Der neue Trainer des Weltranglisten-Zweiten wünscht sich mehr Einfluss auf seinen Schützling während des Matches. Djokovic war zuvor überraschend gegen Stanislas Wawrinka bereits im Viertelfinale ausgeschieden.

Melbourne. Am Tag danach sind die Augenringe bei Boris Becker noch etwas größer als sonst. „Ich habe bis fünf, halb sechs kein Auge zubekommen“, berichtet Becker am Mittwoch. Der 46-Jährige sitzt in blauer Jeans und schwarzem Polo-Hemd auf der Terrasse des Spielercafés hinter der Rod Laver Arena. Obwohl sein Schützling Novak Djokovic keine 20 Stunden zuvor bei den Australian Open überraschend im Viertelfinale am Schweizer Stanislas Wawrinka gescheitert ist und Becker kaum geschlafen hat, wirkt er erstaunlich aufgeräumt.

Natürlich sei er enttäuscht, dass es mit der Titelverteidigung von Djokovic, der seit den French Open 2010 immer mindestens das Halbfinale bei einem Grand-Slam-Turnier erreicht hat, nicht geklappt hat. „Alles andere als ein Sieg ist ja erst einmal eine Niederlage“, sagt der dreimalige Wimbledonsieger. Wohlwissend, dass seine Zusammenarbeit mit Djokovic von all den neuen Duos von ehemaligen mit aktuellen Weltklassespielern am kritischsten beäugt wird. Ist es auch die riskanteste Partnerschaft? So will Becker das nicht sehen. „Das ist auch überhaupt nicht meine Denke“, sagt die deutsche Tennis-Legende, die, bevor sie im Dezember von Djokovic überraschend als Headcoach verpflichtet wurde, mehr auf den Panorama- als auf den Sportseiten der Zeitungen zu finden war.

Becker sieht den neuen Job vielmehr als große Chance, in dem Metier wieder Fuß zu fassen, in dem er als Aktiver die größten Erfolge gefeiert hat. Und es hat den Anschein, als ob ihm die neue Aufgabe gut tut. Als Becker Anfang Januar erstmals seit 15 Jahren wieder in Australien ankam, bewegte er sich schwerfällig, sein Gesicht war aufgedunsen. Zwei Wochen später erlebt man ihn wesentlich fitter und gesünder. „Ich denke, man sieht, dass ich ein, zwei Kilo weniger habe“, berichtet Becker nicht ohne Stolz. „Wir sind jeden Tag im Fitnessraum.“ Djokovic bestätigt das: „Boris arbeitet sehr hart.“

Denn beide haben einen großen Wunsch – bald gemeinsam ein paar Bälle auf dem Tennisplatz zu schlagen. Bislang beschränkt sich die Rolle des gebürtigen Leimeners auf dem Trainingscourt darauf, dass er ein paar Bälle rein spielt. Ansonsten beobachtet er und gibt Anweisungen. Doch das soll sich bald ändern. „Da ist jetzt das Turnier in Miami im März das Ziel“, erzählt Becker.

Er hat Spaß an der neuen Herausforderung, einem jahrelang nahezu perfekten Spieler dabei zu helfen, auch in Zukunft in der Weltspitze zu bleiben. Das sieht man in seinen Augen, die trotz der Müdigkeit wieder brennen, wenn er über Djokovic spricht. Das Fazit von Melbourne fällt trotz des vorzeitigen Scheiterns positiv aus. „Es war herausfordernd, anstrengend im positiven Sinne“, sagt der sechsmalige Grand-Slam-Turnier-Gewinner. Auch Djokovic lobt: „Ich bin sehr angetan von dem, was wir besprochen haben.“

Der nächste gemeinsame Auftritt ist Ende Februar beim topbesetzten Turnier in Dubai geplant. Bis dahin steht harte Arbeit auf dem Programm. „Wir werden jetzt gemeinsam ins Trainingslager gehen und zusammen daran arbeiten, dass er fit ist für den nächsten langen Teil der Saison bis Wimbledon“, berichtet Becker. Es wird die erste längere Strecke, in der das Duo zusammenarbeitet.

Danach wird man schon etwas besser beurteilen können, wie die Liaison funktioniert und welchen Einfluss Becker tatsächlich auf den Weltranglisten-Zweiten hat. „Da entscheidet sich, wer der Spieler des Jahres ist“, sagt Becker mit Blick auf die Zeit bis zu seinem Lieblingsturnier in London im Juni.

Insgesamt würde sich Becker wünschen, dass er als Trainer auch während der Spiele mehr Einfluss auf seinen Schützling hat. „Die Frage stellt sich ja, ist es nicht an der Zeit, dass Tennis wie in anderen Sportarten auch den Trainer auf der Bank erlaubt, um einfach direkter, schneller eingreifen zu können.“ Bei Djokovics Niederlage in fünf Sätzen gegen Wawrinka sehnte sich die frühere Nummer eins in ein paar Situationen danach, mit Djokovic Kontakt aufzunehmen. Doch wegen des Reglements blieb ihm nur das Leiden in der Spielerbox auf der Tribüne – und danach eine schlaflose Nacht.