Zürich. Die Gräben zwischen dem Fußball-Weltverband Fifa mit Präsident Blatter und dem Europaverband Uefa sind tiefer denn je

Nach dem weltweiten Sturm der Entrüstung und dem „Hass“ aus den eigenen Reihen geht Joseph S. Blatter nun selbst zum Angriff über. Mit der absoluten Mehrheit des tief in der Krise steckenden Fußball-Weltverbandes im Rücken kanzelte der alte und neue Fifa-Präsident erst seinen Widersacher Michel Platini, Präsident der Europäischen Fußball-Union Uefa, ab – und versuchte dann, einen Keil zwischen Franz Beckenbauer und Wolfgang Niersbach zu treiben.

„Ich habe mit Franz Beckenbauer telefoniert. Er sagte mir, er jedenfalls habe den deutschen Verbandspräsidenten zusammengefaltet, weil der gegen mich stimmte“, berichtete Blatter im Schweizer „SonntagsBlick“. Beckenbauer bestätigte zwar das Gespräch mit dem Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nach der umstrittenen Wiederwahl Blatters. Von „zusammenfalten“ könne aber „überhaupt keine Rede sein“, sagte er der „Bild“: „Wolfgang Niersbach und ich haben ein herzliches und offenes Verhältnis.“

Beckenbauer nahm Blatter allerdings in Schutz und kritisierte das Vorgehen der Uefa als Gegenspieler des Schweizers. „Es ist das System, nicht der Einzelne“, sagte der Ehrenpräsident des FC Bayern München. Der Weltverband sei eine Ansammlung von Funktionären, die auch ein Fifa-Chef unmöglich alle kennen könne. „Er wird nicht unbedingt wissen, wer die Leute sind, die in den Verbänden gewählt wurden – aus Samoa oder Virgin Islands oder sonst was“, sagte das frühere Fifa-Exekutivkomitee-Mitglied.

Letztlich hält Beckenbauer den Faktor Mensch dafür verantwortlich, ob alles sauber ablaufe. Zu „Unebenheiten“ werde es weiter kommen, „solange es Menschen gibt mit dieser Einstellung und diesem Charakter“, erklärte er. Die europäischen Widersacher Blatters kritisierte Beckenbauer. „Die Uefa hat ja noch nicht einmal einen eigenen Kandidaten vorzuweisen. Wenn ich etwas ändern will, dann muss ich eine Alternative anbieten“, sagte er der „Thüringer Allgemeinen“. „Es gab keinen Herausforderer. Man hat einen Asiaten unterstützt, der relativ unbekannt ist“, sagte Beckenbauer über Blatters Gegenkandidaten Prinz Ali bin al-Hussein.

Nun müssten sich Fifa und Uefa wieder annähern. „Sie sollten sich schleunigst zusammensetzen, um eine Möglichkeit der Kommunikation wiederzufinden. Das, was im Moment stattfindet, ist für die Verbände und den Fußball schädlich.“ Einen WM-Boykott durch die Uefa lehnte Beckenbauer ab: „Deshalb hat uns der liebe Gott ja die Stimme gegeben, dass wir miteinander reden“, betonte er.

Die scharfe Kritik sowie die Rücktrittsforderungen vonseiten der Uefa vor der Wahl in Richtung Blatter sind nicht spurlos an dem 79-Jährigen vorbeigegangen. Nach seinem Triumph gegen Prinz Ali bin al-Hussein (133:73 Stimmen) bleibt er aber bis 2019 Fifa-Präsident, weil Hussein zum zweiten Wahlgang nicht mehr angetreten war. „Mich haben 133 Nationalverbände gewählt, aber ich bin auch der Präsident von denen, die mich nicht gewählt haben“, mahnte der seit 1998 amtierende Fifa-Boss. Im Schweizer Fernsehen sprach er von „Hass“ gegen seine Person – ohne Platinis Namen zu erwähnen, wussten dennoch alle, wer gemeint war. „Ich verzeihe jedem, aber ich vergesse nicht“, betonte Blatter.

Die Uefa geht trotz der schweren Korruptionsvorwürfe gegen hochrangige Fifa-Funktionäre als klarer Verlierer der denkwürdigen drei Tage von Zürich in die kommenden Jahre. Der Plan mit Prinz Ali war nicht aufgegangen, die WM-Boykottandrohungen im Zuge der Ermittlungen der US- und Schweizer Behörden entpuppten sich als heiße Luft. Einzig der Engländer David Gill blieb der Sitzung des neuen Exekutivkomitees am Sonnabend in Zürich fern. Niersbach und Platini saßen mit Blatter an einem Tisch. Sie verhinderten aber immerhin die nächste schallende Ohrfeige für die Uefa.

Das Exko bestätigte „ohne Kampfabstimmung“ (Niersbach) die Verteilung der WM-Startplätze. Bei der Endrunde in Russland (2018) gehen 14 europäische Teams an den Start (13 plus Gastgeber), vier Jahre später in Katar 13. „Man ist sich aber darüber im Klaren, dass man zumindest darüber diskutieren muss, mit Blick auf 2026 über eine Erhöhung zu sprechen, möglicherweise bis hin zu 40 Teilnehmern“, sagte Niersbach, der sich sehr bemühte, den Bruch zwischen Welt- und Europaverband in den Hintergrund zu drängen.

„Es gibt jetzt kein Ende der Beziehungen und keinen Abbruch der Kooperation“, sagte der DFB-Präsident: „Fest steht, dass die Uefa mehrheitlich den Wechsel an der Fifa-Spitze wollte und dafür votiert hat. Aber letztlich ist es ein demokratischer Prozess, den man respektieren muss.“ Viel mehr ist vom angekündigten „Krisengipfel“ der Uefa-Nationen am Rande des Finales der Champions League in Berlin (6. Juni) nicht zu erwarten. Statt weiter offen die Konfrontation mit Blatter zu suchen, warb Niersbach für Kooperation im Zeichen der Krise. „Uns allen ist bewusst, dass diese Schwierigkeiten mit dem Kongress und der Exko-Sitzung nicht vorbei sind und dass da auch eine innere Unruhe herrscht sowie die Sorge über das, was da noch kommt“, sagte der 64-Jährige.

„Ich bin ziemlich sicher, dass es weitere Anklagen gegen Fußball-Funktionäre geben wird“, sagte Richard Weber, Leiter der Kriminalabteilung bei der US-Steuerbehörde IRS, der „New York Times“: „Wir glauben sehr stark, dass noch andere Personen und Institutionen in kriminelle Machenschaften verwickelt sind.“ Bislang richtete sich die Anklage der US-Staatsanwaltschaft gegen 14 Personen, darunter neun Fifa-Offizielle. Zudem ermittelt die Schweizer Bundesanwaltschaft wegen „Unregelmäßigkeiten“ bei den WM-Vergaben an Russland und Katar. Der Name Blatter taucht dort bislang nicht auf.

„Das war wirklich ein Erdbeben, das uns da erschüttert hat“, sagte der Fifa-Präsident und vertrat erneut seine umstrittene Einzeltäter-These: „Ich weiß nicht genau, wie die Fifa als Organisation davon betroffen ist.“ Er selbst sei nicht betroffen. Und: „Der Kongress ist der Meinung, dass ich der richtige Mann bin, um die Probleme zu lösen.“