Hamburg. Der Alster-Ruderverein Hanseat veranstaltet vom 20. April an gemeinsame Kurse. Für das Inklusionsprojekt werden Tutoren und Sponsoren gesucht.

Es gibt eine Übung, die im Training beim Alster-Ruderverein (ARV) Hanseat genutzt wird, wenn Neulinge ein Gefühl für ihr Boot und das Element Wasser entwickeln sollen. Dann schließen alle die Augen oder dunkeln ihr Sichtfeld mit Simulationsbrillen ab. „Das hilft, um sein Umfeld besser zu spüren und die Intuition zu schulen“, sagt ARV-Mitglied Jan Riepenhusen. Blindrudern nennen sie diese Praktik. Vom 20. April an wird aus der Trainingsroutine gelebte Realität, denn der Traditionsverein aus Winterhude mit 300 Mitgliedern (darunter 85 Jugendliche) plant ein ganz besonderes Projekt. Im Rahmen der Inklusion, dem in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschriebenen Menschenrecht, das Menschen mit und ohne Handicap ein Miteinander auf allen gesellschaftlichen Ebenen ermöglichen soll, möchte der ARV Hanseat Sehbehinderte und Blinde in seine Trainingsgruppen integrieren.

Es ist im Hamburger Rudersport das erste Projekt dieser Art. Beim Hamburger und Germania Ruderclub gibt es eine Trainingsgruppe für Gehörlose, die aber nicht inklusiv arbeitet. Mit Kai-Kristian Kruse (RC Favorite Hammonia) hat Hamburg einen sehbehinderten Paralympics-Silbermedaillengewinner, der allerdings stets als Einzelkämpfer unterwegs war.

Ralf Lange hofft, dass sein Verein, der mit dem Blinden- und Sehbehinderten-Verband Hamburg (BSVH) kooperiert, eine Vorreiterrolle einnehmen kann. „Bislang ist ein solches Projekt in anderen Clubs kein Thema. Wir wünschen uns, dass wir den Startschuss für eine neue Entwicklung geben können“, sagt der Breitensportwart des ARV. Seit 40 Jahren arbeitet der Verein bereits mit der Blindenschule am Borgweg zusammen, viele Jahre lang trainierten deren Schüler im Rahmen des Schulsports am Kaemmerer­ufer, allerdings stets in separaten Gruppen und nicht inklusiv. Warum es sich lohnt, das nun zu ändern, kann Lange einleuchtend erklären: „Wir sind überzeugt davon, dass beide Seiten voneinander profitieren werden. Außerdem wollen wir das Thema Inklusion nach vorn bringen“, sagt er.

Die Erfahrungen von Clubs wie dem Oldenburger RV, der seit zehn Jahren mit behinderten Menschen Handicaprudern praktiziert und den die Projektleiter des ARV zum Erfahrungsaustausch besuchten, haben gezeigt, dass Blinde vor allem eins wünschen, wenn sie Inklusionssport betreiben: Dass sie wie Sehende behandelt werden. „Einer unserer Teilnehmer hat beispielsweise explizit nach einer Möglichkeit gesucht, mit Sehenden Sport zu treiben, weil er sich sonst nicht ausreichend gefordert fühlt“, sagt Lange. Für die ersten beiden Kurse, die sich über je zehn Abendtermine erstrecken und inklusive einer zweimonatigen Probemitgliedschaft 150 Euro kosten, sind die vom BSVH akquirierten zehn sehbehinderten Teilnehmer bereits ausgesucht. Welche Qualitäten sie haben, wie fit sie sind, das bleibt abzuwarten.

Wichtig ist dem Projektteam, das Jan Riepenhusen mit seinen Vereinskameradinnen Birgit Au und Christiane Havermann leitet, dass man nicht einfach auf den Inklusionszug aufspringen möchte, sondern das Vorhaben als Herzensangelegenheit betrachtet – im gesamten Verein. So sollen den Sehbehinderten Tutoren zur Seite gestellt werden, die den Neumitgliedern das Bewegen auf dem Vereinsgelände vereinfachen und sie bei Bedarf von der nahe gelegenen U-Bahn-Station Saarlandstraße abholen. Bislang ist die Resonanz noch etwas schleppend, weil sich viele Mitglieder fragen, ob sie der Aufgabe überhaupt gewachsen sind. „Jeder Sehbehinderte entscheidet natürlich selbst, ob er Hilfe möchte oder nicht“, sagt Diplom-Ingenieurin Havermann, 36. Um den Tutoren und Ausbildern Berührungsängste zu nehmen, findet am 14. März ein Simulationstraining statt – noch ohne die sehbehinderten Anfänger. „Dort sollen die Abläufe geprobt werden, damit wir wissen, was auf uns zukommt. Für uns ist das auch alles sehr spannend“, sagt Riepenhusen, 34, der selbst eine fortschreitende Sehbehinderung hat.

Die ersten Trainingseinheiten werden die zehn Sehbehinderten noch getrennt von ihren zehn sehenden Teamkameraden absolvieren. Die Oldenburger Erfahrungen haben gezeigt, dass Blinde etwas länger brauchen, um alle Einstellungen im Boot kennen zu lernen und zu verinnerlichen, dafür aber die Technik schneller umsetzen als Sehende. „Sehbehinderte lassen sich nicht von der Umgebung ablenken, sondern konzentrieren sich aufs Rudern. Deshalb sagen die Oldenburger, dass Blinde schneller das Rudern erlernen als Sehende“, sagt Havermann. Spätestens von der vierten Einheit an werde man die Gruppen mischen. Gerudert werden kann im Zweier, Dreier oder Vierer, letzterer ist im Training die Regel. Im Einsatz sind Gig-Boote, die mittels eines Steuerbandes von einem Sehenden gelenkt werden.

Es gibt noch eine weitere Hoffnung, die sie beim ARV Hanseat mit ihrem Inklusionsprojekt verbinden. Um den Sehbehinderten das selbstständige Zurechtfinden auf der Anlage zu ermöglichen, soll ein Leitsystem in der Bootshalle installiert werden. Dazu ist eine energetische Sanierung der gesamten Anlage ebenso angedacht wie die funktionalere Gestaltung des Clubhauses. Anfang 2016 soll mit den Umbaumaßnahmen begonnen werden. Rund 750.000 Euro sind dafür veranschlagt, derzeit gibt es eine Deckungslücke von 130.000 Euro. Das Blindenrudern soll helfen, Sponsoren zu finden. „Wenn wir es schaffen, dass die Sehbehinderten auf einer modernen Anlage an allen Angeboten selbstständig teilhaben können, dann haben wir alle gewonnen“, sagt Ralf Lange.