Vor 100 Tagen holte das deutsche Nationalteam den vierten Stern für Deutschland. Seitdem fehlen Bundestrainer Löw verletzungsbedingt zahlreiche Weltmeister. Auch die jungen Spieler brauchen Zeit.

Hamburg. Vor genau 100 Tagen feierte die deutsche Nationalmannschaft nach einem hart umkämpften 1:0-Erfolg gegen Argentinien den WM-Titel. Doch rund drei Monate später ist nicht nur der Herbst eingekehrt, auch die umjubelten Weltmeister sind im tristen Fußball-Alltag angekommen.

Die Bilanz des DFB-Teams liest sich seit dem Triumph von Rio de Janeiro wenig weltmeisterlich: ein Sieg, ein Unentschieden, zwei Niederlagen. Noch nie ist Deutschland zudem schlechter in eine Ausscheidungsrunde gestartet. Die EM-Qualifikationsspiele gegen Polen (0:2) und Irland (1:1) zeigten schonungslos die erwartbaren Probleme der deutschen Nationalelf nach dem Titel von Brasilien.

„Uns ist bewusst, dass ein Rausch sehr schnell verfliegen kann - und die ersten Spiele haben das auch gezeigt“, sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach in der TV-Sendung Doppelpass bei Sport1, und richtete eine klare Ansage an die Mannschaft um Bundestrainer Joachim Löw: „Es kann keine andere Aufgabe geben, als die Qualifikation gut zu Ende zu bringen.“ Löw hatte die Probleme vorhergesehen, besonders der Rücktritt von Philipp Lahm schmerzt. „Es war klar, dass es nicht möglich sein wird, einen Weltklasse-Spieler wie Lahm innerhalb von ein paar Wochen eins zu eins zu ersetzen“, sagte der Bundestrainer.

Junge Spieler mehr in der Verantwortung

Die jungen Spieler stehen nach den Rücktritten von Lahm, Per Mertesacker und Miroslav Klose mehr und mehr in der Verantwortung. Auch weil nach dem langen Sommer und der hohen Belastung zahlreiche Weltmeister mit Verletzungen zu kämpfen haben. Finalheld Bastian Schweinsteiger hat wegen einer hartnäckigen Patellasehnenverletzung sogar noch kein Pflichtspiel bestritten.

Den Weltmeistern fällt es bis auf wenige Ausnahmen schwer, zurück in den Alltag zu finden. Besonders die Dortmunder Mats Hummels, Erik Durm, Kevin Großkreutz, Matthias Ginter und Roman Weidenfeller stecken wie der Verein in der Krise. Hummels ist nach seinem verletzungsbedingten Ausfall am Anfang der Saison noch nicht der gewohnte Stabilisator in der Abwehr. Von seiner starken WM-Form ist der 25-Jährige noch weit entfernt.

Auch Erik Durm leistete sich zuletzt wie beim 0:2 gegen Polen schwere Aussetzer. Dennoch setzt Löw langfristig neben Stuttgarts Antonio Rüdiger auf das BVB-Talent. „Rüdiger und Durm sind im Moment die erste Option. Den Außenverteidigern gebe ich viel Zeit.“ Auch der sonst so zuverlässige Torwart Roman Weidenfeller patzte zuletzt beim 1:2 gegen Köln.

Für Weltmeister Toni Kroos ist auch der Spielplan ein Grund für Formschwankungen und Verletzungen der Weltmeister. "Ich halte es für sinnvoll, mal den Spielplan zu überdenken, der eindeutig zu voll ist", sagte der Real-Profi: "Ich bin der Meinung, dass die Belastung deutlich zu hoch ist. Gerade für Nationalspieler, die auch mit ihren Vereinen international spielen." Neben Schweinsteiger musste Löw zuletzt auf Mesut Özil, Sami Khedira, Benedikt Höwedes, André Schürrle und Christoph Kramer verzichten.

Löw braucht Geduld

„Ruhephasen helfen, damit Kopf und Körper regenerieren“, sagte auch der zurückgetretene Lahm. Im Gegensatz zu einigen anderen Weltmeistern sprüht der 113-malige Nationalspieler vielleicht auch dank dieser Verschnaufpausen vor Spielfreude. Doch es gibt auch Nationalspieler, die die WM gut überstanden haben. So ist Mario Götze nach seinem Wechsel von Dortmund nach München endgültig beim FC Bayern angekommen. Der Finaltorschütze führt mit sechs Treffern die Torjägerliste der Bundesliga an und zeigt seit Wochen eine ansprechende Form. Auch Teamkollege Jerome Boateng, der im WM-Finale sein vermeintlich bestes Spiel seiner Karriere abgeliefert hat, konnte seine starke Form halten.

Dennoch wird Löw Geduld brauchen, bis sich alle seine Weltmeister wieder in einer mental und körperlich ansprechenden Verfassung befinden. Auch die jungen Spieler brauchen Zeit, sich zu entwickeln. „Wir befinden uns im Umbruch, ein solches Resultat ist für eine junge Mannschaft immer mal drin“, sagte Löw nach dem 0:2 gegen Polen und ergänzte: „Man kann auch nicht erwarten, dass jeder nach dieser WM im Vollbesitz der geistigen und körperlichen Kräfte ist."

Nun geht es für Löw erst einmal darum, dass erfolgreiche Jahr mit einem Erfolgserlebnis im EM-Qualifikationsspiel am 14. November gegen Gibraltar und vier Tage später im Freundschaftsspiel gegen Spanien abzuschließen. „Wir werden gegen Gibraltar gewinnen und uns dann ein bisschen sammeln und alle Kräfte bündeln. Dann sind wir im nächsten Jahr wieder da und schlagen zurück.“ Und wer weiß, vielleicht geraten dann die ersten 100 Tage nach dem WM-Titel schnell wieder in Vergessenheit.