Hamburg/Berlin. Die Hansestadt hat Olympia, doch der Städtekampf geht mit HSV-Hertha und Union-St. Pauli weiter. Ein letzter Vergleich.

In den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten wurde eine Frage wie keine andere diskutiert: Hamburg oder Berlin? Wer ist schöner (Hamburg), größer (Berlin), reicher (Hamburg), sexier (Berlin), kompetenter (Hamburg), internationaler (Berlin)? Der Berliner (277 Kalorien) macht dicker, der Hamburger (258 Kalorien) satter. Und was macht man also, wenn so ziemlich alles und jeder in Berlin und Hamburg schon verglichen wurde? Ganz klar: Man vergleicht noch einmal. Ein allerletztes Mal. Denn nach dem (Olympia-)Vergleich ist vor dem (Fußball-)Vergleich. So wollte es zumindest der Zufall Spielplan: Wie sonst ist es zu erklären, dass ausgerechnet in der Woche des Olympia-Entscheids die beiden Metropolen erneut aufeinandertreffen? Und das gleich zweimal. HSV gegen Hertha. Und Union Berlin gegen den FC St. Pauli. Beide Spiele an diesem Freitagabend. Hamburg oder Berlin? Das ist also – schon wieder – die Frage!

Hier der große HSV, Bundesliga­dino, Tabellen-15., Krisenclub. Dort der große Hertha BSC, Fahrstuhlmannschaft, Tabellen-14., Krisenclub. Hier der kleine FC St. Pauli, Tabellen-17., Kultclub, dort das kleine Union Berlin, Tabellen-13., Kultclub. „Die Städte und Clubs sind kaum miteinander vergleichbar“, findet Union-Berlin-Präsident Dirk Zingler. Und ob, finden wir.

Tatsächlich ist Deutschland wohl das einzige Land in Europa, in dem die beiden größten Metropolen in Liga eins und zwei auf Augenhöhe gegeneinander kämpfen – allerdings fernab der Tabellenspitze. „Das ist schon kurios“, sagt HSV-Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer, „eine richtige Erklärung dafür habe ich allerdings nicht.“ Dabei war das vor gar nicht allzu langer Zeit schon mal anders. „Berlin war ja schon mal weiter als wir, spielte zu Anfang der 2000er in der Champions League. Doch Hertha schaffte es nicht, diesen Erfolg durch kontinuierliche Arbeit zu bestätigen“, sagt Beiersdorfer und erinnert daran, dass der HSV zeitversetzt nachzog. Mit europäischen Erfolgen. Und dem anschließenden Absturz: „Nach unserem Intermezzo in der Champions League konnten wir uns lange Zeit europäisch etablieren, kletterten bis auf Platz zwölf der europäischen Rangliste. Doch auch wir hatten zu viele Diskontinuitäten, sodass wir auf dieser guten Basis nicht aufbauen konnten. Kontinuität in der Führung ist der wichtigste Schritt zum Erfolg.“

Die Kontinuitätsthese ist beliebt, aber stimmt sie denn auch? Während der HSV in den vergangenen viereinhalb Jahren mit einer ganzen Armada von Trainern, Sportchefs und Vorständen von Misserfolg zu Misserfolg eilte, machte es Berlin mit gleichbleibendem Personal keinesfalls besser. Michael Preetz ist seit 2009 Hertha-Geschäftsführer, Werner Gegenbauer seit 2008 Präsident. Nur auf der Trainerposition hatte Hertha eine ähnliche Fluktuation wie der HSV: Insgesamt zehn Cheftrainer arbeiteten unter Manager Preetz. Letztendlich ist aber alles eine Frage der Perspektive. „Halten wir mit Hertha in dieser Saison die Bundesliga, haben wir im dritten Jahr in Folge unser Saisonziel erreicht“, sagt Preetz und meint: Aufstieg 2013, Klassenerhalt 2014, Etablierung 2015. „Der HSV ist seit 50 Jahren ein etablierter Bundesligist. Für uns als Hertha geht es darum, dass wir uns wieder etablieren.“

Beiersdorfer ist ein höflicher Mensch, widerspricht aber dennoch: „Hertha hat sich schon vor uns für eine Strukturreform entschieden. Und Hertha hat auch schon vor uns auf einen Investor gesetzt. Momentan scheinen wir auf Augenhöhe zu sein.“ Und zumindest die Tabelle, die bekanntlich nie lügt, gibt dem HSV-Chef recht. Hertha hat 26 Punkte, der HSV 25 Punkte. Nach 25 Spielen. Ein Desaster. „Natürlich eint Hertha und uns, dass wir in dieser Saison harte Konkurrenten um den Klassenerhalt sind“, sagt also Beiersdorfer, der sich allerdings dagegen sträubt, die Schuld bei der Medienme­tropole Hamburg oder Berlin zu suchen: „Sicherlich spüren beide Clubs den Druck einer großen Stadt. Aber ich halte nicht viel davon, mich allzu sehr über den medialen Druck der Großstadt zu beklagen. Ja, wir wollen die mediale Aufmerksamkeit. Und ja, wir wollen den Druck. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es etwas Besonderes ist, in einer großen Stadt wie Hamburg oder Berlin zu arbeiten.“

Auch Herthas Preetz, Unions Zingler und St. Paulis Manager Thomas Meggle glauben, dass man als Metro­polfußballclub durchaus Vorteile hat. „In Transferverhandlungen können wir sehr wohl mit der Stadt Hamburg als Trumpf bei neuen Spielern wuchern, das Gleiche dürfte für Berlin gelten“, sagt Beiersdorfer und erklärt: „Natürlich sind für Fußballprofis die sportliche Perspektive, die Clubperspektive und selbstverständlich auch das Gehalt ein wichtiger Faktor. Aber auch die Stadt, in der die Familie wohnen muss, ist wichtig. Und hier haben Berlin und Hamburg einen Standortvorteil. Das gilt auch für das Merchandising und das Sponsoring. Wir müssen den Vorteil nur noch besser nutzen.“

Union und St. Pauli - die Nummer zwei in der Stadt

Das gilt besonders für die beiden Nesthäkchen der Stadt: Union und St. Pauli. Die Clubs sind ohne Wenn und Aber die Nummer zwei in der Stadt, haben damit aber kein Problem. „Ein Problem hat man höchstens dann, wenn man lieber der Größere wäre“, sagt Union-Präsident Zingler. „Während die jeweils größeren Clubs mit ihren großen Stadien versuchen müssen, ein sehr breites Angebot zu schaffen, um diese regelmäßig zu füllen, kann man in der Nische ein schärferes Profil zeigen. Wichtig ist, dass die Unterschiede klar erkennbar sind.“ St. Paulis Meggle stimmt zu: „Union und wir müssen die Rolle als Nummer zwei annehmen, denn diese Rolle gehört einfach zur Identifikation der Vereine maßgeblich dazu. Man muss in einer Stadt wie Hamburg oder Berlin seinen Raum finden. Andere Vereine haben sich nicht zu erreichende Ziele gesetzt und sind daran gescheitert. Wir wollen gar nicht den HSV überholen, auch wenn wir wie beim letzten Mal sehr gerne gegen den HSV gewinnen.“

Ein erneutes innerstädtisches Duell wird es in Hamburg oder Berlin aber so bald nicht geben, zumindest nicht in Liga eins. Und ob es ein Zweitliga-Lokalderby gibt, hängt unmittelbar mit den Ergebnissen der beiden Berlin-Hamburg-Duelle an diesem Freitag zusammen. Während St. Pauli im Falle einer Niederlage an der Alten Försterei sogar die Drittklassigkeit droht, dürfte der Verlierer am Volkspark bis Saisonende gegen den Abstieg in die Zweite Liga kämpfen. Ein Armutszeugnis für den großen HSV und die große Hertha. So hat der HSV in dieser Saison 32 Millionen Euro für Neuzugänge ausgeben, Hertha investierte immerhin 14 Millionen Euro. Dass man in Hamburg und Berlin mit Geldausgeben aber noch nie große Probleme hatte, zeigen Elbphilharmonie und der neue Berliner Flughafen. Diese beiden Großprojekte eint vor allem eines: Auch in Hamburg und in Berlin geht es eben noch schlimmer als beim HSV oder bei der Hertha.