Hamburg. Am Freitag schließt Uwe Seeler den Wilhelm-Rupprecht-Platz ab. Er war 90 Jahre lang Heimat des Brehme-Clubs HSV Barmbek-Uhlenhorst.

Stars unter sich. So war das damals, am 22. August 1967. Der sechsjährige blonde Knabe Andreas Brehme, bereits Liebling aller Barmbeker Fußball-Fans, und Weltstar Uwe Seeler tauschten auf dem seit 1925 bestehenden Wilhelm-Rupprecht-Platz die Wimpel. Es war ein historischer Moment, denn der HSV weihte mit einem Freundschaftsspiel gegen den Hamburger Sport-Verein Barmbek–Uhlenhorst von 1923 den Rasenplatz an der Steilshooper Straße ein. Uwe Seeler schoss auf dem frischen Grün zwei Tore, die Rothosen gewannen mühsam 4:3.

Morgen, am 31. August 2015, kehrt „uns Uwe“ noch einmal nach Barmbek zurück – diesmal allerdings aus traurigem Anlass. Das Mittelstürmer-Idol wird den altehrwürdigen Rupprecht-Platz „abschließen“, denn nach der feierlichen Oberliga-Saison-Eröffnung zwischen BU und Altona 93 wird auf diesem Geläuf nie wieder ein Fußballspiel stattfinden. Fußball-Hamburg verliert erneut einen traditionsreichen Platz, weil der Wohnungsbau in diesen schwierigen Zeiten wichtiger ist.

Autogramme von Bert Trautmann

Viele Menschen werden Tränen in den Augen haben. Der Rupprecht-Platz war das Herz des Vereins, auf dem früheren „Grand-Acker“ spielten sie einst Feldhandball, Faustball und Fußball, es gab herrliche Spiele und Spitzensport zu sehen. Stars und Sternchen gaben sich die Ehre. Der große Bert Trautmann, Torwart-Legende aus Manchester, gab Autogramme, der Tatort „Platzverweis für Trimmell“ wurde hier gedreht, Schauspieler wie Hansjörg Felmy, Hanns Lothar und Horst Michael Neutze, der am Barmbeker Bahnhof wohnte, wurden BU-Fans. Aus den eigenen Reihen gingen großartige Fußballer wie Stopper Horst Glasser, Regisseur Uwe Hennig, Torjäger Horst Engel, Verteidiger Hansi Hille und viele mehr hervor.

Hille beispielsweise wurde von der Hamburger Presse zum ersten Hamburger Fußball-Beatle gekürt – und sollte zum HSV. Fast alles war geklärt, bis auf eine winzige Kleinigkeit: die langen Haare. Der HSV wollte Hille nur ohne seine Mähne, Hille wollte die Zotteln behalten – nur daran scheiterte schließlich die Bundesliga-Karriere eines großartigen BU-Spielers.

BU-Keeper revolutionierte Torwartspiel

Etliche Fußballer haben einst auf dem Rupprecht-Platz Zeichen gesetzt. Hansel Tietz zum Beispiel spielte in den 60er-Jahren weit vor Petar Radenkovic (1860 München) den „fliegenden Torwart“. Tietz war zugleich sein eigener Kommentator, fast jede Szene wurde von ihm lautstark begleitet. Überragende Torhüter-Leistungen brachten zudem Karl-Heinz „Kalle“ Martini, der mit 17 Jahren zwischen die BU-Pfosten musste, und der vom HSV gekommene Peter Agge, der ein Publikumsliebling in Barmbek wurde.

1987 kam Lothar Matthäus zum Abschiedsspiel von Bernd Brehme (M.) an die „Barmbker Anfield“
1987 kam Lothar Matthäus zum Abschiedsspiel von Bernd Brehme (M.) an die „Barmbker Anfield“ © WITTERS | Witters

Hier ließen etliche HSV-Profis ihre Karriere ausklingen: Ernst Kreuz, Gert „Charly“ Dörfel, Willi Giesemann, Harry Bähre, Erhard „Tas“ Schwerin, Helmut Sandmann, Klaus Fock und viele mehr. Eine der größten BU-Persönlichkeiten war zudem der geniale Uwe Hennig, für den die Bundesliga 1963 zu spät kam. Der „Zehner“ galt als Rastelli, ein Zauberer, ein Künstler am Ball. Er konnte ein Spiel allein entscheiden, aber er konnte mit seinen Launen auch die eigene Mannschaft gehörig durcheinanderwirbeln.

„Mit euch Blinden spiele ich nicht mehr“

Gelegentlich zog Hennig zur Halbzeit seine „Buffer“ aus, feuerte sie quer durch die Kabine und polterte: „Ende für mich, ihr seid zu schlecht, mit euch Blinden spiele ich nicht mehr . . .“ Nur einmal zog er seine Stiefel nicht wieder an. Weil der Trainer nicht mehr wollte.

Zwei Szenen sind darüber hinaus typisch für Hennig. Im Spitzenspiel (heutige Oberliga) gegen den HTB ging es um Meisterschaft und Aufstieg. Vor über 6000 Zuschauern hieß es 2:2, als es Elfmeter für BU gab. Harburgs Auswahltorwart Horst Willumeit ging auf Hennig zu, fragte: „Wohin schießt du?“ Hennig, der in der elterlichen Glaserei arbeitete, antwortete gereizt: „Halt deinen Sabbel, geh in dein Tor – den donnere ich dir durch die Beine.“ Gesagt, getan, 3:2. Tags darauf titelte die „Bild“: „Glaser Hennig fand das Loch!“

Henning und der spektakuläre Torklau

Und noch einmal Hennig. BU führte in einem Punktspiel kurz vor dem Abpfiff 4:0. Der Gegner stürmte mit Mann und Maus, um noch ein Ehrentor zu erzielen, der Torwart stand auf Höhe Mittellinie. Uwe Hennig kam an den Ball, umkurvte den Keeper und schoss aus über 40 Metern auf das Tor. Die Kugel trudelte Richtung Netz, als Schiedsrichter Elmar Schäfer (Buchholz 08) abpfiff. Der Ball rollte zwar noch ins Tor, aber vorher war das Spiel beendet. Ein spektakulärer Tor-Klau. Hennig krallte die Hände in seinen Hintern und lief bis zur Kabine unaufhörlich keifend hinter dem grinsenden Unparteiischen her. Wenn Worte und Blicke hätten töten können . . .

Als Oddset-Pokalsieger darf BU im DFB-Pokal antreten, trifft in der ersten Runde auf den SC Freiburg
Als Oddset-Pokalsieger darf BU im DFB-Pokal antreten, trifft in der ersten Runde auf den SC Freiburg © WITTERS | TayDucLam

Das schönste Tor der BU-Vereinsgeschichte schoss vielleicht Siegfried „Siggi“ Drochner. Ein Kerl wie ein Baum. Es geschah Mitte der 60er-Jahre im Spiel gegen Wilhelmsburg 09. Abschlag des Gäste-Torwarts Globisch, kurz hinter der Mittellinie sah der bullige Drochner den Ball auf sich zufliegen. Sekt oder Selters! Jeder andere, und zwar zu 100 Prozent, hätte sich den Fuß gebrochen, aber nicht der gute „Sigi“. Er nahm den Lederball volley und drosch ihn über den am Strafraum stehenden und verdutzt drein schauenden Keeper ins 09-Tor.

Müller zwischen Genie und Wahnsinn

Ähnlich verhielt es sich in der Regionalliga-Spielzeit 1975/76. BU-Keeper Klaus „Theo“ Müller schoss den Ball bei einem Abschlag ins Tor von Preußen Hameln und war nicht nur an diesem Nachmittag der gefeierte Mann.

Müller konnte aber auch anders. In derselben Saison ging es gegen Union Salzgitter. Als Müller den Ball zu Paul Biege warf, schien der Verteidiger zu schlafen – fast wäre der Ball beim Gegner gelandet. „Theo“ Müller pöbelte so lange mit Biege, bis dieser sich zu seinem Torhüter drehte und ihm die Kugel aus 30 Metern ins Tor drosch. Fassungslosigkeit auf dem Platz und auf den Rängen – aber Biege wirkte irgendwie erleichtert. Wat mutt, dat mutt.

Brehme war schon als Kind die Sensation

Zurück noch einmal zum größten Sohn der BU-Vereinsgeschichte: Andreas Brehme. Er schoss Deutschland am 9. Juli 1990 mit seinem Elfmetertor gegen Argentinien zum Weltmeister-Titel. Sein Talent hatten Jahre zuvor bereits alle Barmbeker erkannt. Als kleiner Knabe, fünf, sechs Jahre alt, war er die Halbzeit-Attraktion auf dem Rupprecht-Platz. Die Schiedsrichter ließen den schweren Lederball nach 45 Minuten immer auf dem Anstoßkreis liegen – dann kam klein Andy. Er schnappte sich die Kugel und jonglierte damit: rechts, links, Kopf, Hacke, Spitze, eins, zwei, drei. Die Zuschauer tobten vor Vergnügen. Und lief Brehme dann mit dem Ball in Richtung Tor und hämmerte ihn aus vollem Lauf in den oberen Winkel, dann jubelten alle dem talenterten Knirps zu. Die Würstchen-Verkäufer schmollten, denn dieses Schauspiel ließ sich kein Fan entgehen, alle fieberten diesen spektakulären Auftritten entgegen.

Andreas Brehme (M.) sorgte bei BU schon in jungen Jahren mit seinem großen Talent für Aufsehen
Andreas Brehme (M.) sorgte bei BU schon in jungen Jahren mit seinem großen Talent für Aufsehen © WITTERS | WilfriedWitters

Vater Bernd Brehme war kein technisch versierter Verteidiger, er gehörte der rustikalen Art an. Wo er hintrat, jammerte der Gegner. Oft genug hat er seine Kontrahenten ohne Gnade um die Barriere gewickelt, es sollen noch heute Einkerbungen zu sehen sein. Brehme war einer der „härtesten Hunde“ seiner Zeit – und brach sich den Knöchel, als er zum Training kam, aus dem Auto ausstieg und vom Kantstein abrutschte. Sein Kommentar: „Das darfst du eigentlich keinem erzählen.“

Eine Opposition gab es nie

Aber auch solche Geschichten schreibt der Fußball. Und bei BU war von den 60er-Jahren aufwärts immer etwas los. Einmal (1974/75) schaffte der Club sogar den Sprung in die Zweite Liga, stieg aber sofort wieder ab. Der Verein wurde ob seines einzigartigen Vereinslebens von vielen Clubs beneidet. Mit einstmals 30 Jugend-Mannschaften stand der HSV Barmbek-Uhlenhorst sogar an zweiter Stelle in Deutschland.

Das BU-Clubheim am Wilhelm-Rupprecht-Platz
Das BU-Clubheim am Wilhelm-Rupprecht-Platz © Witters

Das Clubheim, eine gelb-blaue Holzbaracke, war das geliebte Wohnzimmer des Vereins, bei Wirt Harry Korn traf sich stets die BU-Familie. Eine Opposition gab es bei BU nie, jeder kannte jeden und alle vertrauten der Führung, dem Vorstand mit Willy Cordes an der Spitze. Und nach jedem Wochenende platzte das Clubheim aus den Nähten, wenn bei den Montagsversammlungen die jeweiligen Kapitänen Vorträge über die gerade gelaufenen Spiele ihrer Mannschaften hielten. Dieses Vereinsleben war einzigartig. Das weiß auch Uwe Seeler, der über BU befindet: „Ein großartiger und überaus sympathischer Verein.“

Ob es mit dem jetzigen Umzug an die Dieselstraße/Ecke Habichtstraße so wird wie damals? Eigentlich unmöglich. Bis zum Jahresende ist BU sowieso heimatlos, wird Gastrecht beim VfL 93 am Borgweg genießen.