HSV-Profi Maxi Beister und das frühere Tennistalent Jonathan Heimes im Gespräch über ihren Kampf, gesund zu werden, Rückschläge – und den Tod

Hamburg. Maximilian Beister hat Glück, dass Jonathan Heimes ein geduldiger Mensch ist. Beister ist zu spät, viel zu spät. Doch Heimes ist nicht böse. „Hey Maxi, schön, dass du es auch geschafft hast“, sagt er lachend, als der Fußballer in den Katakomben der Imtech Arena eintrifft. „Mensch Johnny, schön, dich wiederzusehen“, antwortet Beister, der wegen seiner schweren Kreuzbandverletzung noch ein Gespräch mit dem Arzt hatte. „Tschuldigung, hat etwas länger gedauert...“

HSV-Profi Beister, 24, und HSV-Fan Heimes, 24, der mit 14 Jahren von einem bösartigen Tumor im Kleinhirn erfuhr und seitdem vier Krebstherapien über sich ergehen lassen musste, kennen und schätzen sich seit zwei Jahren. „Wir haben uns erstmals beim HSV-Spiel in Mainz getroffen, als Maxi eine Rotsperre absitzen musste“, sagt das frühere Tennistalent, das von allen nur Johnny genannt wird. „Und vor ein paar Wochen beim Spiel gegen Leverkusen haben wir uns dann wiedergetroffen“, sagt Beister, dem auffällt, dass der HSV immer dann gewinnt, wenn Heimes zuschaut. Nur leider nicht an diesem kalten Dezembertag, als der HSV später am Abend gegen den VfB Stuttgart mit 0:1 verlieren wird. Heimes hat das Spiel auf Einladung des HSV, des Abendblatts und des NH Hotels Hamburg Altona in Bahrenfeld besucht. Doch vor dem Spiel wollten Heimes und Beister ausnahmsweise mal nicht über den HSV und den Abstiegskampf sprechen. Thema des Gesprächs ist ein anderer Kampf: Maxis Kampf um sein Comeback – und vor allem Johnnys Kampf um Leben und Tod.

Hamburger Abendblatt:

Herr Heimes, Herr Beister, entschuldigen Sie die profane Frage: Aber wie geht es Ihnen?

Jonathan Heimes:

(nickt Beister grinsend zu) Ladies first...

Maximilian Beister:

(lacht) War ja klar... Aber im Ernst: Mir geht es gut. Selbstverständlich geht es mir gut, wenn ich hier am Tisch mit einem starken, jungen Mann sitze, der ein derartiges Schicksal hat und es dann so bemerkenswert meistert.

Heimes:

Danke für die Blumen... Aber auch mir geht es gut, ganz ehrlich. Meine Therapie ist nun erst einmal vorbei, und nun kommt die schöne Zeit. Und auf die freue ich mich.

Beister:

Über Johnny kann ich nur immer wieder staunen. Natürlich relativiert sich der Kampf um mein Comeback, wenn es wie bei Johnny um den Kampf auf Leben und Tod geht. So eine Geschichte lässt einen demütig werden. Das erinnert einen daran, wie gut es uns doch eigentlich geht. Und das sage ich, obwohl ich nun seit fast einem Jahr nicht das machen kann, was ich am liebsten mache: Fußball spielen.

Jonathans erstes Buch hieß „Comebacks“. Kann man von so einer Lebensgeschichte, die nichts mit einem selbst zu tun hat, trotzdem Stärke für seinen eigenen Kampf ziehen?

Beister:

Natürlich. Es klingt so einfach, ist aber wahr: Man muss immer kämpfen. Das ist ja auch Johnnys Botschaft, die auf seinen Armbändern steht. Aber auch ich musste erst einmal lernen zu kämpfen. Ich musste lernen, die Verletzung und die damit verbundenen Folgen zu akzeptieren und dann positiv an die Sache heranzugehen. Das ist nicht einfach, aber gerade Johnny hat ja bewiesen, dass sich der Aufwand lohnt. Wir nörgeln über so vieles und vergessen manchmal, wie gut es uns doch eigentlich geht. Das Leben ist schön.

Heimes:

Ja, das Leben ist schön, wunderschön. Das darf man nie vergessen. Und ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf den Moment freue, an dem mir gesagt wird, dass ich wieder gesund bin. Ich möchte wieder Alltag haben, ich möchte wieder laufen lernen. Und ich möchte wieder das Gefühl haben, einfach nur gesund zu sein. Für dieses Gefühl würde ich alles geben.

Vor zehn Jahren hat Jonathan Heimes erstmals erfahren, dass er Krebs hat: Hirntumor, bösartig. Die Operation dauerte sechs Stunden, dann lag der ehemalige Hessenmeister im Tennis und Vereinskamerad der Profisportlerin Andrea Petkovic zwei Wochen lang im Koma. Als er aufwachte, erkannte er seine eigene Tante nicht wieder. Aber er lebte. Den ersten Satz gegen den Krebs hatte er im Tiebreak gewonnen, doch Tennisspielen würde er wohl nie wieder können. Und besiegt hatte er den Krebs noch nicht. Noch lange nicht.

Jonathan, Sie haben sogar zwei Bücher über Ihren Kampf gegen den Krebs geschrieben. Wie haben Sie es geschafft, Ihr Schicksal zu akzeptieren?

Heimes:

Das kann man nur schaffen, wenn man sich der Unterstützung der Menschen, die man liebt, gewiss sein kann. Und wahrscheinlich muss man lernen, ein unverbesserlicher Optimist zu sein. Als mir beispielsweise gesagt wurde, dass ich nicht mehr laufen könnte, habe ich mir überlegt, was ich stattdessen machen sollte. Ich habe dann angefangen zu schreiben. Jeder kann doch schreiben. Sogar Lothar Matthäus hat ein Buch geschrieben. Da dachte ich mir: Dann kann ich jetzt auch ein Buch schreiben.

Können Sie sich noch daran erinnern, als Ihnen der Arzt erstmals eröffnete, dass Sie einen bösartigen Tumor haben?

Heimes:

Ich erinnere mich noch, dass wir vom ersten Arzt zunächst mal weggeschickt wurden. Ich war völlig fertig, konnte kaum noch stehen und hatte Kopfschmerzen. Aber der Arzt sagte zu meinem Vater, dass ich nur mal richtig ausschlafen sollte. Glücklicherweise sind wir dann auf Empfehlung meines Onkels noch zu einem anderen Arzt gegangen. Und der hat noch am selben Abend den Tumor entdeckt. Als der Arzt mir das dann gesagt hat, habe ich mir gar nicht so viele Gedanken gemacht. Ein Tumor also, dachte ich. Und dann dachte ich: Mist, in fünf Wochen ist da doch dieses Tennisturnier in den USA. Das wollte ich unbedingt spielen. Also habe ich mir eher Sorgen gemacht, dass ich das Turnier verpassen könnte.

Beister:

Du hast dir Sorgen um ein Tennisturnier gemacht!?

Heimes:

Ich war ja erst 14 Jahre alt. Ich war ganz einfach naiv, wusste gar nicht so genau, was das für mich bedeuten würde. Und viel Zeit zum Nachdenken hatte ich ja auch nicht. Es war ein Freitag, als ich untersucht wurde und die Diagnose bekam. Und gleich am nächsten Morgen wurde ich aus Darmstadt nach Frankfurt gebracht, wo ich dann sofort operiert wurde. Anschließend lag ich zwei Wochen lang im Koma, was ich aber natürlich nicht wusste, als ich schließlich aufwachte.

Beister:

Kannst du dich noch an deinen ersten Gedanken erinnern, als du dann aufgewacht bist?

Heimes:

Ich habe mich sofort gefragt, ob ich es noch zum Tennisturnier in Cleveland schaffen würde. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ja nicht, dass ich vorher zwei Wochen im Koma lag. Und ich wusste auch nicht, dass meine rechte Seite teilgelähmt bleiben würde. Ich konnte noch nicht mal ein Glas Wasser mehr halten und trinken. Ich musste alles von rechts auf links umlernen. Ich dachte mir aber: Dann putze ich mir die Zähne eben mit links.

Der Krebs wollte sich aber nicht so einfach besiegen lassen. Mit 18 Jahren schliefen Jonathan die Füße ein, dann die Schienbeine und Knie. Es wurden Metastasen im Rücken gefunden. Die nächste OP – und eine Querschnittslähmung. „4:6, 4:5, 15:40. Zwei Matchbälle gegen dich. Du musst kämpfen. Es ist noch nichts verloren“, schrieb ihm ein Freund per SMS. Und Jonathan kämpfte: den Kampf seines Lebens.

Haben Sie sich nicht spätestens nach dem schlimmen Rückschlag und der zweiten Krebsdiagnose die Frage gestellt: Warum ausgerechnet immer ich?

Heimes:

Diese Frage darf man sich nicht stellen. Man muss immer nach vorne schauen. Ich habe schnell gelernt, zu akzeptieren, dass ich nicht mehr Tennis spielen würde. Man muss sich dann andere Ziele setzen. Auch Maxi musste ja mit dem Gedanken klarkommen, dass er nach seiner Verletzung ein Jahr lang kein Fußball spielen kann.

Beister:

Der Vergleich hinkt natürlich. Bei mir war es ja „nur“ ein Jahr. Und ich bewundere Johnny für seinen Positivismus. Denn obwohl es bei mir „nur“ eine schwere Knieverletzung war, habe ich anfangs schon recht lange mit meinem Schicksal gehadert. Es gab auch mal Phasen, in denen ich einfach keine Lust mehr hatte zu kämpfen. Mir hat es ganz einfach gereicht. Aber irgendwann kam dann auch bei mir der Tag, an dem ich nur noch nach vorne schaute.

Heimes:

Natürlich sind unsere Krankheiten oder Verletzungen unterschiedlich. Was aber ähnlich sein könnte, ist der Kampfeswille, den man als Sportler in sich trägt. Als Sportler kämpft man – und man lernt, mit Rückschlägen umzugehen. Man will nicht verlieren. Man will kein Match verlieren, man will nicht gegen sein Knie verlieren, und schon gar nicht will man gegen den Tod verlieren. Wir wollen gewinnen.

Ist Öffentlichkeitsarbeit auch eine Art der Revitalisierung?

Heimes:

Klar. Aber vor allem will ich durch die ganze Öffentlichkeitsarbeit ein bisschen was zurückgeben. Der Verein „Hilfe für krebskranke Kinder Frankfurt“ hat mich während meiner Krankheit immer unterstützt und mir Mut gegeben. Und nun möchte ich mich einfach bedanken, will mit der Aktion „Du musst kämpfen“ Gelder sammeln, damit der Verein auch anderen Menschen helfen kann.

Kurz vor Weihnachten hat Heimes mit den Armbändchen, auf denen „Du musst kämpfen“ steht, endlich die Schallmauer von 100.000 Euro durchbrochen. Die Einnahmen gehen an seinen Verein, doch auch dieser Kampf ist für Jonathan damit noch lange nicht beendet. Sein Hauptprojekt für 2015 ist die Gründung einer Charity-GmbH, um mit der Hilfe von Sportpromis weiterhin Gelder für gute Zwecke zu sammeln.

Freuen Sie sich über Mitleid oder sind Sie davon genervt?

Beister:

Diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Natürlich ist es nett, wenn die Leute nachfragen. Aber gleichzeitig ist es auch anstrengend, immer wieder zu erzählen, wie es einem denn gerade so geht.

Heimes:

Ich kann Maxi gut verstehen. Irgendein Fußballer hat mal gesagt: Mitleid bekommt man geschenkt, aber Neid und die Pfiffe der gegnerischen Fans muss man sich erst mal erarbeiten. Ich bin für viele ja auch nur der arme Junge im Rollstuhl. Der will ich aber nicht sein. Ich will Erfolg haben. Und auch dafür kämpfe ich.

Beister:

Eckst Du da auch mal an?

Heimes:

Klar. In Internetforen schreiben manche Leute, dass ich mich in den Medien nur selbst darstellen will. Aber ich finde diese Kommentare gar nicht schlimm. Denn diesen Neid musste ich mir in den vergangenen zehn Jahren wirklich sehr hart erarbeiten. Und von mir aus können die Leute auch gerne noch sehr, sehr viele Jahre neidisch bleiben.

Der Krebs ist bereits dreimal zurückgekommen...

Heimes:

... und alle dreimal habe ich ihn besiegt. Und wenn er 2015 noch mal zurückkommt, dann muss ich ihn eben noch mal besiegen. Davor habe ich keine Angst mehr.