Seine blutigen Taten erschüttern den Irak, Syrien und die gesamte arabische Welt. Nun ist Isis-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi erstmals in einem Video zu sehen. Die Isis-Schlächter festigen ihre Macht.

Der Mann war bislang ein Geist. Abu Bakr al-Baghdadi, Anführer der derzeit wohl mächtigsten Terrororganisation der Welt, des Islamischen Staates im Irak und in Syrien (Isis). Wenig war bekannt über den scheuen Terrorchef, dessen Dschihadisten in den vergangenen Wochen große Teile des Irak überrannt und einen islamischen Gottesstaat ausgerufen haben.

Jetzt aber zeigt der selbst ernannte Kalif erstmals sein Gesicht. Der „Welt“ liegt ein islamistisches Propagandavideo des Isis vor, in dem angeblich al-Baghdadi zu sehen ist. Die Aufnahme zeigt einen Mann in dunklem Gewand und mit schwarz-grauem Vollbart, der in einer Moschee eine Predigt hält. Entstanden ist das Video wohl am Freitag in der nordirakischen Stadt Mossul, die von den Isis-Terroristen kontrolliert wird. Al-Baghdadi wird in dem Video als „Anführer der Gläubigen“ und „Kalif des Islamischen Staates“ bezeichnet. In der Predigt fordert er den „Gehorsam“ aller Muslime ein.

Lange gab es nur verschwommene Kopien von veralteten Fotos des Terroristenführers, die irakische und amerikanische Sicherheitskräfte vor einigen Jahren gemacht hatten. Das nun veröffentlichte Propagandavideo liefert die ersten aktuellen Bilder von al-Baghdadi, der mit vollem Namen Ibrahim Awwad Ibrahim Ali al-Badri al-Samarrai heißen soll und aus der irakischen Stadt Samarra stammt.

Kopfgeld von zehn Millionen Dollar

Unbestätigten Berichten zufolge soll er islamische Religionswissenschaften studiert haben. Nach dem Einmarsch der US-Truppen im Irak im Jahr 2003 schloss sich al-Baghdadi einem Zweig der al-Qaida an.

Seit dem vergangenen Jahr dominiert die von al-Baghdadi angeführte Terrororganisation Isis den syrischen Bürgerkrieg. Im Juni nahmen die Dschihadisten mehrere irakische Großstädte ein, darunter Mossul und Tikrit, und vertrieben die Regierungstruppen. Sie kündigten zudem einen Sturm auf die Hauptstadt Bagdad an. Am 29. Juni rief al-Baghdadi offiziell den „Islamischen Staat“ aus und ernannte sich selbst zum Kalifen und Oberhaupt aller Muslime.

Zuletzt gab es Gerüchte, wonach der Dschihadisten-Anführer bei einer Militäroperation irakischer Spezialeinheiten in Mossul schwer verletzt worden war. Angeblich sei al-Baghdadi über die Grenze nach Syrien geflohen. Das US-Außenministerium hat ein Kopfgeld von zehn Millionen Dollar auf die Ergreifung oder Tötung des Terrorchefs ausgesetzt.

Isis-Terroristen bauen Machtposition aus

Nach dem Vormarsch der Isis-Terroristen im Irak und in Syrien festigen die Extremisten ihre Stellung auch wirtschaftlich. Die Gruppe begann im Norden des Irak mit dem Verkauf von Rohöl, das aus einem der größten Ölfelder des Landes in der Nähe der Stadt Kirkuk stammt. Das Öl werde über die kurdischen Autonomiegebiete in eine örtliche Raffinerie oder an die iranische Grenze transportiert, sagte der örtliche Polizeichef Schalal Abdul.

Das von Isis verkaufte Öl stammt laut Polizeichef Abdul aus dem Ölfeld Adschil südwestlich von Kirkuk, das die Terrorgruppe Ende Juni erobert hatte. Isis habe rund 100 Tanks voller Rohöl verladen, sagte Abdul weiter. Jeden Tank verkaufe die Gruppe für 12.000 bis 14.000 Dollar. Mit den Einnahmen finanzierten die Isis-Milizen ihre militärischen Operationen.

Die Isis-Milizen haben seit Beginn ihres Vormarschs im Juni große Teile im Norden und Westen des Landes besetzt. Auch in Syrien konnten sie ihre Herrschaft zuletzt weiter ausbauen, sodass sie in der Region mehrere Ölfelder kontrollieren. Am Donnerstag hatten sie im Osten Syriens eines der größten Ölfelder des Landes in al-Omar kampflos eingenommen.

Im Nordirak zerstörten die sunnitischen Isis-Kämper mehrere Moscheen und andere religiöse Einrichtungen von Schiiten und andersgläubigen Sunniten. Bilder im Internet zeigten unter anderem, wie Isis-Kämpfer in der Stadt Mossul mindestens fünf Gebetsstätten und Grabmäler in die Luft sprengen oder mit Bulldozern dem Erdboden gleichmachen.

Irakisches Militär schlägt zurück

Die irakische Armee konnte nach eigenen Angaben einen neuen Angriff von Isis-Kämpfern auf den Ort Baidschi rund 200 Kilometer nördlich von Bagdad abwehren. Dort liegt eine der wichtigsten Ölraffinerien des Landes. Das Militär berichtete zugleich, die radikal-islamischen Rebellen in der Nähe der strategisch wichtigen Stadt Tikrit zurückgedrängt zu haben. Die Armee habe dort das Dorf Audscha von Aufständischen „vollständig gereinigt“, sagte Militärsprecher Kassam Atta am Freitag. Audscha ist das Heimatdorf des früheren Machthabers Saddam Hussein, seine Eroberung ist symbolträchtig. Tikrit selbst blieb aber unter Kontrolle der sunnitischen Kämpfer des Islamischen Staates.

Angesichts des Isis-Vormarsches rief der höchste schiitische Geistliche des Irak, Großajatollah Ali al-Sistani, die führenden Politiker des Landes auf, die Regierungsbildung zu beschleunigen. Das Land befindet sich nach dem Isis-Vormarsch auch in einem politischen Chaos. Führende schiitische, sunnitische und kurdische Politiker fordern den Rücktritt des schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki. Der lehnte dies am Freitag erneut ab. Er werde seine Wähler nicht enttäuschen, sagte er nach Angaben des Nachrichtenportals „al-Sumaria“.

Bei der Verteidigung heiliger schiitischer Stätten ist laut Medienberichten ein iranischer Pilot getötet worden. Wie der arabische Nachrichtensender al-Dschasira am Samstag unter Berufung auf die iranische Nachrichtenagentur Irna meldete, soll der Oberst in Samarra nördlich von Bagdad umgekommen sein. Vom Abschuss oder Absturz eines Flugzeugs war nicht die Rede.

Derweil können 46 Krankenschwestern aus Indien die von Isis kontrollierten Gebiete im Irak verlassen. Eine Spezialmaschine fliege die Frauen vom Flughafen im kurdisch kontrollierten Erbil aus zurück nach Hause, teilten die Behörden des indischen Bundesstaates Kerala mit. Die Krankenschwestern hatten sich in einem Hospital in Tikrit verschanzt, seit die Gegend von Isis eingenommen worden war.