte mit dem Halbfinaleinzug am Rothenbaum den größten Erfolg seiner Karriere © dpa
Benoit Paire, der zuvor noch das Turnier im schwedischen Bastad gewonnen hatte, konnte die Niederlage gegen seinen Landsmann kaum fassen
Benoit Paire, der zuvor noch das Turnier im schwedischen Bastad gewonnen hatte, konnte die Niederlage gegen seinen Landsmann kaum fassen © dpa
Zuschauer am Rothenbaum
Zuschauer am Rothenbaum © Witters
Zuschauer am Rothenbaum
Zuschauer am Rothenbaum © Witters
Zuschauer am Rothenbaum
Zuschauer am Rothenbaum © Witters
Rafael Nadal jubelt über seinen Viertelfinaleinzug am Rothenbaum
Rafael Nadal jubelt über seinen Viertelfinaleinzug am Rothenbaum © dpa | Daniel Bockwoldt
Der Tscheche Jiri Veselyblieb gegen Nadal chancenlos
Der Tscheche Jiri Veselyblieb gegen Nadal chancenlos © dpa | Daniel Bockwoldt
Alle Verrenkungen waren umsonst: Florian Mayer schied im Achtelfinale als letzter Deutscher aus
Alle Verrenkungen waren umsonst: Florian Mayer schied im Achtelfinale als letzter Deutscher aus © Witters
Gegen den Italiener Andreas Seppi setzte es eine Dreisatzniederlage
Gegen den Italiener Andreas Seppi setzte es eine Dreisatzniederlage © Witters
Dabei hatte Mayer den ersten Satz noch für sich entschieden
Dabei hatte Mayer den ersten Satz noch für sich entschieden © Witters
Am Ende ging dem 31 Jahre alten Bayreuther allerdings die Puste aus
Am Ende ging dem 31 Jahre alten Bayreuther allerdings die Puste aus © Witters
Alexander Zverev schnupperte an der Sensation und musste sich am Ende doch geschlagen geben
Alexander Zverev schnupperte an der Sensation und musste sich am Ende doch geschlagen geben © Witters | TayDucLam
Tommy Robredo war eine Nummer zu stark für den Hamburger Jung
Tommy Robredo war eine Nummer zu stark für den Hamburger Jung © Witters | TayDucLam
Zverev unterlag mit 7:6 (7:3), 4:6 und 2:6
Zverev unterlag mit 7:6 (7:3), 4:6 und 2:6 © Witters | TayDucLam
Rafael steht nach großem Kampf in der nächsten Runde am Rothenbaum
Rafael steht nach großem Kampf in der nächsten Runde am Rothenbaum © dpa | Daniel Bockwoldt
Der spanische Sandplatzkönig verlor den ersten Satz mit 3:6 gegen seinen Landsamnn Fernando Verdasco, kämpfte sich wieder zurück ins Match
Der spanische Sandplatzkönig verlor den ersten Satz mit 3:6 gegen seinen Landsamnn Fernando Verdasco, kämpfte sich wieder zurück ins Match © Witters | TayDucLam
Am Ende unterstrich Nadal seinen Favoritenstatus und setzte sich nach 1:56 Stunden mit 3:6, 6:1 und 6:1 durch
Am Ende unterstrich Nadal seinen Favoritenstatus und setzte sich nach 1:56 Stunden mit 3:6, 6:1 und 6:1 durch © Witters | TayDucLam
Kurzes Vergnügen: Philipp Kohlschreiber ist am Rothenbaum bereits in der ersten Runde ausgeschieden
Kurzes Vergnügen: Philipp Kohlschreiber ist am Rothenbaum bereits in der ersten Runde ausgeschieden © Witters
Gegen den Franzosen Benoit Paire unterlag die deutsche Nummer eins mit 3:6, 6:3, 1:6
Gegen den Franzosen Benoit Paire unterlag die deutsche Nummer eins mit 3:6, 6:3, 1:6 © Witters
Kohlschreiber musste sich bei seinem ersten frühen Hamburg-Aus seit sieben Jahren vor allem über viele leichtsinnige Fehler ärgern
Kohlschreiber musste sich bei seinem ersten frühen Hamburg-Aus seit sieben Jahren vor allem über viele leichtsinnige Fehler ärgern © Witters
Florian Meyer musste sich in der ersten Runde mächtig strecken
Florian Meyer musste sich in der ersten Runde mächtig strecken © Witters
Gegner war der Spanier Albert Montanes, der in der Qualifikation Mischa Zverev ausgeschaltet hatte
Gegner war der Spanier Albert Montanes, der in der Qualifikation Mischa Zverev ausgeschaltet hatte © Witters
Der Bayreuther Meyer war damit einer von nur drei deutschen Startern im Hauptfeld
Der Bayreuther Meyer war damit einer von nur drei deutschen Startern im Hauptfeld © Witters
Er ist das Zugpferd: Sandplatz-Spezialist Rafael Nadal schlägt zum vierten Mal am Rothenbaum auf
Er ist das Zugpferd: Sandplatz-Spezialist Rafael Nadal schlägt zum vierten Mal am Rothenbaum auf © dpa | Axel Heimken
32 Profis spielen beim Hamburger ATP-Turnier um den Titel
32 Profis spielen beim Hamburger ATP-Turnier um den Titel © dpa | Daniel Bockwoldt
Vorab standen sich Turnier-Chef Michael Stich (l.) und Goran Ivanisevic zum Legendenmatch gegenüber
Vorab standen sich Turnier-Chef Michael Stich (l.) und Goran Ivanisevic zum Legendenmatch gegenüber © WITTERS | TimGroothuis
Und vor allem Ivanisevic zeigte dabei sein Show-Talent
Und vor allem Ivanisevic zeigte dabei sein Show-Talent © WITTERS | TimGroothuis
Der Kroate ärgerte sich publikumswirksam...
Der Kroate ärgerte sich publikumswirksam... © WITTERS | TimGroothuis
...und scheute dabei auch keine obszöne Gesten
...und scheute dabei auch keine obszöne Gesten © WITTERS | TimGroothuis
Auch Ex-HSV-Präsident Jürgen Hunke hatte auf der Tribüne seinen Spaß
Auch Ex-HSV-Präsident Jürgen Hunke hatte auf der Tribüne seinen Spaß © WITTERS | TimGroothuis
Am Ende siegte Ivanisevic mit 6:7 (2:7), 6:3 und 11:9 - einen Pokal gab es aber auch für Stich
Am Ende siegte Ivanisevic mit 6:7 (2:7), 6:3 und 11:9 - einen Pokal gab es aber auch für Stich © WITTERS | TimGroothuis
Auch mit dem Australier Pat Cash duellierte sich Lokalmatador Stich
Auch mit dem Australier Pat Cash duellierte sich Lokalmatador Stich © WITTERS | ValeriaWitters
Am Rothenbaum wirbt Hamburg auch kräftig für die Olympischen Sommerspiele 2024
Am Rothenbaum wirbt Hamburg auch kräftig für die Olympischen Sommerspiele 2024 © WITTERS | TimGroothuis
Spaßvogel: Aufschlag-Ass Goran Ivanisevic beim Showmatch gegen Michael Stich
Spaßvogel: Aufschlag-Ass Goran Ivanisevic beim Showmatch gegen Michael Stich © WITTERS | TimGroothuis
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Nur wer sein Problem annimmt, kann es beseitigen, sagt der Psychologe

Um den Betroffenen einen Ausweg aufzuzeigen, setzt Fahlke auf einen ganzheitlichen Ansatz. „Ich pflücke den Menschen auseinander“, sagt er. Per Diagramm wird eine Matchanalyse erstellt, um herauszufinden, wo es Serien von Punktverlusten gab. Daraus lässt sich meist ein Muster ableiten, das Fahlke „dysfunktionale Einstellung“ nennt. Ist dieses gefunden, erarbeitet er gemeinsam mit dem Sportler zunächst einen Weg, das Problem zu akzeptieren, denn das sei der erste Schritt zur Besserung. „Wer das Problem als Feind ansieht und es durch Verdrängung bekämpfen will, verkrampft nur noch mehr. Wer es akzeptiert und annimmt, nimmt ihm den Schrecken.“

Ist dieser Schritt geschafft, wird ein Weg gesucht, um den dysfunktionalen Gedanken mit einem neuen, künstlich auferlegten Leitbild zu ersetzen, das die negative in positive Energie kanalisiert. „Das muss man hart trainieren. Aber wenn es klappt, gibt es eine positive Rückkopplung, die jeden Sportler überzeugt“, sagt Fahlke, dem eine solche Hilfe in der eigenen Karriere gefehlt hat. „Ich war früher der Meinung, alles über Emotionen regeln zu müssen. Dass man auch ohne Rumschreien, Erniedrigen der Gegner und Aufputschen Topleistung bringen kann, habe ich nie geglaubt“, sagt er.

Wie viel Bedeutung der Emotionskontrolle zukommt, hat der gebürtige Hamburger erst in seinen Fortbildungen erfahren. „Gerade Tennisspieler müssen lernen, die Impulse aus ihrem Inneren einzuordnen. Wenn man sich zu sehr von Emotionen leiten lässt, kommt es zu einem durch das Ego verstärkten Negativkreislauf“, sagt er.

Nadal im Viertelfinale – Mayer als letzter Deutscher raus

Zu beobachten sei das an Profis wie dem Italiener Fabio Fognini, der 2013 am Rothenbaum siegte, an diesem Freitag im Viertelfinale gegen den Briten Aljaz Bedene antritt, im vergangenen Jahr als Titelverteidiger aber in Runde eins ausschied und seinen serbischen Gegner Filip Krajinovic als „Scheiß Zigeuner“ beleidigte. Dabei seien Wutausbrüche nicht per se kontraproduktiv. „Man muss nur die daraus entstehende Energie positiv nutzen. Emotionen zulassen, sie aber dann auslaufen lassen und nicht verstärken; wer das beherrscht, ist auf dem besten Weg“, sagt Fahlke, der den Schweizer Roger Federer als leuchtendes Beispiel für diese These anführt. Der Grand-Slam-Rekordsieger galt als Junior als unbeherrschter Rüpel, heute wird er als Gentleman des Sports verehrt. Die Leistung hat unter dem Sinneswandel nicht gelitten, im Gegenteil.

Auch zum Thema Leistungsdruck hat Fahlke eine eigene Sicht. „Es wird, wie in dieser Woche bei Alexander Zverev, oft vom Druck geredet, den die Erwartung der Fans produziert. Der Druck kommt aber nie von außen, sondern aus dem Sportler selbst. Wer es schafft, die Ansprüche von außen zu genießen, der verspürt nie Druck“, sagt er. Fahlke setzt als Buddhist auf Meditation, um das Gefühl für das innere Gleichgewicht zu schärfen. „Sportler müssen geistig frei und unabhängig bleiben, um Topleistung zu bringen.“

Dass Topleistung dennoch bisweilen nicht reicht, um Matches zu gewinnen, musste Florian Mayer am Donnerstag feststellen. Der Bayreuther scheiterte trotz einer im ersten Satz überragenden Vorstellung mit 6:4, 2:6, 3:6 an Andreas Seppi, weil der Italiener dem wegen einer Schambeinentzündung ein Jahr ausgefallenen Mayer letztlich physisch überlegen war. Damit findet das Viertelfinale erstmals seit 2009 ohne deutsche Beteiligung statt.