Hamburg. Vor dem Fedcup-Halbfinalmatch in Russland spricht Tennisspielerin Angelique Kerber über die Belastungen des Reisens, ihren Umgang mit Schwächen und die Freundschaft zu Andrea Petkovic.

Die deutschen Tennisdamen wollen nach der Finalniederlage im vergangenen Jahr auch in der aktuellen Fedcupsaison wieder hoch hinaus. Ein Sieg über Russland auf Sand in Sotschi an diesem Wochenende, und die Auswahl von Teamchefin Barbara Rittner dürfte im November daheim gegen Titelverteidiger Tschechien oder Frankreich erneut um den ersten Titel seit 1992 kämpfen. Für die Einzel (Sonnabend, 13 Uhr, und Sonntag, 12 Uhr MESZ, live bei Sat.1 Gold und auf tennis.de) nominierte Rittner Julia Görges aus Bad Oldesloe, die zunächst gegen Swetlana Kusnetsowa antritt, und die Berlinerin Sabine Lisicki, die am ersten Tag auf Anastasia Pawlutschenkowa trifft. Die Kielerin Angelique Kerber und Andrea Petkovic aus Darmstadt wären am Sonntag im Doppel gefragt, sofern es nach vier Einzeln 2:2 steht.

Hamburger Abendblatt: Frau Kerber, wissen Sie eigentlich, in welcher Zeitzone Sie sich gerade befinden?

Angelique Kerber: Ich kriege das schon zusammen, ja. Aber ich gebe zu, dass ich in den vergangenen Tagen sehr müde war. Der Jetlag und vor allem die lange Flugreise steckte mir in den Knochen.

Sie haben am vergangenen Sonntag das WTA-Turnier in Charleston im US-Bundesstaat South Carolina gewonnen, an diesem Wochenende sollen Sie das deutsche Fedcupteam in Russland ins Finale führen. Wie verkraftet Ihr Körper eine Tortur mit sieben Stunden Zeitumstellung und einer Vielzahl von Flügen?

Kerber : Das Problem war, dass ich nicht direkt nach Sotschi reisen konnte, sondern noch einmal nach Hause musste, um dort meine Sachen für den Fedcup zu holen. Ich war sechs Wochen in den USA unterwegs, da war es nötig, ein paar Dinge auszutauschen, auch für die Turniere, die nach dem Fedcup kommen. Also bin ich von Charleston über Washington und Frankfurt nach Posen geflogen und von dort am Dienstag über München und Istanbul nach Sotschi, wo ich erst am Mittwochmorgen ankam. Allerdings ohne mein Gepäck, das kam erst einen Tag später. Da ist man natürlich erst einmal platt.

Und kann wahrscheinlich trotzdem nicht schlafen, weil der Jetlag es verhindert. Was tut man dann?

Kerber : Der Trick ist, dass man über den toten Punkt hinweg wach bleibt, bis es in der aktuellen Zeit 22 Uhr ist. Das habe ich am Mittwoch getan, dann konnte ich bis 8 Uhr am nächsten Morgen durchschlafen und war einigermaßen im Rhythmus. Man muss den Körper pflegen, gut essen, viel trinken und sich auch mal zwischendurch hinlegen, wenn man müde wird. Wenn dann noch die gute Behandlung durch unsere medizinische Abteilung dazu kommt, ist es möglich, innerhalb von ein paar Tagen wieder fit zu sein. Deshalb denke ich, dass ich in Topform antreten kann.

Der Stress wäre nicht so groß gewesen, hätten Sie in Charleston nicht das Finale gespielt. Gibt es so etwas wie Turniersiege zur Unzeit?

Kerber : Nein, so würde ich niemals denken. Den ganzen Stress nehme ich gern auf mich, wenn ich dafür mit Titeln belohnt werde. Den Turniersieg würde ich nicht hergeben wollen.

Zumal er nach einer wochenlangen Phase der Unsicherheit bestimmt eine mentale Wohltat für Sie war.

Kerber : Auf jeden Fall! Nachdem ich mich kurz vor der USA-Serie Mitte März von meinem Trainer Benjamin Ebrahimzadeh getrennt hatte, stürzte doch einiges auf mich ein. Ich hatte einige nicht so gute Matches und auch nicht so viel Glück mit den Auslosungen. Dennoch hatte ich das Gefühl, jeden Tag alles gegeben und gut gearbeitet zu haben. Wenn man nach so einer Phase ein Turnier gewinnt, bei dem man in jedem Match gut spielt, dann ist das die Bestätigung dafür, dass der eingeschlagene Weg richtig ist. Ein solcher Erfolg gibt sehr viel Kraft, und er kam angesichts des anstehenden Fedcup-Halbfinales genau zur rechten Zeit.

Durch Ihre jahrelangen kontinuierlichen Erfolge stehen Sie im Fokus der Tennisinteressierten. Da war es klar, dass eine Schwächephase Zweifler auf den Plan ruft. Haben Sie diese Misstöne verunsichert, oder sind Sie heute stabil genug, damit umzugehen?

Kerber : Natürlich bekomme ich mit, dass Unruhe aufkommt, wenn es bei mir nicht so läuft wie erwartet. Früher hat mich so etwas sicherlich stärker mitgenommen. Heute weiß ich, dass es solche Phasen gibt, in denen es nicht läuft, und dass man da durchgehen muss. Ich habe Erfahrungen gesammelt, die mir in solchen Lebensabschnitten helfen. Dennoch gebe ich gern zu, dass es nicht einfach ist, wenn um einen herum viele anfangen zu zweifeln. Umso wichtiger ist eine Bestätigung wie der Sieg in Charleston, der mir gezeigt hat, dass ich mental mittlerweile stark genug bin, um im Misserfolg ruhig zu bleiben. Ich bin froh, dass ich mich wieder selbst gefunden habe.

Und auch, dass Sie zu Ihrem alten Trainer Torben Beltz zurückgefunden haben?

Kerber : Der momentane Status ist, dass ich mich weiterhin umschaue. Klar ist aber, dass ich Torben sehr dankbar bin, dass er mir in den vergangenen Wochen geholfen hat. Wir kennen einander ewig, er ist ein sehr positiver Mensch, und wir hatten eine gute Zeit bei den US-Turnieren. Deshalb werde ich nach dem Fedcup die nächsten Turniere mit ihm machen, und dann schauen wir weiter.

Dann lassen Sie uns auf das anstehende Wochenende schauen. Teamchefin Barbara Rittner hat sich sehr lange Zeit gelassen, um ihre Einzelspielerinnen zu nominieren, und sich aus körperlichen Gründen gegen Sie entschieden. Hätten Sie erwartet, als aktuelle Turniersiegerin und diejenige, die den Halbfinaleinzug mit ermöglicht hat, einen Bonus zu besitzen?

Kerber : Überhaupt nicht. Barbara hat uns in den Nominierungsprozess stets eingebunden, sie musste ja auch erst einmal herausfinden, in welchem Zustand Andrea Petkovic, gegen die ich in Charleston ja noch im Halbfinale gespielt habe, und ich uns befinden. Wir treten hier als Team an, und jede im Team hat es verdient, dabei zu sein und zu spielen. Sabine Lisicki zum Beispiel hat sich in den vergangenen Wochen ja auch sehr stabilisiert, und Julia Görges ist auch in Topform. Es darf keinen Bonus geben, es muss die Leistung zählen, die jede aktuell bringen kann.

Sie treten mit Andrea Petkovic im Doppel an. Ist es schwierig, eine Mannschaftskameradin im Halbfinale eines Turniers zu besiegen und eine Woche später gemeinsam mit ihr Großes erreichen zu müssen?

Kerber : Für Petko und mich ist es nie einfach, gegeneinander zu spielen. Wir haben so viel gemeinsam durchgemacht, sind sehr eng befreundet und kennen die Schwächen der jeweils anderen sehr genau. Aber wir sind Profis genug, dass wir solche Situationen annehmen und die Matches spielen, die gespielt werden müssen. Jetzt gemeinsam mit ihr Großes für Deutschland erreichen zu können, ist eine großartige Chance, auf die wir beide sehr brennen.

Ärgern Sie sich über die Erwartungshaltung in Teilen der Tennisszene, dass nach dem Finaleinzug im vergangenen Jahr alles andere als eine erneute Endspielteilnahme eine Enttäuschung wäre?

Kerber : Ärgern ist das falsche Wort. Ich wundere mich manchmal über die Erwartungshaltung, aber die Menschen sind nun einmal so. Ich habe den Druck allerdings viel stärker vor dem Viertelfinale gegen Australien gespürt. Wenn wir als Vorjahresfinalist daheim gleich zum Auftakt ausgeschieden wären, wäre das sicherlich eine Enttäuschung gewesen. Jetzt stehen wir wieder im Halbfinale, das ist doch ein toller Erfolg. Und wir spielen auswärts, da ist der Druck längst nicht mehr so hoch.

Teilen Sie dennoch die Ansicht, dass Deutschland nach der verletzungsbedingten Absage von Russlands Topspielerin Maria Scharapowa als Favorit ins Halbfinale geht?

Kerber : Ich denke nicht, dass die Aufgabe durch Marias Absage leichter geworden ist. Wir werden Russland sicherlich nicht unterschätzen, weil wir wissen, dass sie mit Swetlana Kusnetsowa und Anastasia Pawlutschenkowa weitere starke Spielerinnen haben. Aber wir sind auch gut, deshalb wird es von der Tagesform abhängen und davon, wer mehr Teamgeist entwickelt. Wir sind heiß darauf, wieder das Finale zu spielen. Aber wenn es nicht klappt, ist das auch kein Drama.