Tiflis. Beim 2:0-Sieg in Georgien wirft die Nationalmannschaft zwar Systemfragen auf, kann aber die Sorgen um die EM-Qualifikation vorerst zerstreuen

Am späten Sonntagabend war es vor allem Joachim Löws blütenweißes Hemd, das im Bauch des zuvor ausverkauften Boris-Paitschadse-Nationalstadion glänzte. Denn trotz des ungefährdeten 2:0-Auswärtssiegs in Georgien verzichtete der Freiburger im Anschluss auf allzu große Jubelarien. Es sei ein verdienter und wichtiger Sieg gewesen, analysierte Löw betont nüchtern, ehe er einen ganz kurzen Einblick in sein zuletzt strapaziertes Seelenleben gab: „Wir wussten, dass wir dieses Spiel gewinnen mussten“, sagte der Bundestrainer und wiederholte ruhig und unaufgeregt im löwschen Duktus: „Wir mussten dieses Spiel einfach gewinnen.“

Richtig laut war es dagegen zweieinhalb Stunden zuvor gewesen, als die 54.549 Zuschauer kurz vor dem Anpfiff voller Inbrunst die georgische Nationalhymne Tawisupleba angestimmt hatten. Es war nur ein akustischer Vorgeschmack auf das, was in den folgenden 90 Minuten im kaum noch messbaren Dezibelbereich folgen sollte: Die (wenigen) georgischen Ballgewinne wurden lautstark gefeiert, die (zahlreichen) deutschen Tormöglichkeiten mit einem Pfeifkonzert, das an einen Düsenjäger erinnerte, verschmäht.

Dass die unermüdliche Unterstützung der georgischen Zuschauer an diesen Sonntagabend aber nicht reichen würde, wurde bereits nach gut 200 Sekunden deutlich. Marco Reus’ Lattenschuss war der Startschuss für einen deutschen Sturmlauf, wie man ihn zumindest 45 Minuten lang seit dem unvergesslichen WM-Sommer des vergangenen Jahres nicht mehr gesehen hatte. Und obwohl Schiedsrichter Clement Turpin die beiden Mannschaften bereits nach 44 Minuten und 40 Sekunden in die Kabine bat, konnte sich Löws Team allein im ersten Durchgang ein Torverhältnis von 8:0 herausspielen.

„Mit der ersten Halbzeit war ich sehr zufrieden. Wir waren konzen­triert, dynamisch und immer beweglich“, lobte Löw. Da störte es den Fußballlehrer im Nachhinein auch kaum, dass er immerhin bis zur 36. Minute warten musste, ehe Dortmunds Reus das erhoffte Führungstor erzielte. Fünf Minuten, ein Reus-Schuss und eine Kroos-Möglichkeit später war die Partie nach Thomas Müllers humorlosem Tor zum 2:0 entschieden. „Drei Punkte – das war’s“, stimmte Torschütze Müller später in Löws zurückhaltendes Fazit mit ein.

Wer aber nach dem 2:2 gegen Aus­tralien am vergangenen Mittwoch bereits das mögliche Ende des Abendlandes befürchtet hatte, der wurde am Sonntagabend unweit des Morgenlandes eines Besseren belehrt. Dabei verdeutlichte die Partie im Nieselregen von Tiflis auch, dass die fast schon hysterisch geführte Diskussion um Löws Dreierkette rational kaum zu erklären ist.

Gegen den 126. der Weltrangliste, der mit einer tief stehenden Fünferkette agierte, die bisweilen zu einer Neunerkette wurde, ließ Löw theoretisch mit einer Viererkette spielen. Ganz praktisch mutierte diese allerdings mit zunehmendem Spielverlauf zu einer Zweierkette, bestehend aus Jerome Boateng und Mats Hummels. Die eigentlichen Außenverteidiger Sebastian Rudy (rechts) und Jonas Hector (links) gefielen sich dagegen eher als offensive Flügelstürmer.

Dreierkette? Viererkette? Fahrradkette? „Es kommt nicht auf das System an, sondern darauf, wie wir die jeweiligen Räume besetzen“, belehrte Nationaltrainer Löw.

Dass aber beim Fußballweltmeister gut acht Monate nach der magischen Nacht von Rio de Janeiro am 13. Juli noch immer nicht alles glänzt, wurde besonders zu Anfang der zweiten Halbzeit deutlich. Trotz der beruhigenden 2:0-Führung tat sich die Nummer eins der Welt plötzlich schwer. „In der zweiten Halbzeit haben wir das Spiel ein wenig zu sehr verwaltet“, gab Löw selbstkritisch zu.

So durften die immer noch nicht heiseren Georgier nach einem umjubelten Flitzer in der 52. Minute sogar die erste Chance ihrer roten Teufel durch Ucha Lobjanidse beklatschen. Im Gegensatz zu Flitzer Nummer zwei, drei, vier, fünf und sechs sollte es allerdings die einzige georgische Tormöglichkeit des Abends bleiben.

„Diese dauernden Flitzer haben nicht nur gestört, ich habe das auch als nicht ungefährlich empfunden“, kritisierte Löw später, „das war ganz einfach zu viel. Ich kann nicht nachvollziehen, wenn da jemand sein Trikot hergibt oder denjenigen umarmt, das motiviert die Leute nur. Am besten straft man sie mit Nichtachtung.“

Immer weniger wurden dagegen die deutschen Tormöglichkeiten. Weil die deutsche Mannschaft mit zunehmender Spieldauer die Lust daran verlor, das georgische Mauerwerk weiter zu bearbeiten, blieb es am Ende beim erwarteten 2:0-Arbeitssieg. „Wir haben verpasst, das ein oder andere Tor mehr zu machen“, sagte der kaum beschäftigte Torhüter Manuel Neuer, „so bleibt dann am Ende dieses 2:0 stehen.“

Aufgrund der zurückhaltenden zweiten Halbzeit war es somit kein geschichtsträchtiger Erfolg, aber nach Schottlands 6:1 gegen Gibraltar ein wichtiger. In der EM-Qualifikationsgruppe D bleibt Löws Mannschaft zwar Dritter, kann im nächsten Spiel in Portugal gegen Gibraltar aber in der Tabelle weiter nach oben klettern. „Das ist natürlich unser Anspruch“, so Löw.

Als es dann am Ende eines langen Abends von den georgischen Journalisten für Löw sogar noch Applaus nach der Pressekonferenz gab, huschte dann doch noch ein kurzes Lächeln über das Gesicht des zuvor so ernsten Bundestrainers. „Danke schön“, sagte der Coach, „bis zum nächsten Mal.“