Bundestrainer Löw verzichtet fortan auf den Capitano. Einst ein Superstar und doch “nur“ Vizeweltmeister und Vizeeuropameister.

Frankfurt/Main. Was war das für eine Aufregung am 17. Mai des vergangenen Jahres. Die Mitteilung, dass Michael Ballack, zwei Tage zuvor im englischen Pokalfinale von Kevin-Prince Boateng übelst gefoult, für die WM in Südafrika ausfällt, scheint in Deutschland eine Staatskrise auszulösen. Die ARD sendet gleich nach der Tagesschau einen „Brennpunkt“, die deutsche Nationalmannschaft wird mehr oder weniger zum chancenlosen Außenseiter erklärt.

Doch Bundestrainer Joachim Löw ist schon damals erstaunlich gelassen geblieben. Deutschland belegt schließlich nach teilweise begeisternden Spielen Rang drei in Südafrika.

Vor zwei Jahren noch war Michael Ballack unverzichtbar - nach seinem fulminanten Freistoß-Treffer im EM-Vorrundenspiel gegen Österreich (1:0) war eine deutsche Fußball-Nationalmannschaft ohne ihn nicht auszudenken. Sogar sein ewiger Kritiker Günter Netzer lobte da: „Perfekt.“ Nur ein Jahr danach schien Ballack dann nur noch unverzichtbar. Und jetzt - ist er ausgemustert. 96, 97, 98 ... ein Länderspiel Nummer 100 wird es für ihn definitiv nicht mehr geben, und ein Länderspiel Nummer 99 am 10. August gegen Brasilien, vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) als eine Art Abschiedsspiel vorgeschlagen, will sich Ballack nicht antun.

Und so muss Ballack weiter mit einem Makel leben. Er war ein angehender Weltstar, doch in das Pantheon hat er es nie geschafft, wird er es nicht mehr schaffen, weil ihm ein ganz großer Titel fehlt. Er hätte die Champions League gewinnen können, 2002, doch im Endspiel scheiterte er mit Bayer Leverkusen an Real Madrid. Er hätte Weltmeister werden können, ebenfalls 2002, doch als das Endspiel angepfiffen wurde, war er nur Zuschauer, weil er zuvor im Halbfinale gegen Südkorea seinen Siegtreffer zum 1:0 durch ein „taktisches“ Foul bewahrt hatte und somit gesperrt war.

Ballack hätte auch Europameister werden können, 2008 in Wien, doch damals unterlag Deutschland im Endspiel mit 0:1 gegen Spanien. Ballack, der Kapitän, legte sich danach mit Nationalmannschafsmanager Oliver Bierhoff an. Die neue Philosophie vom flotten Mannschaftsspiel und einer flacheren Hierarchie, die einst der Bundestrainer Jürgen Klinsmann mitgebracht hatte, war auch da noch nicht angekommen bei Ballack, dem Alpha-Tier, das sich bisweilen als Leitwolf einer „lahmfrommen“ Herde sah. Als er dieser Herde 2010 zur WM nach Südafrika nachreiste, zeigte sie ihm die kalte Schulter, sie biss sogar zurück.

Es ist nicht so, dass Michael Ballack keine Titel gewonnen hat und nicht auch maßgeblich daran beteiligt war: Viermal war er deutscher Meister, einmal englischer, dreimal gewann er den deutschen Pokal, dreimal den englischen. Doch in seiner Bilanz stehen auch elf zweite Plätze oder Niederlagen in Endspielen. Unmittelbar vor dem EM-Finale 2008 hatte er mit dem FC Chelsea erneut auch die Champions-League-Trophäe verspielt, nicht er selbst, sondern John Terry, der beim Elfmeterschießen gegen den FC Barcelona patzte. Ballack sackte damals zusammen, weinte, musste aufgerichtet werden.

Lange schien seine Karriereplanung nahezu perfekt. Der richtige Klub zum richtigen Zeitpunkt, erstklassige Werbeverträge - zu einer prägenden Figur des internationalen Fußballs wurde er dennoch nie. Vor der WM in Südafrika konnte er sich mit dem FC Chelsea nicht mehr einigen, er ging zurück nach Leverkusen, wo er sich verletzte – und ihm Trainer Jupp Heynckes signalisierte, dass seine Zeit abläuft. Die ultimative Demütigung für Ballack: Am 12. Februar sitzt er vor den Augen von Bundestrainer Joachim Löw im Spiel gegen Frankfurt 50 Minuten auf der Bank, dann läuft er sich 40 Minuten warm. Vergeblich.

In der kommenden Saison spielt Bayer Leverkusen in der Champions League. Es wäre die letzte Chance für Ballack, seine Karriere doch noch mit einem großen Knall zu vollenden. Aber Bayer Leverkusen als Gewinner der Champions League? Unvorstellbar.

Ballack Nummer zehn der ewigen Rangliste

Michael Ballack ist mit 98 Einsätzen die Nummer 10 n der ewigen Länderspiel-Rangliste des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Die vor ihm platzierten neun Nationalspieler bilden den „100er-Club“ mit mindestens 100 Länderspielen. Der langjährige Kapitän Ballack kann nicht mehr in den exklusiven Kreis aufrücken, da Bundestrainer Joachim Löw nicht mehr mit dem 34-Jährigen plant. Sein Debüt hatte Ballack am 28. April 1999 beim 0:1 gegen Schottland gegeben. Einsamer Rekordhalter im DFB-Trikot ist Lothar Matthäus mit 150 Länderspielen.

(sid/dpa)