Hamburg. Die Hamburger Judoka Martyna Trajdos will bei den Europaspielen ein deutliches Zeichen für Olympia 2016 setzen.

Das Erschrecken über die eigene Wortwahl ist Martyna Trajdos anzusehen. Dass sie ihre Gegnerin „zerstören“ will, solle man ihr nachsehen. „Es klingt wirklich nicht schön“, sagt die 26-Jährige, und man glaubt ihr das Bedauern. Mit der schwarzen Lederjacke, den Slippern in Schlangenhautoptik und der Halskette im Indianerstil wirkt sie so bedrohlich wie ein Katzenkind, das mit dem Wollknäuel spielt. Aber wenn sie auf der Judomatte steht, fühle sie sich manchmal wie ein Raubtier, „dann will ich meiner Gegnerin meinen unangenehmen Kampfstil aufzwingen und sie zerstören“.

An diesem Freitag hat die im polnischen Belchatow geborene und im Alter von drei Monaten mit ihren Eltern nach Harburg gezogene Athletin des Eimsbütteler TV die Chance, wieder auf Zerstörungstour zu gehen. Bei der Premiere der Europaspiele in Baku startet sie in der Klasse bis 63 Kilo. Und weil der Europaverband die Spiele nutzt, um seine Kontinentalmeisterschaft auszutragen und zudem Punkte zur Olympia-Qualifikation für Rio 2016 gesammelt werden können, hat das Turnier einen hohen sportlichen Wert für die 1,72 Meter große Athletin.

Anfang Mai war sie an selber Stelle im Grand-Slam-Turnier Zweite. In puncto Organisation und Verpflegung habe ihr die moderne Metropole durchaus imponiert. Den Reiz ziehen die Europaspiele für die Weltranglistensiebte vor allem aus der Möglichkeit, endlich bei einer großen internationalen Meisterschaft die oberste Stufe des Medaillenpodests zieren zu können.

Sie hat sich in der Weltspitze ihrer Gewichtsklasse längst etabliert, seit 2012 steht sie kontinuierlich in den Top Ten. Die Ergebnisse dieses Jahres – vor Baku war sie Fünfte beim Grand Prix in Zagreb, danach Dritte beim World Masters in Rabat (Marokko) – weisen auf eine Fortsetzung der Konstanz hin. Nur ganz oben stand sie bei einer EM oder einer WM noch nie.

Gelänge ihr dies in Baku, wäre es auch ein Signal für Rio. In der Weltrangliste stehen bis auf die Japanerin Miku Tashiro nur Kämpferinnen aus Europa vor ihr. Wer bei der EM siegt, zählt in Rio zu den Goldkandidaten. Ihre erste Olympiateilnahme scheint nur eine Verletzung durchkreuzen zu können. Die Top 14 der Weltrangliste sind qualifiziert. Pro Nation darf zwar nur eine Sportlerin antreten, die zweitbeste Deutsche, Nadja Bazynski aus Leverkusen, ist nur auf Rang 55 zu finden. „Ich habe mein Leben auf Rio ausgerichtet“, sagt Trajdos, und dafür hat sie mit einer alten Gewohnheit gebrochen.

Erst seit diesem Jahr schaut sie vor den Kämpfen Videos ihrer Gegnerin. „Früher wollte ich so kurzfristig wie möglich wissen, gegen wen ich kämpfe, weil ich Sorgen hatte, dass ich sonst zu viel nachdenke. Jetzt weiß ich, dass ich für meinen Traum von einer Olympiamedaille noch professioneller arbeiten muss.“ Das Buch, in dem sie zu jeder Gegnerin Notizen macht und diese nach jedem Kampf überarbeitet, steckt aber weiter in ihrer Sporttasche ebenso wie ein Zettel mit Motivationssprüchen. Diese Rituale hat sie beibehalten.

Um zu verstehen, was der Sport ihr bedeutet, muss man wissen, dass Martyna Trajdos schon immer gern kämpfte – allerdings bis zum Alter von elfeinhalb nur mit ihrem Vater. „Ich habe gern mit ihm gerauft, und irgendwann hat er mich überredet, mal zum Judo zu gehen.“ Wollte sie erst nicht, machte es dann doch. „Aber nur ein einziges Mal“, sagte sie dem Papa. Seitdem hat sie nicht mehr aufgehört. „Judo war Liebe auf den ersten Blick. Der Sport hat mir viel gegeben, er hat mich selbstbewusster und offener gemacht. Es ist mehr als nur eine Leidenschaft.“ Und nur weil das so ist, könne sie die vielen Entbehrungen verkraften, die der Nischensport, der keine Saisonpausen kennt, erfordert. Das Gewichtmachen zum Beispiel, wenn sie von ihren rund 67 Kilogramm, die sie seit 2008 konstant hält, vier abkochen muss, „da hat man schon häufig schlechte Laune, weil man nichts essen darf“. Oder der Verdruss, wenn sie sieht, wie viel Geld in anderen Sportarten verdient wird oder auch mit Judo in Frankreich, Brasilien oder Japan. „Da fragt man sich schon manchmal, warum man zwei- bis dreimal täglich trainiert. Aber das Herzblut ist mein Antrieb“, sagt sie.

Seit Mai ist Trajdos, die in Köln Sport und Leistung studiert und gerade ihre Bachelorarbeit schreibt, Mitglied der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Mit der Unterstützung des Verbandes, der seinen A-Kader-Athleten alle Reisen finanziert, muss sie keinen Nebenjob mehr annehmen, um über die Runden zu kommen. Und auch ihrem Hobby, dem Backen, kann sie die nötige Zeit einräumen, um das Bananenbrot herzustellen, das sie gern auf Wettkämpfe mitnimmt. Eine Spezialmischung ist das, mit Cranberries versetzt und den Aminosäuren, die ihr Körper braucht. Das Bananenbrot ist Futter auch für die Seele und den Kopf, denn wenn der nicht mitmacht, kann man keine Gegnerin „zerstören“.