Nachwuchssportler diskutieren in der Eliteschule des Sports am Alten Teichweg mit den Topathleten Sebastian Bayer und Silke Lippok über das Kontrollsystem der Nationalen Doping-Agentur (Nada).

Hamburg. Sebastian Bayer war gerade 13 Jahre alt, als ihn ein älterer Mann nach einem Wettkampf aufforderte, mit zur Dopingprobe zu kommen. Die Hose runter bis zu den Knien, das T-Shirt hoch bis zur Brust. Dann die Urinprobe unter Aufsicht des Kontrolleurs. „Für mich war das damals sehr befremdend“, sagt Bayer, „heute denke ich mir nichts mehr dabei“. Heute ist der HSV-Athlet 28 Jahre alt, mehrfacher deutscher Meister und Europameister im Weitsprung. Seit vielen Jahren betreibt Bayer Hochleistungssport, die Dopingkontrolleure gehören zu seinem Alltag dazu. Bayer steht auf dem Podium der Aula in der Gesamtschule am Alten Teichweg in Dulsberg. Gemeinsam mit Hamburgs Topschwimmerin Silke Lippok beantwortet Bayer rund 150 Schülern und Nachwuchssportlern der Eliteschule des Sports Fragen rund um das Thema Doping.

Veranstalter ist die Nationale Antidopingagentur, kurz Nada. In einem dreitägigen Workshop versucht sie den Schülern die Augen für die Dopingproblematik frühzeitig zu öffnen. „Unser Ziel ist es, dass die jungen Sportler eine klare Anti-Doping-Haltung entwickeln“, sagt Thomas Berghoff, Workshopleiter und Mitarbeiter der Nada. Ein junger Mann, freundliches Gesicht, schwarzes T-Shirt. „Alles geben, nichts nehmen“, steht in weißen Buchstaben auf Berghoffs Shirt. Er ist einer von 26 festen Mitarbeitern der Nada. Für Berghoff geht es auch darum, das Image der Nada zu verbessern, ihr ein Gesicht zu geben. Viele Sportler verbinden mit der Organisation noch immer alte Männer, die bei einer unangemeldeten Kontrolle mit Koffer vor der Haustür stehen.

Ein Bild, das sich in den vergangenen zehn Jahren verändert hat. „Aus Gesprächen mit Sportlern wissen wir, dass sich die Haltung der Athleten zur Nada gewandelt hat. Unser Image hat sich verbessert“, sagt Berghoff. Sebastian Bayer und Silke Lippok bestätigen die Einschätzung des Nada-Mitarbeiters. „Die Zusammenarbeit läuft sehr gut“, sagt Lippok.

Die 20 Jahre alte Sportlerin ist mehrfache Europameisterin mit der Staffel und wurde 2010 zu Deutschlands Schwimmerin des Jahres gekürt. Seit 2012 trainiert sie am Olympiastützpunkt Hamburg. Mit 14 Jahren wandelte Lippok auf den Spuren von Franziska van Almsick, sammelte im Teenageralter insgesamt 26 deutsche Altersbestzeiten. Dopingkontrollen gehörten bei ihr früh dazu. „Mich hat das nie gestört“, sagt sie im Gespräch mit den Hamburger Schülern.

Die jungen Sportler wollen viel von den beiden Topathleten wissen. „Ist Doping gesundheitsschädlich?“ „Wie oft werden Sie kontrolliert?“ „Sollte man Doping freigeben?“ Insbesondere über die dritte Frage wird an diesem Tag intensiv und kontrovers diskutiert. Sowohl Bayer als auch Lippok haben allerdings eine klare Meinung. „Das kann keine Lösung sein“, sagt Bayer, „dann würden wir nur noch Mutanten züchten“. Lippok glaubt, dass sich „der Fokus des Sports verschieben“ würde. „Es geht dann nicht mehr darum, wer am besten trainiert, sondern wer die besten Medikamente produziert“, sagt Lippok.

In der Vergangenheit haben immer wieder prominente Sportler wie die Ex-Fußballnationalspieler Jens Lehmann oder Bernd Schuster die Freigabe von Dopingmitteln in Betracht gezogen, wenn sie den Heilungsprozess beschleunigen.

In einem Rollenspiel nehmen die Schüler die Position der Dopingbefürworter ein und sammeln Argumente für die Freigabe leistungssteigernder Mittel. Mehr Chancengleichheit, weniger Schwarzmarkthandel von Medikamenten, keine Überwachung durch die Nada. Sie finden einige Argumente, von denen sie aber selbst kaum überzeugt sind, zur Freude der Nada-Mitarbeiter. „Die Schüler haben eine klare Haltung gegen Doping“, sagt Thomas Berghoff.

Größter Diskussionspunkt ist an diesem Tag das Kontrollsystem der Welt-Antidopingagentur Wada, das von der Nada überwacht wird. Es nennt sich Adams. Ein digitales Abmeldesystem, das die Bundeskaderathleten seit 2007 pflegen müssen. Die Sportler führen darin ein ständiges Protokoll, an welchem Ort sie sich zu welcher Tageszeit befinden. Auf diese Art sollen sie für unangemeldete Dopingkontrollen jederzeit erreichbar sein. Versäumen die Sportler die Dopingprobe, müssen sie bereits mit einer Sperre rechnen. Ein höchst umstrittenes Kontrollsystem ist das. Wichtige Transparenzmaßnahme, sagen Befürworter. Menschenunwürdige Überwachung, sagen Kritiker. „Manchmal nervt das schon, aber ich sehe es als meine Pflicht an“, sagt Sebastian Bayer zu den Schülern.

Die Nada äußert Verständnis für die Sportler, die für das Meldesystem einen hohen Aufwand betreiben müssen. „Ich trage meine Aufenthaltsdaten zu Übungszwecken selbst bei Adams ein und muss zugeben, das ist nicht immer einfach. Aber das ist für einen sauberen Sport notwendig“, sagt Thomas Berghoff. Wie der Alltag mit dem Kontrollsystem aussehen kann, berichtet Weitspringer Bayer. Einmal war er auf dem Weg in den Urlaub, als ihn ein Dopingkontrolleur erreichen wollte. Im Taxi reiste der Nada-Mitarbeiter dem Sportler hinterher, um ihn auf einer Toilette im Hauptbahnhof zu kontrollieren.

Es sind Geschichten wie diese, die Bayer mittlerweile zur Bereitschaft der ständigen Ortung bewogen haben. „Wir haben doch alle Blackberrys oder Smartphones. Da kann man uns doch schlichtweg orten, wenn man uns finden muss.“ Ein Vorschlag, der seiner Kollegin Silke Lippok aber zu weit geht. „Ich möchte nicht an jedem Ort der Welt geortet werden. Damit hätte ich ein Problem.“

Am meisten ärgert es die deutschen Spitzensportler aber, dass das Kontrollsystem in anderen Ländern deutlich nachlässiger gepflegt wird. Obwohl es laut Wada als bindend gilt. „Andere Athleten wissen gar nicht, was Adams ist“, sagt Bayer. Er erzählt von einem Weitspringer aus Botswana, der von einem Abmeldesystem noch nie gehört habe. „Es macht aber keinen Sinn, sich darüber aufzuregen“, sagt Bayer. Auch seien die Vorschriften, was erlaubt ist und was nicht, in vielen Ländern verschieden. Während Transfusionen in Deutschland als streng verboten gelten, sind sie in Frankreich erlaubt. Silke Lippok berichtet von Konkurrentinnen aus dem Ausland, die vor dem Wettkampf zehn Aspirin-Tabletten schlucken, um ihr Blut zu verdünnen. In Deutschland ist dagegen nicht mal die Einnahme von Aspirin Complex erlaubt. „Da gibt es extrem viele Grauzonen“, sagt Bayer.

In der Hamburger Eliteschule des Sports wissen die Nachwuchstalente dagegen noch gar nicht, mit welcher Problematik sie im Laufe ihres Sportlerlebens noch zu tun haben. Wenngleich viele von ihnen schon Erfahrungen mit Kontrollen gemacht haben. So wie Schwimmer Alexander Lohmar, 17, der sich bereits für die Junioren-EM im kommenden Sommer vorbereitet. Er bekomme schon im Nachwuchs mit, wie Sportler anderer Nationen vor Wettkämpfen bestimmte Sachen schlucken. Ob Doping oder nicht – er wundere sich manchmal schon über die erstaunlichen Leistungen der anderen. Eine Freigabe von Doping lehnt er aber strikt ab, auch wenn er ohne leistungssteigernde Mittel keine Chance gegen andere Athleten haben würde. „Ich liebe meinen Sport“, sagt Lohmar, „aber ich will ihn nicht krampfhaft ausführen müssen.“