Hamburg. Der 16 Jahre alte Dmitrij Kollars will Profi werden. Hockey-Bundestrainer Weise unterstützt das Projekt

Es ist ein ungewöhnlicher Zug, zu dem sich Dmitrij Kollars entschlossen hat. Im Juli wird der 16-Jährige das Bremer Gymnasium an der Hamburger Straße trotz eines guten Notendurchschnitts und einer eins in Mathematik nach der zehnten Klasse verlassen und beim Bundesligaverein Hamburger Schachklub (HSK) eine Karriere als Profi beginnen. Seine Lehrer wissen noch nichts davon, es gibt dennoch niemanden mehr, der ihn von diesem Plan abbringen kann.

„Ich spiele leidenschaftlich gern Schach, aber ich habe das Gefühl, wenn ich wirklich Erfolg haben will, lassen sich Schach und Schule vom Zeitaufwand her nicht vertretbar vereinbaren. Zuletzt hatte ich schon auf einige interessante Turniere verzichten müssen“, sagt der deutsche U16-Meister. Kollars ist eines der größten Talente des Landes. Experten sehen bei ihm das Potenzial eines Weltklassespielers.

Unterstützung erfährt er ausgerechnet von Christian Zickelbein, einem pensionierten Gymnasiallehrer (Deutsch, Französisch) und Lehrerausbilder, seit Jahrzehnten HSK-Vorsitzender. „Es ist nicht unser Weg als Verein, aber ich überschätze Schule auch nicht. Jeder soll seinen eigenen Weg gehen, und ich habe immer die Teilnahme an einem Schachturnier für ebenso lehrreich gehalten wie den Schulunterricht. Außerdem wäre eine Rückkehr in die Schule später noch möglich.“

Dmitrij Kollars, Sohn einer Ukrainerin und eines Deutschen, ist kein Hasardeur. Auf dem Brett liebt er das wohlkalkulierte Risiko, er greift gerne an, ohne alle Brücken hinter sich abzubrechen. Das Projekt hat sein Trainer Jonathan Carlstedt, 24, selbst ein potenzieller Großmeister, mit etlichen Planken versehen. „Die Idee ging von Dmitrij aus, ich habe nur versucht sie umzusetzen und optimale Bedingungen für ihn zu schaffen“, sagt der Bundesligaspieler. Nicht zuletzt gab die Expertise von Hockey-Bundestrainer Markus Weise den Ausschlag, der Kollars nach längeren Gesprächen die charakterlichen Fähigkeiten bescheinigte, das, was an Herausforderungen und möglichen Rückschlägen nun auf ihn zukommt, auch bewältigen zu können.

Weise ist ein starker Hobbyschaschspieler, der seit Längerem im HSK seine strategischen Fähigkeiten am Brett demonstriert. Ihn reizt, „jemandem weiterzuhelfen, der nicht aus meiner Sportart kommt. Die gemeinsame Klammer aller Sportler ist das Optimieren von Leistung. Es geht im Hockey wie im Schach um Wettkampfstabilität und mentale Stärke. Der Wille entscheidet ein Spiel und beim Schach die Partie.“ Genau diesen Willen scheint Weise bei Kollars zu spüren.

Schachprofi, das bedeutet außerhalb der Turniere jeden Tag bis zu acht Stunden Analysen am Brett oder am Computer, wobei Trainer Carlstedt das Gehirn als letzte Instanz über das Elektronengehirn stellt. Der körperliche Ausgleich darf bei diesem Programm nicht zu kurz kommen, Weise empfiehlt Sitzungen von maximal vier Stunden Dauer und dazwischen Ausgleichssport. Kollars joggt bislang nur einmal in der Woche. „Das muss sich dringend ändern“, mahnt Weise.

Wer mit 16 Jahren Schachprofi wird, kommt zu spät, um den norwegischen Weltmeister Magnus Carlsen, 24, noch irgendwann herausfordern zu können. Kollars weiß das. Seine Ambitionen sind bescheidener: Er will unter die Top 100 der Welt, dann hätte er sein geregeltes Auskommen. Für Bundestrainer Dorian Rogozenko, ebenfalls HSK-Mitglied, ist das der falsche Ansatz. „Das Ziel muss es immer sein, die Nummer eins werden zu wollen“, sagt der gebürtige Moldawier. Kollars hat aber seine volle Unterstützung: „Der Junge hat eine große Zukunft.“