Führende Handballvereine in Europa drängen auf eine Reform der Champions League. Sie soll einer Europaliga weichen. Die Pläne stellen eine akute Bedrohung für die Bundesliga dar.

Hamburg. Vor zehn Tagen war die Flens-Arena Schauplatz eines außergewöhnlichen Spektakels. Die SG Flensburg-Handewitt und der HSV Hamburg bekämpften sich nach allen Regeln der Handballkunst, manchmal sogar außerhalb davon, und 6300 Zuschauer brachten die Ränge zum Beben, als würde die deutsche Meisterschaft nur in diesem einen Spiel entschieden.

An diesem Donnerstag (19 Uhr/Eurosport) erneuert sich das Duell, aber auf dem Spiel steht ungleich weniger. Es geht um Punkte in der Champions League, doch schon vor diesem sechsten von zehn Vorrundenspieltagen gilt als ausgemacht, dass dem HSV der Gruppensieg und Flensburg der zweite Platz sicher ist. Im Achtelfinale hätten ohnehin beide im Rückspiel Heimrecht. Entsprechend verhalten ist die Kartennachfrage in Flensburg bislang.

Die Champions League, so scheint es, ist im Land der stärksten Liga der Welt nur zweitklassig. Das bekam auch der HSV zu spüren. Kaum mehr als 2000 Fans wollten die ersten Heimauftritte des Titelverteidigers gegen Velenje und Halmstad sehen – zugegeben namenlose Gegner, die es mit dem HSV weder finanziell noch sportlich aufnehmen können. Aber selbst die Toppartie gegen Flensburg am Sonnabend blieb mit 6844 Zuschauern hinter dem Hamburger Bundesligamittel (8108) zurück.

In praktisch allen anderen Handballländern Europas verhält es sich genau umgekehrt. Dort langweilen sich die Spitzenclubs in ihren heimischen Ligen in Ermangelung ernsthafter Konkurrenz, die Spiele finden oft nur wenige Hundert Zeugen. Das Interesse konzentriert sich auf die Champions League, weil man sich nur dort mit seinesgleichen messen kann – und dringend benötigtes Geld verdient.

Unter dem Druck der Wirtschaftskrise suchen Topvereine wie der FC Barcelona oder Veszprém (Ungarn) deshalb ihr Heil im Ausland. Wenn es nach ihnen geht, dann hat die Champions League in ihrer jetzigen Form, als erweiterter Europapokalwettbewerb, ausgedient. Ihnen schwebt vielmehr eine Europaliga vor, in der die Elite des Vereinshandballs unter sich bleibt.

Die Reformpläne wurden im Februar bei einem Workshop des Europaverbandes EHF mit den Clubvertretern präsentiert. Inzwischen geht es offenbar nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie. „Alle führenden Clubs sind sich darin einig, dass wir irgendwann eine Europaliga bekommen“, sagt Gerd Butzeck, Geschäftsführer des Forum Club Handball (FCH), der die Interessen der Spitzenvereine auf dem Kontinent vertritt. Strittig ist aber, welche Form diese Liga hat.

Ein Modell sieht vor, zwei Europaligen à 16 Mannschaften einzuführen: die eine für die stärksten, die zweite für etwas schwächere Teams. Damit wäre zwar ein weitgehend einheitliches Niveau gewährleistet und auch ein Modus, in dem jede Partie potenziell bedeutsam ist. Allerdings wäre es den beteiligten Mannschaften angesichts der Anzahl der Spiele praktisch unmöglich, noch am heimischen Spielbetrieb teilzunehmen. Es sei denn, sie würden erst in einer Play-off-Runde in die nationale Meisterschaft einsteigen. Ein Modus, der offenbar ernsthaft erwogen wird.

Vor den möglichen Folgen hat Bob Hanning, der Manager der Füchse Berlin und Leistungssportchef des Deutschen Handball-Bundes, in einem Interview mit dem Abendblatt eindringlich gewarnt: „Die Gefahr, dass die Bundesliga zur Randerscheinung wird, ist groß. Wenn die Vereine in Deutschland das nicht begreifen, werden drei oder vier überleben, und der Rest ist tot.“

Entsprechend wenig Freunde hat dieses Modell in Deutschland. Selbst für den amtierenden Champions-League-Sieger HSV ist die Bundesliga die Existenzgrundlage. International lässt sich vergleichsweise wenig einnehmen. Womit wiederum niemand zufrieden ist. Dass die Champions League reformiert gehört, glaubt auch Hamburgs Geschäftsführer Christoph Wendt: „Uns liegt zum einen an verlässlichen Spielterminen. Zum anderen müsste die Gruppenphase attraktiver werden. Es gibt zu viele einseitige Spiele.“

Am 14. Dezember fällt die Entscheidung

Würde eine Europaliga nur aus zwölf Vereinen bestehen, wie es ein Alternativvorschlag vorsieht, so würden womöglich wichtige Märkte wie Russland ausgeschlossen. Dies wäre kaum im Interesse der EHF Marketing, die die Champions League veranstaltet. Schon jetzt ist die europäische Eliteklasse unzureichend vermarktet, wie Butzeck moniert: „Die Champions League als Topprodukt hat insgesamt zu wenig Zuschauer, zu viel vorhersehbare Ergebnisse und in einigen Ländern auch ungenügende TV-Verträge.“ Die Ursache ist die gleiche: Das sportliche Niveau klafft zu stark auseinander.

Eine Europaliga könnte Abhilfe schaffen – und den Fall weiterer Handballhochburgen stoppen. Zuletzt mussten der dreimalige Champions-League-Sieger Atlético Madrid und der dänische Topclub AG Kopenhagen Insolvenz anmelden. Russlands Serienmeister Tschechow steckt in Finanzproblemen.

Am 14. Dezember, wenn die Exekutive der EHF anlässlich der Frauen-WM in Serbien zusammentritt, soll eine Entscheidung fallen. „Aber es ist durchaus möglich, dass der jetzige Modus bestehen bleibt“, sagt EHF-Sprecher JJ Rowland. Das wäre dann wohl das überraschendste Ergebnis.