Hamburg. Schwergewichts-Boxweltmeister Ruslan Chagaev ist dank Ex-Footballprofi Patrick Esume beweglicher und fitter denn je.

Was die Erinnerung an denselben Moment in zwei Menschen auslösen kann, sagt bisweilen viel über ihren gemeinsamen Weg. Ruslan Chagaev denkt mit Grausen an den Tag, an dem er zum ersten Mal mit Patrick Esume trainierte. „Ich habe mich noch nie so kaputt gefühlt“, sagt der Hamburger Schwergewichts-Boxprofi. Patrick Esume dagegen möchte sich ausschütten vor Lachen, wenn er Chagaevs Reaktion Revue passieren lässt. „Er musste schon beim dynamischen Warm-up dreimal das Shirt wechseln, so viel hat er geschwitzt“, sagt der Hamburger Athletikcoach.

Sie hätten sich vor gut einem Jahr, als sie sich im Rahlstedter Hanse-Gym auf Vermittlung von Studiochef Brian Al Amin, der dank Esumes Hilfe Thaiboxweltmeister geworden war, zum Probetraining trafen, anders entscheiden können. Chagaev war von April 2007 bis Juni 2009 WBA-Weltmeister gewesen, er war damals 35 Jahre alt und hätte es nicht zwingend nötig gehabt, seiner Karriere noch einmal einen Kickstart zu verpassen. Esume, von 1992 bis 2000 Bundesliga-Footballer bei den Hamburg Blue Devils und derzeit auf Honorarbasis als Nationaltrainer der französischen Footballer engagiert, hätte den übergewichtigen Usbeken, der da vor ihm nach Luft rang, nicht ernst nehmen müssen.

Doch irgendwie erkannten beide, dass sie füreinander bestimmt sein könnten. Esume für Chagaev, weil der zwar kräftige, aber nie austrainiert wirkende Boxer nach der Insolvenz seines Hamburger Promoters Universum dringend neue Impulse benötigte. Und Chagaev für Esume, weil er nicht nur das perfekte Versuchskaninchen für seine Trainingsideen gefunden hatte, sondern auch die Chance sah, sich als Coach in der Königsklasse des Profiboxens einen Namen zu machen.

Deshalb arbeiten Esume, 41, Vater Nigerianer, Mutter Deutsche, und Chagaev, 36, seit jenem Tag miteinander. Zweimal pro Woche in normalen Trainingsphasen, viermal wöchentlich in der wettkampfnahen Vorbereitung, die im März startet, da Chagaev Ende April in Hamburg seinen Titel gegen Francesco Pianeta vom Magdeburger SES-Team verteidigen soll. Seit Juli 2014 ist er wieder WBA-Weltmeister, was allerdings dadurch etwas geschmälert wird, dass der Verband den ukrainischen Dreifachweltmeister Wladimir Klitschko als seinen Superchampion führt.

„Er übersäuerte schnell“

Dass er aber überhaupt wieder mithalten kann im Faustkampf um Titel und Triumphe, das verdankt der „weiße Tyson“, wie Chagaev aufgrund seiner Schlaghärte einst getauft wurde, zum einem Gutteil Esumes Anleitungen. „Als Ruslan zu mir kam, war er kraftvoll und schwer. Aber seine Muskeln waren stark verkürzt, und er übersäuerte schnell. Außerdem war seine Fußkoordination miserabel“, erinnert sich Esume. Sein Ziel war es, den Kämpfer, der in Eigenregie von seinem tschetschenischen Manager Timur Dugazaev promotet wird, explosiver und beweglicher zu machen. „Ein Schwergewichtler, der nur 1,80 Meter groß ist, muss schnell und explosiv sein, um an seinen Gegner heranzukommen und ihn zu treffen, bevor er selbst getroffen wird und die Lichter ausgehen“, sagt Esume.

Die Maßnahmen, die der Ex-Footballprofi ergriff, waren so einfach wie zielführend. Um die Explosivität zu erhöhen, musste die Maximalkraft gesteigert werden, indem die Anzahl der Kraftübungen verringert, aber das Gewicht erhöht wurde. Wichtiger aber waren die intensiven Stretchingeinheiten. „Ich habe Ruslan gedehnt bis zum Erbrechen, er hat viele Schmerzen erlitten“, sagt Esume und lacht. Mit Intervallläufen wurde zudem die Regenerationsfähigkeit verbessert.

Zwischen Footballprofi und Boxprofi liegen Welten, sagt Esume

Als die nötigen Grundlagen gelegt waren, stieg Esume auf Übungen um, die er aus dem Football kennt. „Zwischen Ruslan und einem Profi aus der NFL lagen Welten, was Athletik und Dynamik angeht“, sagt er. Durch den Einsatz von Gummibändern, die um die Knie oder die Hüften gelegt werden und dadurch den Widerstand erhöhen, konnten Beweglichkeit und Kondition gesteigert werden. „Anfangs haben wir unter Einsatz der Bänder je eine Runde im Vorwärts- und Rückwärtsgang trainiert. Vor dem nächsten Kampf werden wir je sechs Runden gehen, dann sind zwölf Runden Boxen für Ruslan fast wie Urlaub“, sagt Esume, der viel Wert darauf legt, Chagaev und dessen Cheftrainer Artur Grigorian alle Übungen ausführlich zu erläutern. Den fachlichen Hintergrund dafür liefert ihm seine Frau, die Physiotherapeutin ist.

Chagaev ist von seinem körperlichen Neuanfang längst überzeugt. „Anfangs habe ich mich sehr schwer getan, aber ich bin viel stärker und fitter als früher, meine Koordination hat sich enorm verbessert, und ich kann heute Dinge, die ich mir früher niemals zugetraut hätte“, sagt er. Die grausigen Erinnerungen sind verdrängt worden von einer gehörigen Portion Zuversicht.