Berlin. Blatters Ära an der Fifa-Spitze geht doch zu Ende. Er gibt sensationell seinen Rücktritt bekannt. Nun soll gegen ihn sogar ermittelt werden.

Joseph Blatter gibt doch auf! Nur vier Tage nach seiner Wiederwahl für eine fünfte Amtszeit kündigte der umstrittene Schweizer seinen sensationellen Rückzug als Fifa-Präsident an. Nach 17 Jahren an der Spitze formulierte Blatter Worte, die selbst im Sumpf der andauernden Korruptionsvorwürfe an seinen Weltverband niemand erwartet hätte. „Ich habe ernsthaft über meine Präsidentschaft nachgedacht und über die vierzig Jahre, in denen mein Leben untrennbar mit der Fifa und diesem großartigen Sport verbunden gewesen ist“, sagte Blatter.

Durch die Wahl am vergangenen Freitag habe er noch einmal das Mandat durch die Fifa-Mitglieder bekommen, „aber ich habe das Gefühl, dass ich nicht das Mandat der gesamten Fußball-Welt habe. „Daher habe ich entschieden, mein Mandat bei einem außerordentlich Kongress niederzulegen.“

Blatters Ankündigung könnte aber auch noch andere Gründe haben. Der amerikanische Sender ABC berichtete am Abend, dass das FBI und die US-Staatsanwaltschaft auch gegen ihn ermitteln würden. Quelle sei jemand, der mit dem Fall vertraut sei, hieß es. Die „New York Times“ schrieb mit Verweis auf offizielle Quellen, dass Blatter im Fokus der Ermittler war. Die US-Regierung hatte zuvor abgestritten, Blatter aus dem Amt gedrängt zu haben. „Die Vereinigten Staaten haben keine Position zu der Frage, wer der Präsident der Fifa ist“, sagte Marie Harf, Sprecherin im US-Außenministerium.

Was auch immer Blatter zu dem Schritt bewegte, aus Europa kamen nur zustimmende Reaktionen. Uefa-Präsident Michel Platini, der Blatter einen Tag vor dessen erneuter Wahl noch den Rücktritt nahegelegt hatte, erklärte: „Es war eine schwierige Entscheidung, eine mutige Entscheidung, und die richtige Entscheidung.“ Das sei die Entscheidung, „die absolut richtig ist, die überfällig ist“, sagte Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes unmittelbar nach Blatters Ankündigung.

„Es ist eigentlich eine Tragik, warum er es sich selber und uns allen das nicht erspart hat, dass er das früher gemacht hätte.“ Mit dem Rücktritt seien aber nicht „alle Probleme gelöst“, betonte Niersbach allerdings auch bei einem Termin in Berlin. „Dies ist ein guter Tag für den Weltfußball“, meinte Ligapräsident Reinhard Rauball.

Blatters Nachfolger als Fifa-Präsident soll voraussichtlich bei einem Sonderkongress des Weltverbands zwischen Dezember 2015 und März 2016 gewählt werden, kündigte Domenico Scala, Chef der FIFA-Compliance-Kommission, an. Gemäß Statuten des Weltverbands seien mindestens vier Monate zur Vorbereitung eines Wahlkongresses notwendig. Der nächste reguläre Fifa-Kongress ist erst für den 12. und 13. Mai 2016 in Mexiko-Stadt vorgesehen. „Dies wurde eine unnötige Verzögerung bedeuten“, sagte Blatter.

Bis zu der außerordentlichen Zusammenkunft der Fifa wird Blatter sein Amt noch ausüben. Zusammen mit Scala will Blatter in den noch verbleibenden Monaten an der Spitze grundlegende Veränderungen durchführen. Nach den nicht enden wollenden Korruptionsvorwürfen, die am Dienstag auch noch Blatters Generalsekretär Jérôme Valcke erreichten, kündigte Blatter eine „tief verwurzelte strukturelle Veränderung“ an.

„Im Exekutivkomitee sind Vertreter von Verbänden, über die wir keine Kontrolle ausüben, aber für deren Handlungen die Fifa verantwortlich gemacht wird.“ Blatter will das Exko, dem auch DFB-Präsident Niersbach seit Freitag angehört, plötzlich verkleinern. Noch kurz nach seiner Wiederwahl am Freitag hatte er eine Vergrößerung des Gremiums angekündigt. Die Mitglieder sollten nun zudem durch den Fifa-Kongress gewählt werden und nicht durch Entsendung der Kontinentalverbände ihren Platz bekommen. Dadurch erhofft man sich offensichtlich mehr Kontrolle.

Blatter wirkte relativ gefasst, als er seine Worte in französischer Sprache vortrug. Vom Kampfgeist, seiner vermeintlichen Aufbruchstimmung wie noch bei seiner Wiederwahl am Freitag trotz aller Gegenstände vor allem aus Europa war aber nichts mehr zu spüren. Zuversichtlich wollte er ungeachtet der Festnahmen und Anklagen gegen hochrangige Funktionäre am Freitag noch weitermachen und giftete einen Tag nach seiner Wahl noch gegen Platini. An diesem denkwürdigen 2. Juni 2015 wirkte Blatter aber auch ein bisschen wie ein geschlagener Mann.

Der Skandal um Schmiergelder, Korruption und Geldwäsche, bei dem in der Kongresswoche sieben hochrangige Fifa-Mitglieder festgenommen wurden und gegen insgesamt 14 von den US-Behörden ermittelt wird, war letztlich aber zu viel. Hinzu kommen die WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022 - hier ermittelt die Schweizer Justiz.

Die Schweizer Bundesanwaltschaft betonte jedoch am Dienstagabend diesbezüglich: „Das Verfahren der Bundesanwaltschaft wurde wegen des Verdachts der ungetreuen Geschäftsbesorgung sowie des Verdachts der Geldwäscherei gegen unbekannt eröffnet“, hieß es in der Mitteilung. Blatter sei kein Beschuldigter.“ Sein angekündigter Rücktritt habe keinen Einfluss auf das Strafverfahren.

„Es ist meine tiefe Sorge um die Fifa und ihrer Interessen, die mich zu dieser Entscheidung veranlasst hat“, sagte Blatter am Ende seiner wohl schwersten Rede. „Ich möchte denen danken, die mich immer unterstützt haben in konstruktiver und loyaler Weise als Präsident der Fifa“, betonte Blatter. 1998 hatte er den Posten übernommen.

Seine Entscheidung war ungeachtet der erneuten Zuspitzung der Ereignisse am Dienstag völlig unabsehbar. Nur wenige Medienvertreter hatten es überhaupt zu der Pressekonferenz in Zürich geschafft, nachdem sie gut eine Stunde vor dem geplanten Beginn erst angekündigt worden war. Nach einer dreiviertelstündigen Verspätung hatte Kommunikationschef Walter De Gregorio das Wort an Blatter übergeben. „Ich liebe die Fifa mehr als alles andere und will nur das tun, was am besten für die Fifa und den Fußball ist“, erklärte Blatter.

„Es war eine vernünftige Entscheidung von Sepp Blatter. Der Druck wurde zu groß. Er wäre nie mehr zur Ruhe gekommen, ob er Schuld an den Skandalen trägt oder nicht. Das Problem der Fifa liegt in seinem System“, sagte Franz Beckenbauer der „Bild“.

Stimmen zum Rücktritt

Michel Platini (UEFA-Präsident): "Es war eine schwierige Entscheidung, eine mutige Entscheidung und die richtige Entscheidung."

Wolfgang Niersbach (DFB-Präsident, zur Bild-Zeitung): "Eine Tragik, warum er es sich selber und uns allen das nicht erspart hat, dass er das früher gemacht hätte. Die Entscheidung ist absolut richtig, man könnte auch sagen, sie war irgendwo überfällig. Ein Aufbruch, den die Fifadringend braucht, ist nur mit einem neuen Mann an der Spitze möglich. Denn ungeachtet des Wahlsieges beim Kongress ist ja keine Ruhe eingekehrt. Ich habe keinerlei Informationen, ob möglicherweise neue Dinge aufgetaucht sind, die mit den Untersuchungen in Amerika zu tun haben."

Reinhard Rauball (DFL-Präsident): "Dies ist ein guter Tag für den Weltfußball. Sepp Blatter hat der Fifa mit seinem Rücktritt einen großen Dienst erwiesen. Alle, die für eine Reform der Fifa ernsthaft eingetreten sind, sind nun gefordert, mit konstruktiven Vorschlägen zur Einheit des Fußballs beizutragen. Glaubwürdigkeit und Transparenz müssen dabei an oberster Stelle stehen. Es gilt nun, möglichst schnell inhaltlich, strukturell und personell tragfähige Lösungen für die Zeit nach Sepp Blatter zu erarbeiten und auf den Tisch zu legen. Denn klar ist auch: Mit dem Rücktritt alleine sind noch lange nicht alle Probleme gelöst."

Thomas Bach (IOC-Präsident): "Wir respektieren diese Entscheidung von Präsident Blatter sehr, zurückzutreten und den Weg für eine neue FifaFührung freizumachen, die die nötigen Reformen einleitet."

Frank-Walter Steinmeier (Bundesaußenminister): "Ich habe gesagt: ein Neuanfang ist richtig. Und ich finde es gut, dass Sepp Blatter das mit seinem Rücktritt möglich gemacht hat. Die Diskrepanz zwischen den Funktionären und Fans war noch nie so groß wie jetzt. Dunkle Machenschaften und Geldgier auf der einen Seite, und Einsatz und Herzblut von Menschen, die sich gemeinnützig einsetzen, auf der anderen Seite."

Franz Beckenbauer (DFB-Ehrenspielführer, zur Bild-Zeitung): "Es war eine vernünftige Entscheidung von Sepp Blatter. Der Druck wurde zu groß. Er wäre nie mehr zur Ruhe gekommen, ob er Schuld an den Skandalen trägt oder nicht. Das Problem der Fifa liegt in seinem System."

Theo Zwanziger (ehemaliger Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, zum Spiegel): "Er erweist dem Fußball damit einen großen Dienst. Es ist ein guter Tag für den Fußball. Blatter wird gespürt haben, auf welch massive Proteste seine Wahl gestoßen ist. Das hat ihn kaum kalt gelassen."

Greg Dyke (Präsident des englischen Fußball-Verbandes FA): "Großartig für den Fußball."

Niederländischer Fußball-Verband KNVB: "Das ist ein Tag auf dem wir lange gewartet haben und für den wir in der letzten Zeit gekämpft haben. Wir hoffen, dass ein Vorsitzender kommt, der echte Reformen durchführen wird. Für uns ist das eine sehr gute Nachricht."

Michael van Praag (KNVB-Vorsitzender und Ex-Fifa-Präsidentschaftskandidat): "Was für eine schöne Nachricht. Ich weiß noch nicht, ob ich noch einmal kandidiere. Am kommenden Wochenende nehme ich an der Uefa-Vorstandssitzung in Berlin teil. Danach denke ich über meine Zukunftspläne nach."

Luis Figo (ehemaliger Weltfußballer, Ex-Fifa-Präsidentschaftskandidat, bei Facebook): "Ein guter Tag für die Fifa und für den Fußball. Der Wechsel kommt nun doch. Ich habe am Freitag gesagt, dass dieser Tag früher oder später kommen wird. Da ist er! Nun sollten wir - verantwortungsvoll und in aller Ruhe - einen weltweiten Konsens und eine Lösung finden, um eine neue dynamische, transparente und demokratische Ära in der Fifa zu beginnen."

Witali Mutko (Sportminister in Russland): "Es ist offensichtlich, dass er die Fifaschützen will und erwartet, dass die Reformen in der Organisation weitergeführt werden."

Gary Lineker (ehemaliger englischer Nationalspieler, bei Twitter): "Blatter ist zurückgetreten. Ich kann es noch gar nicht glauben."

Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages): "Das ist eine große Erleichterung. Da fällt mir der erste kleine Stein von dem ganzen Gebirge vom Herzen. Das ist ein überfälliger Schritt. Spätestens wenn der Generalsekretär in Verdacht gerät, kann Blatter nicht mehr sagen, er weiß von nichts. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Jetzt braucht es profunde Reformen von Anfang an."

Özcan Mutlu (sportpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen): "Der Rücktritt war überfällig und ist ist eine Chance für den Neuanfang der Fifa. Jetzt müssen die Reformer alles auf den Kopf stellen. Dafür sind Strukturreformen unabdingbar! Neuanfang Fifa bedeutet auch Neuanfang in den Kontinentalverbänden, auch der Uefa. Aufklärung über die vergangenen Vergaben und Wahlen sind ebenso nötig. Wir fordern die Neuvergabe der Weltmeisterschaften 2018 in Russland und 2022 Qatar!"

Frank Steffel (CDU, MdB und Obmann im Sportausschuss): "Nach dem Rücktritt von Joseph Blatter ist nun endlich der Weg für einen Neuanfang bei der Fifa frei! Der Verband sollte sich nun die Zeit nehmen um sich grundlegend zu reformieren und um verlorengegangenes Vertrauen wieder zu bekommen. Ein neuer Mann an der Spitze allein reicht dazu nicht aus. Als Fußball-Fan hoffe ich darauf, dass die Fifa zu diesem Schritt bereit ist!"

Sylvia Schenk, (Leiterin der Arbeitsgruppe Sport bei Transparency International, bei Sky): "Der Rücktritt kam nicht völlig unverhofft. Ich hatte schon das Gefühl, er könnte sich wählen lassen und dann hinschmeißen. Er hat einen eleganten Weg gewählt. Es ist der Versuch, nochmal einen starken Abgang hinzulegen. Die Fifa kann umstruktiert werden , die Chance ist jetzt da. Jetzt müssen die, die Kritik geübt haben, konstruktiv mitarbeiten."