Die Hockeybrüder Jonas und Moritz Fürste sprechen über ihren gemeinsamen Weg durch die Reha nach ihren Kreuzbandrissen, die sie Anfang März innerhalb eines Tages erlitten.

Hamburg. Die Treppen hinab auf den Kunstrasenplatz des Hochschulsports der Universität Hamburg, auf dem die Fotos zum Gespräch gemacht werden, nehmen sie erstaunlich behände. Das überrascht angesichts der Tatsache, dass sich die Hockeybrüder Moritz und Jonas Fürste Anfang März beide das hintere Kreuzband des rechten Knies gerissen hatten. Moritz, 29, passierte das Malheur beim Lehrgang mit der Nationalmannschaft in Kapstadt (Südafrika) am 5. März. Jonas, 27, erwischte es nur einen Abend zuvor im Training mit dem Uhlenhorster HC in Hamburg. Sich für ein Foto auf ihre Schläger zu stützen, als wären es Gehhilfen, lehnen sie jedoch beide ab. Es würde nicht passen zur Aufbruchstimmung, die der Start in die Rehabilitation in ihnen ausgelöst hat.

Hamburger Abendblatt: Sie machen beide den Eindruck, sehr gelassen mit Ihrem Schicksal umgehen zu können. Überspielen Sie Ihre Niedergeschlagenheit, oder überwiegt drei Wochen nach den Unfällen tatsächlich der Kampfgeist, es so schnell wie möglich zurück auf den Hockeyplatz schaffen zu wollen?

Moritz Fürste: Für uns beide ist es ja nicht der erste Kreuzbandriss. Ich habe tatsächlich keine Sekunde im Selbstmitleid gebadet, weil ich das Gefühl hatte, dass jeder Tag, den ich damit vergeudet hätte, mir bei der Genesung gefehlt hätte.

Jonas Fürste: Für mich ist es ja bereits das dritte Mal, deshalb ist es ähnlich wie mit Niederlagen in wichtigen Spielen: Man lernt mit der Zeit, damit umzugehen und nicht zu glauben, dass die Welt untergeht.

Das Kuriose an Ihrer Geschichte ist ja, dass Sie Ihre Verletzungen innerhalb eines Tages erlitten haben. Wie haben Sie vom Drama um den eigenen Bruder erfahren?

Jonas: Ich hatte mich beim Training am Dienstagabend mit dem UHC verletzt, saß am Morgen danach mit meiner Mutter beim Arzt und wartete auf die Kernspintomografie, als ich über WhatsApp die Nachricht erhielt, dass Mo sich verletzt hatte. Genaues wusste ich da noch nicht. Als ich dann nachmittags das Ergebnis meiner Untersuchung hatte, war auch klar, dass Mo sich ebenfalls das hintere Kreuzband im rechten Knie gerissen hatte. Das war natürlich völlig verrückt.

Haben Sie dann sofort miteinander telefoniert?

Moritz: Nein, wir hatten nur über SMS Kontakt. Telefoniert haben wir erst mehr als eine Woche später, am Freitag, den 14. März. Aber alles, was gesagt werden musste, haben wir über SMS ausgetauscht. Man will in diesen Momenten gar nicht viel reden. Ich bin an mein Telefon kaum rangegangen, obwohl mich viele angerufen haben. Man will nicht ständig dieselbe Geschichte erzählen und dieselbe Aufmunterung hören, obwohl es alle nur gut meinen.

Was waren denn Ihre ersten Gedanken?

Jonas: Mir gingen tausend Sachen durch den Kopf. Wie lange ich pausieren muss, wo ich die Reha mache, ob ich diesmal operiert werden muss. Bis zu dem Zeitpunkt, 14 Tage nach der Verletzung, feststand, dass ich nicht operiert werde, war ich sehr geknickt. Als dann klar war, dass ich mit Mo gemeinsam die Reha machen kann, kam mein Kampfgeist zurück.

Moritz: Bei mir war das anders. Ich hatte mich vormittags verletzt, nachmittags war ich schon wieder aus dem Krankenhaus zurück und habe meinen Teamkollegen beim Länderspiel gegen Südafrika zugeschaut. Abends hatte ich ein langes Gespräch mit Bundestrainer Markus Weise, und schon da habe ich gesagt, dass ich Vollgas geben würde, um schnell wieder fit zu werden. Und am nächsten Tag hatte ich meine erste Rehabilitationseinheit. Ich hatte keine Phase, in der ich Zeit für mich gebraucht hätte, aber wahrscheinlich war es gut, dass ich so viel Ablenkung hatte, dass ich im Kreis der Nationalmannschaft war. Das hat geholfen.

Ihr gemeinsames Pech hat allerdings die gesamte Hockeyszene bewegt. Wie waren die Reaktionen, über welche haben Sie sich besonders gefreut?

Moritz: Zunächst haben Joni und ich getrennte Nachrichten bekommen, in denen wir unabhängig voneinander bedauert wurden. Aber als ich den Abendblatt-Artikel über unser gemeinsames Pech bei Facebook geteilt hatte, kamen viele Reaktionen, die uns beide betrafen. Besonders gefreut habe ich mich darüber, dass ich von fast allen internationalen Topspielern persönliche Nachrichten bekommen habe. Das zeigt mir, wie eng man im Hockey zusammenhält, trotz aller Rivalität. Sogar in Holland waren unsere Verletzungen ein großes Thema in den Medien, das hat mich echt stolz gemacht.

Jonas: Ich habe mich über jede Anteilnahme gefreut, vor allem aber darüber, dass viele ehemalige Mitspieler aus Spanien sich gemeldet haben. Dort hatte ich in der Saison 2008/09 meinen ersten Kreuzbandriss erlitten, und das haben die Jungs nicht vergessen.

Sie haben beide die Erfahrung eines Kreuzbandrisses hinter sich, Jonas sogar schon zweimal. Was ist dieses Mal anders? Fühlt es sich anders an? Geht man psychisch besser damit um?

Moritz: Ich war auch beim ersten Mal recht gefasst, deshalb glaube ich, dass es psychisch für mich keine Veränderung gibt. Körperlich war es so, dass ich sofort, als ich gestürzt war, wusste, dass etwas mit dem Kreuzband ist. Beim ersten Mal war ja das vordere Kreuzband im rechten Knie angerissen, diesmal ist es das hintere. Aber ich wusste, dass es eine schlimme Verletzung ist.

Jonas: Bei mir war es genauso, ich bin auf das Knie gefallen und wusste, dass wieder das Kreuzband in Mitleidenschaft gezogen ist. Man hat ja eine gewisse Routine entwickelt. Bei mir ist es zum Glück nur eine Teilruptur, das Band ist nicht so schwer beschädigt wie bei Mo. Deshalb kann ich auch schon voll in die Reha einsteigen und trage auch keine Schiene mehr. Mo dagegen ist in einigen Bewegungen eingeschränkt und kann deshalb noch nicht das volle Programm absolvieren.

Seit vergangenem Montag wissen Sie, wie die Reha genau aussehen wird. Beschreiben Sie doch bitte kurz das Programm und erklären Sie, was besonders anstrengend wird und wovor Sie sich am meisten fürchten.

Moritz: Wir arbeiten in einem Dreiwochenrhythmus. Die ersten drei Wochen sind die Frührehabilitation, dann gibt es drei Wochen Vollgas, dann drei Wochen hockeyspezifische Übungen. Körperlich ist das Training für den Rumpf sehr anstrengend, und die Einheiten im Wasser, das Aquajogging, das ist auch echt hart. Mental gibt es in der mittleren Phase der Reha einen Block, in dem es unheimlich hart ist, sich zum Training zu motivieren, weil die Euphorie des Anfangs weg ist und das Ende noch nicht absehbar. Aber umso besser ist es, dass ich mit Joni einen Leidensgenossen habe. Wir werden uns gegenseitig motivieren.

Jonas: Für mich ist das Härteste, dass ich neben der kraftraubenden Reha auch noch meinen Vollzeitjob im Marketing bei Carl Konferenztechnik habe. Ich bin zwar sehr dankbar dafür, dass ich mir die Zeit für die Reha nehmen darf. Aber die Zusatzbelastung ist natürlich immens. Da hat es Mo als Student, der scheinfrei ist und seine Masterarbeit vor sich herschieben kann, einfacher.

Was ist anders, wenn man mit seinem Bruder Reha macht anstatt mit anderen Leidensgenossen?

Jonas: Ich habe meine Reha oft allein durchgezogen, deshalb ist es für mich umso schöner, nun mit Mo gemeinsam zu arbeiten. Ich denke, man kann sich dadurch viel intensiver motivieren.

Moritz: Ich freue mich vor allem für Jonas, dass er jetzt am Olympiastützpunkt zum ersten Mal eine auf Leistungssportler zugeschnittene Reha machen kann. Bislang hatte er immer das Programm gemacht, das alle Kassenpatienten nach Kreuzbandrissen bekommen. Das ist nicht vergleichbar mit dem, was er jetzt bekommt. Und dass wir es gemeinsam durchziehen können, wird uns beide beflügeln.

Sie haben sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Sie, Moritz, wollen zur WM Ende Mai wieder fit sein. Sie, Jonas, haben sogar die Endrunde um die deutsche Feldmeisterschaft Anfang Mai angepeilt. Überschätzen Sie sich nicht?

Moritz: Wenn ich die WM nicht als Ziel hätte, würde ich die Reha gar nicht zu diesem Zeitpunkt machen, denn die Bundesliga beginnt erst wieder im September, dann wäre diese Belastung zu früh. Ich bin Realist, ein optimistischer Realist zwar, aber natürlich ist mir bewusst, dass es auch schiefgehen kann. Es muss ja nur passieren, dass der Rücken durch die Belastungen Probleme macht und ich eine Woche nicht trainieren kann, dann ist es vorbei mit der WM.

Manche Sportler verdrängen negative Gedanken, um sich nicht zu belasten.

Moritz: Das halte ich für Unsinn. Ich habe die Situation, dass ich es nicht zur WM schaffe, im Kopf durchgespielt. Es muss mir bewusst sein, dass ich scheitern kann, damit ich nicht mit falschen Parolen in die Reha gehe. Das Risiko ist Teil des Spiels.

Mal ehrlich: Wie oft fragen Sie sich in diesen Wochen, ob das Schicksal Ihres gemeinsamen Ausfalls auch etwas Positives haben könnte?

Jonas: Ich stelle mir keine Schicksalsfragen, aber ich sehe dennoch das Positive darin, dass ich zum ersten Mal eine professionelle Reha machen kann und danach so gestärkt sein werde, dass ich noch einige gute Jahre ohne Verletzungen haben kann.

Moritz: Ich habe für Jonas ganz ähnliche Gedanken, ich bin überzeugt, dass er stärker als je zuvor zurückkommen wird. Bei mir selbst kann ich diese Frage erst im Mai beantworten, wenn ich weiß, ob ich es zur WM schaffe. Dann werde ich wissen, ob diese Verletzung auch ihr Gutes hatte.

Wer sind in diesen schweren Wochen Ihre wichtigsten Stützen?

Moritz: Bei uns beiden die Familie, bei mir auch meine Freundin, die als Osteopathin durchaus nachfühlen kann, was ich gerade durchmache. Und dann natürlich unsere Trainer und Ärzte. Norbert Sibum vom Olympiastützpunkt, unser Athletikcoach Rainer Sonnenburg, unser UHC-Teamarzt Jörg Huhnholz und unser Vertrauensarzt Carsten Lütten. Ohne sie könnten wir gar nicht davon träumen, unsere Ziele zu erreichen.

Jonas: Ich bin unendlich dankbar, dass ich mit solchen Profis arbeiten darf. Ich habe volles Vertrauen in das Rehateam und werde alles geben, um deren Einsatz zurückzuzahlen.

Das wäre sicherlich wichtig, denn der UHC will ja auf eigener Anlage endlich den ersten Feldtitel holen. Ihre Verletzungen waren ein großer Schock für alle im Verein. Wie hart wird es für Sie, an diesem Wochenende beim Wiederbeginn der Feldsaison am Rand zu stehen und zuschauen zu müssen?

Jonas: Wir sind beide auf einer privaten Trauerveranstaltung und deshalb nicht in Hamburg, aber in den Spielen danach wird es schon extrem hart, nur zuschauen zu können. Ich habe das immer als schrecklich empfunden.

Moritz: Mir geht es da anders, ich habe kein Problem damit, den Jungs als Zuschauer die Daumen zu drücken. Aber für mich war das Härteste an meiner Verletzung der Fakt, dass die Titelchance durch unseren Ausfall nicht größer geworden ist. Dennoch glaube ich, dass die Mannschaft auch ohne uns stark genug ist, um sich für die Endrunde zu qualifizieren. Und an einem Wochenende ist dann sowieso alles möglich, zumal Joni dann ja wieder dabei sein wird. Ich bin mir sicher, dass er es zur Endrunde schaffen wird, und er wird dort so fit sein wie nie zuvor.