New York. Bryant Jennings begann erst im Alter von 24 Jahren zu boxen, wechselte 2010 ins Profilager und lernt immer noch von Kampf zu Kampf.

Warum er sich nicht davor ängstigt, mit Wladimir Klitschko in den Ring zu steigen, darauf hat Bryant Jennings eine einleuchtende Antwort: „Ich komme aus den Straßen von North Philadelphia. Viele meiner Freunde sind tot, weil sie erschossen wurden oder an Drogen starben, oder sie sitzen im Knast. Auch ich habe früher nie gedacht, dass ich es schaffe, die 25 zu überschreiten. Wladimir wird im Ring keine Waffe auf mich richten, und wenn ich gewonnen habe, wird mir keiner die Gürtel wegnehmen. Ich fühle mich total sicher. Warum also sollte ich Angst haben? Nichts kann schlimmer sein als das, was ich erlebt habe!“

Natürlich verbietet in einem Sport, in dem ein einziger Schlag Geschichte verändern kann, der Respekt vor jedem, der sich die Chance auf ein Ring-Date mit Klitschko erkämpft hat, ihn abzuschreiben. Bryant Jennings vor dem Duell mit dem Dreifachweltmeister im Schwergewicht an diesem Sonntagmorgen (5 Uhr MESZ/RTL; Wiederholung 10.30 Uhr ) im New Yorker Madison Square Garden als krassen Außenseiter zu bezeichnen, das ist nicht vermessen. „Ich habe kein Problem damit, wenn alle sagen, dass mir Erfahrung fehlt und ich noch nicht reif bin für die Herausforderung Klitschko. Ich werde allen beweisen, dass sie damit falsch liegen“, sagt der 30-Jährige, der 2006, als Klitschko sich den ersten seiner heute drei WM-Gürtel zurückholte, nicht einmal daran dachte, dem Champion irgendwann zwischen Ringseilen gegenüberzustehen.

Klassisch amerikanischer Karriereweg

Der Karriereweg, den der 1,91 Meter große Normalausleger beschritten hat, ist so klassisch amerikanisch, dass er zu einem Hollywood-Film taugen würde, sollte Jennings die Überraschung gelingen. Aufgewachsen unter Kriminellen mit einem Vater, der zwischen Knast und Arbeitslosigkeit pendelte, konnte er sich Konflikten mit dem Gesetz immer dadurch entziehen, „dass ich stets einen Job hatte“. Das änderte sich auch nicht, als er nach einer kurzen Karriere als Footballer im reifen Alter von 24 Jahren mit dem Boxen begann, und selbst dann nicht, als er nach 18 Amateurkämpfen im Februar 2010 ins Profilager wechselte.

„Ich war nie überzeugt davon, dass ich mit dem Boxen genug Geld verdienen könnte. Ich war froh, dass ich einen Plan B hatte“, sagt er. Erst als er in seinem 19. und bislang letzten Profikampf im Juli den in den USA hoch eingeschätzten Mike Perez mit einem 2:1-Punktsieg bezwang und in den Kreis der Klitschko-Herausforderer aufstieg, änderte Jennings seine Meinung. Bis dahin hatte er als Hausmeister in der Federal Reserve Bank in Philadelphia gearbeitet, oft in der Nachtschicht, war danach direkt ein paar Stunden ins Gym gegangen, um zu trainieren. Am 22. August war sein letzter Tag bei der Bank, nun ist er Boxprofi in Vollzeit.

Kampf gegen Klitschko eigentlich zu früh

Dass ein Kampf mit dem Dominator des Schwergewichts für ihn zu früh kommt, wissen alle in seinem Team. „Bryant hat bislang 75 Prozent seines Leistungsvermögens abgerufen. Ich hätte mir gewünscht, dass er nach dem Perez-Kampf häufiger geboxt hätte. Aber nun haben wir die Chance gegen Klitschko“, sagt Trainer Fred Jenkins.

Immerhin hat er in seinem Leben schon oft bewiesen, dass er schnell zu lernen imstande ist. „Ich habe nie eine Ausbildung gemacht, als Hausmeister habe ich alles durch Zuschauen gelernt. Beim Boxen war das kaum anders, auch da lerne ich von Kampf zu Kampf“, sagt Jennings. Gegen Perez, den mit Abstand stärksten Gegner seiner bisherigen Laufbahn, schaffte er es, nach der Hälfte des Kampfes seine Strategie zu ändern. „Ich hatte damals keine Videos von ihm geschaut und war deshalb nicht gut vorbereitet“, gibt er zu.

Körperlich ist Jennings, dessen sechs Jahre alter Sohn Mason am Ring dabei sein wird, bereit für das, was auf ihn wartet. Dass er Klitschko auch mental gewachsen ist, bezweifelt er nicht. „Ich glaube, dass es gut war, dass ich viele Erfahrungen auf die harte Tour gemacht habe“, sagt Bryant Jennings, „so habe ich gelernt, immer einen Ausweg zu finden.“