Vor dem Start der WM spricht Hans Plass, Hamburgs ältester Olympiateilnehmer, über die Strapazen früherer Großereignisse und seine Ansichten zum modernen Sport.

Hamburg. Die Augen sind es, die seine Vitalität verraten. Er scannt seine Umgebung, während er erzählt, ein intensiver Blick gilt der Kellnerin, die ihm seinen Cappuccino serviert hat, beim nächsten Satz hat er schon einen Bekannten erspäht. Und dann ist da dieses besondere Leuchten, das man immer nur dann sieht, wenn Menschen von ihrer Passion schwärmen. Die Augen sind der Spiegel der Seele, besagt ein russisches Sprichwort, und wenn das stimmt, dann ist Hans Plass ein von seinem Sport beseelter Mann.

Sein Sport, das ist Hockey. Hans Plass, 88 Jahre alt, war der erste Hamburger Nationalspieler nach dem Zweiten Weltkrieg, er ist seit 80 Jahren Mitglied beim Harvestehuder THC, für den er 22 Jahre, von 1942 bis 1964, in der Ersten Herrenmannschaft spielte und 1963 als größten Erfolg die deutsche Vizemeisterschaft feierte. Er war auch Gerätturner, ein passabler Fußballer, und er spielt bis heute Tennis, obwohl ihm die vor zwei Jahren runderneuerten Hüften zu schaffen machen. Doch nichts hat sein Leben so sehr geprägt wie die Kunst am Krummstock, und anlässlich der an diesem Wochenende im niederländischen Den Haag beginnenden Feldhockey-WM bat das Abendblatt den Mann, der wegen seiner 171 Zentimeter Körperlänge in der Hockeyszene nur als „Hänschen“ bekannt ist, zum Gespräch über die Entwicklung seines Sports, die er als regelmäßiger Besucher der HTHC-Heimspiele bestens einzuschätzen weiß.

Wer Hans Plass zuhört, der fühlt sich in eine Zeitmaschine versetzt, die einen Flug ins Jahr 1956 ermöglicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den der Sohn eines Hamburger Arztes wegen einer kurz nach der Einberufung erlittenen schweren Verbrennung der Beine nicht an der Front erleben musste, hatte der Deutsche Hockey-Bund (DHB) ihn 1952 zum ersten Nachkriegsländerspiel in der Schweiz eingeladen. Internationale Vergleiche waren damals eine Seltenheit, mehr als drei Länderspiele pro Jahr gab es nicht. Die Anfrage zur Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen 1952 in Helsinki musste Plass allerdings ablehnen, er steckte im Abschluss seines Pharmaziestudiums, das er in Braunschweig absolvierte.

Vier Jahre später jedoch hatte der defensive Mittelfeldspieler, der aufgrund seiner enormen Antrittsschnelligkeit und seiner mit feiner Technik gepaarten Kampfstärke als Gegenspieler gefürchtet war, sein großes Ziel erreicht, als er für die Sommerspiele in Melbourne nominiert wurde, die vom 22. November bis 8. Dezember, also im australischen Sommer, ausgetragen wurden. Fast wäre der Traum geplatzt, da das Nationale Olympische Komitee (NOK) sich nicht imstande sah, die finanziellen Mittel für die Reise eines 18 Spieler umfassenden Hockeyteams ans andere Ende der Welt aufzubringen. Erst als die Fußballer entschieden, auf eigene Faust anzureisen, war ein Präzedenzfall geschaffen, die Hockeyspieler durften auch reisen.

„Das nächste Problem bestand jedoch darin, dass die Fluggesellschaften ihre Flieger wegen des Ungarn-Aufstands und der Suez-Krise dem Roten Kreuz zur Verfügung stellen mussten“, erinnert sich Plass. Erst dank der Hilfe eines im Club an der Alster beheimateten Hockeykameraden, der eine Reiseagentur betrieb, konnte ein Charterflieger gebucht werden. Dieser wurde jedoch nicht nur von deutschen Athleten genutzt. „Wir flogen also von Hamburg über München nach Rom, sammelten ein paar Italiener ein. Dann ging es nach Belgrad, wo einige Jugoslawen zustiegen, und nach Istanbul, wo wir ein paar Türken aufnahmen.“ Die geplante Zwischenlandung in Beirut konnte wegen der Suez-Krise nicht stattfinden, so ging es über Teheran nach Singapur und von dort nach einem Tag Aufenthalt über Darwin nach Melbourne. Drei Tage und drei Nächte dauerte die Anreise. „Aber wir hatten Spaß“, sagt Plass.

Der verging ihm in Australien allerdings recht schnell. Weil nur Bruchteile der Ausrüstung angekommen waren, musste er bei einem Vorbereitungsspiel gegen Malaysia mit zu kleinen Schuhen antreten. Die Folge waren furchtbare Blutblasen, die sich so stark entzündeten, dass sich an der Achillessehne ein Abszess bildete. Da Plass dem BRD-Teamarzt nicht vertraute, ging er zum DDR-Doktor, was problemlos möglich war, da die beiden deutschen Staaten als gesamtdeutsches Team antraten. Dieser Arzt schnitt die Eiteransammlung ohne Betäubung mit einer Nagelschere auf. Die Spiele waren für Plass gelaufen, bevor sie begonnen hatten; da half es auch nichts, dass er als Apotheker der Medizinmann im Team war, der von Bayer mit einem großen Medikamentenkoffer ausgestattet worden war.

Die Halbfinalniederlage gegen die damals übermächtigen Inder musste er ebenso von außen miterleben wie den 3:1-Sieg im Spiel um Platz drei gegen Großbritannien, der den Deutschen die Bronzemedaille bescherte. Als Ersatzmann erhielt er auch keine Originalplakette, sondern nur ein Replikat als Erinnerung. „Aber natürlich war ich trotzdem glücklich, einmal bei Olympischen Spielen dabei gewesen zu sein. Ich war davor und danach nie wieder in Australien, schon deshalb hat es sich gelohnt“, sagt er.

Das größte Abenteuer sollte allerdings noch warten. Das NOK, das immerhin alle Kosten für Reise, Unterkunft im olympischen Dorf und Verpflegung übernahm, hatte keinen Rückflug gebucht. Zunächst hieß es, die Sportler müssten auf eigene Faust ihren Abtransport organisieren. Mithilfe des Hamburger Reiseunternehmers konnte ein Großteil des deutschen Teams, das damals aus rund 100 Athleten bestand, über die Hinflugroute zurückreisen, kam dabei jedoch über Thailand in ein so schweres Gewitter, dass größte Absturzgefahr bestand.

Plass dagegen war mit den deutschen Seglern auf eine Route gebucht, die über Sydney und Hawaii nach Los Angeles führte, von dort sollte es über New York und Grönland bis nach Kopenhagen gehen. Schwerer Sturm verhinderte die Zwischenlandung auf Grönland, der Pilot der Scandinavian-Airlines-Maschine war jedoch überzeugt, es auch ohne Tankstopp bis Dänemark zu schaffen. „Er hatte aber den starken Gegenwind nicht berechnet. Kurz vor Schottland merkte er, dass kein Kerosin mehr da war, so mussten wir in Prestwick notlanden, was gerade noch so gelang. Als wir schließlich in Kopenhagen ankamen, war ich froh, es überstanden zu haben“, sagt Plass, dessen internationale Karriere nach 16 Länderspielen mit der Melbourne-Reise endete.

Er könnte ewig weitererzählen, sein Langzeitgedächtnis ist bestens in Schuss, die Namen seiner damaligen Teamkollegen kann er im Schlaf aufsagen. Sechs von ihnen, ihn eingeschlossen, leben noch, ab und an trifft man sich, zuletzt anlässlich der Europameisterschaften 2011 in Mönchengladbach. Nur noch wenige sind allerdings am aktuellen Hockeygeschehen so sehr interessiert wie der Mann, der seine Apotheke am Falkenried erst vor sieben Jahren, im Alter von 81, aufgab. Seitdem versucht er, den Ruhestand zu genießen, seine Wohnung in Alt-Osdorf ist allerdings oft verwaist, fünf Tage die Woche verbringt er bei seiner Lebensgefährtin in Ohlstedt. Die ist 89.

Hockey hat „Hänschen“ Plass einfach nie losgelassen. Seinen Söhnen Christoph, 47, und Stephan, 44, hat er diese Begeisterung vererbt. Stephan war lange ein guter Torhüter, Christoph ein passabler Verteidiger, der Medienfachmann leitet mit seiner Agentur heute die Pressearbeit des DHB. Ehefrau Ingrid, die vor 35 Jahren verstarb, und Tochter Wiebke, 45, spielten dagegen nie Hockey.

Da die Familie in Flottbek lebte, wurden die Söhne im Hamburger Polo-Club groß, der Vater jedoch hielt seinem HTHC stets die Treue, für dessen Alte Herren er noch bis in seine Siebziger hinein auflief. Er ist allerdings keiner, der sich in den Vordergrund drängt, der noch die Nähe zur aktuellen Mannschaft sucht. Er ist ein stiller Beobachter, der sich freut, wenn er alte Bekannte trifft, und der mit einiger Verwunderung erzählt, dass bis heute Autogrammwünsche eintreffen, „sogar aus China!“. Eigene Autogrammkarten hat er nie besessen, aber die meisten schicken alte Fotos, die er dann signieren soll. Das tut er gern.

Mit dem Hockey von heute, das sich fast in jeder Saison neue Regeln gibt und deshalb mit dem Sport, den er einst ausübte, nur noch wenig zu tun hat, kann Hans Plass nicht viel anfangen. „Es ist mir zu ruppig und zu athletisch geworden“, sagt er. Spieler wie sein großes Idol Kurt Weiß, den sie ehrfurchtsvoll den „weißen Inder“ nannten, der 1936 in seiner Heimat Berlin Olympiasilber gewann und nach dem Krieg viele Jahre die HTHC-Damen trainierte, gebe es heute nicht mehr. Einem wie Welthockeyspieler Tobias Hauke, dem Star des heutigen HTHC-Teams, schaut Hans Plass trotzdem gerne zu. Da Weltmeisterschaften erst Anfang der 70er-Jahre eingeführt wurden, war es ihm nie vergönnt, selber eine zu spielen. Aber natürlich wird er die aktuellen WM-Spiele der Deutschen, die Sport 1 übertragt, live vor dem Fernseher verfolgen. Mit wachem Blick und diesem Leuchten in den Augen, das seine wahre Leidenschaft verrät.