Der Schwergewichtsboxprofi aus Samoa steht vor der härtesten Aufgabe seiner Karriere. Am Sonnabend will er Dreifachweltmeister Wladimir Klitschko entthronen.

Hamburg. An den Moment, der sein Leben veränderte, hat sich Alex Leapai in den vergangenen Monaten mehrfach zurückerinnert. Mit seinem Vater schaute er am 11. November 2000 im Fernsehen seinem Landsmann David Tua dabei zu, wie dieser gegen Schwergewichtsboxweltmeister Lennox Lewis den Kampf seines Lebens lieferte. Auch wenn Tua nach Punkten verlor, war der Vater begeistert. „Das ist ein Junge, der seine Eltern stolz macht. Der tut etwas für Samoa“, sagte er. Leapai, der sich gerade ein frisches Bier geöffnet hatte, bezog diese Worte sofort auf sich. „Mein Vater hatte seine Heimat verlassen, um uns ein besseres Leben zu ermöglichen, doch alles, was ich tat, war trinken. Das durfte so nicht weitergehen.“

21 Jahre war Leapai damals alt, er hatte kaum zu träumen gewagt, irgendwann einmal Tuas Erbe antreten und um die WM-Krone im Schwergewicht boxen zu können. Dass an diesem Sonnabend (22.10 Uhr/RTL) aus dem kühnen Traum Realität wird, wenn der 34-Jährige in Oberhausen Dreifachchampion Wladimir Klitschko herausfordert, wird das öffentliche Leben in Samoa zum Erliegen bringen. Sollte Leapai die Sensation schaffen und dem 38 Jahre alten Ukrainer die erste Niederlage nach mehr als zehn Jahren zufügen, würde der 26. April zum Nationalfeiertag, zum „Alex Leapai Day“, ausgerufen werden, verriet er kürzlich dem britischen Magazin „Boxing Monthly“.

Selbstverständlich ist der bullige Kämpfer, mit 1,83 Meter Länge 15 Zentimeter kleiner als der Weltmeister, vom Erfolg der schwierigsten Mission seiner Karriere überzeugt. „Ich weiß, dass Klitschko in Deutschland nach Punkten schwer zu besiegen ist, deshalb komme ich, um ihn auszuknocken“, sagt Leapai, der in seiner seit 2004 währenden Profikarriere 30 seiner 37 Kämpfe gewann und noch nie einem Boxer von Weltklasseformat gegenüberstand. Er weiß auch, dass er in puncto Technik, Taktik und Erfahrung nicht mithalten kann mit dem jüngeren Klitschko-Bruder. Aber er bringt etwas mit, das vielen Klitschko-Gegnern spätestens nach den ersten zwei Runden im Ring mit dem Dominator des Schwergewichts abging: einen riesigen Siegeswillen. „Er wird pure Gewalt ausüben und hat nichts zu verlieren“, sagt Klitschko, „genau das macht ihn so gefährlich“.

„Lion Heart“, Löwenherz, so nennen sie ihn in der Heimat, die seit seinem zwölften Lebensjahr Australien ist. Dort, bei seinem Trainer und Manager Noel Thornberry, lernte er das Boxen, eine Amateurkarriere hat er übersprungen, auch weil ihm die Ernsthaftigkeit für das Training fehlte. Lange Zeit arbeitete er neben dem Sport als Kurierfahrer, Boxen war nur ein Nebenerwerb, seine Ernährung war so unprofessionell, dass er in den ersten Einheiten mit Thornberry oft mit dem Erbrechen kämpfen musste. Aber er wusste immer, wofür er sich schinden wollte: dafür, der Stolz seiner Landsleute zu werden.

Zwei Türsteher in Disco verprügelt

Leapai verschweigt nicht, dass es Zeiten gab, in denen er von diesem Ziel so weit entfernt war wie Australien von Oberhausen. Der Tiefpunkt war 2006 die sechsmonatige Gefängnisstrafe, die er verbüßen musste, weil er in einer Disco zwei Türsteher verprügelt hatte, die zuvor einem Landsmann mit Gewalt den Eintritt verwehrt hatten. Seine Ehefrau Theresa war im achten Monat schwanger, als er die Haft antrat, seine Eltern weinten im Gerichtssaal. Er weiß also, dass es viel Schlimmeres gibt als eine Niederlage im Boxring.

Als Underdog war er im November 2013 nach Bamberg gereist, um zum Ausscheidungskampf gegen den Russen Denis Boytsov vom Berliner Sauerland-Team anzutreten, und jeder, der ihn dort live sah, dürfte ihm gegen Klitschko kaum eine Chance einräumen. Zu langsam, zu unbeweglich, zu limitiert wirkte Leapai, der am Tag nach dem Duell im Rollstuhl über den Flughafen gefahren werden musste, weil er sich in beiden Waden Muskelrisse zugezogen hatte. Und dennoch reiste er mit einem Punktsieg zurück nach Australien und mit dem erkämpften Recht, Klitschko herausfordern zu dürfen. Was ihm das bedeutete, das bewiesen die Tränen, die ihm nach der Urteilsverkündung übers Gesicht liefen.

Wahrscheinlich wird er nicht noch einmal gewinnen am Sonnabend, seinen größten Sieg aber, den hat er ja längst in der Tasche. Das einzige, wovor er Angst habe, bekannte Alex Leapai einmal, sei der Blick seines Vaters. „Wenn er mich anstarrt, werde ich schwach“, sagt er. Der Vater wird zuschauen, wenn der Sohn sich dem großen Klitschko stellt, und es werden Blicke voller Stolz sein.