Weltmeister Viswanathan Anand, 43, und Herausforder Magnus Carlsen, 22, aus Norwegen spielen im indischen Chennai, der Heimatstadt Anands, um die Krone des Schachs.

Hamburg. Kurz vor der Schach-WM gegen Weltmeister Viswanathan Anand, die am Sonnabend im indischen Chennai (Madras) beginnt, hat Magnus Carlsen ein Video auf seine Facebook-Seite gestellt. Es zeigt ihn bei einer sogenannten Blitzpartie gegen den französischen Großmeister Laurent Fressinet, bei der beide Spieler nur fünf Minuten Bedenkzeit haben. Carlsen lacht, macht ein paar spitze Bemerkungen zu seinem Freund, „zu schlecht, zu langsam“, und das Spiel endet, wie viele Spiele des Norwegers enden. Als kaum noch Steine auf dem Brett sind und das Remis für Fressinet greifbar nahe scheint, findet Carlsen den Weg zum Sieg. Sein König marschiert im Triumphzug in die gegnerische Stellung.

Es ist genau diese Stärke, jede Partie bis zum letzten möglichen Zug auszukämpfen, die den 22-Jährigen vor drei Jahren an die Spitze der Weltrangliste geführt hat. Neben dem Brett, das ist auf dem Video zu erkennen, liegt das Endspielwerk des Hamburger Großmeisters Karsten Müller und seines Co-Autors Frank Lamprecht. Carlsen scheint es immer wieder zu Rate gezogen zu haben, darauf deutet der sichtbar ramponierte Zustand des Buches hin. Und dass er verstanden hat, was dort auf mehreren hundert Seiten geschrieben steht, haben die führenden Schachprofis der Welt in den vergangenen Jahren oft leidvoll erfahren müssen.

Computer dominieren heute das Spitzenschach. Kein Großmeister setzt sich noch ans Brett, ohne zuvor die von ihm angestrebten Positionen von einem dieser unfassbar schnellen Brüter geprüft zu haben, die inzwischen jedem menschlichen Hirn weit überlegen sind. Auch Carlsen und seine Helfer bedienen sich dieser Erkenntnisse. Doch der Norweger trohnte wohl nicht einsam über dem Rest der Schachwelt, hätte er nicht auch die Schachliteratur, hier vor allem die Klassiker aus hundert Jahren, eingehend studiert. „Ich bin nicht eines dieser Computer-Kids“, sagt Carlsen gern. Es ist diese Mischung aus fundiertem Grundlagenwissen und dem daraus resultieren intelligenten Zugriff auf Datenbanken, die sein außergewöhnliches Schachverständnis geprägt hat.

Viswanathan Anand, 43, Weltmeister seit 2007, in vielen Zweikämpfen erprobt, weiß, dass Carlsen trotz Heimvorteils seine größte Herausforderung wird. Der Spielort in einem Fünf-Sterne-Hotel in Chennai ist nur 15 Autominuten von Anands Haus entfernt. Zwei Monate lang hatte sich der in der Szene beliebte Inder in seiner Eigentumswohnung in Bad Soden bei Frankfurt am Main auf das Duell der Generationen vorbereitet. Und wenn es im Spiel Carlsens Schwächen geben sollte, die anspruchslose Spieleröffnung mit den weißen Steinen wäre vermutlich so eine, Anand und sein hochkarätig besetztes Team werden sie herausgefunden haben.

Schach mag Wissenschaft und Kunst sein, wenn sich aber zwei Koryphäen dieser außergewöhnlichen Klasse gegenüber sitzen, ist es auch Sport. Zwölf Partien sind für diesen Wettkampf angesetzt, der mit 1,85 Millionen Euro dotiert ist, 1,1 Millionen erhält der Sieger. Die körperliche Fitness könnte entscheiden, und Carlsen wird Anand nicht zusätzliche Muße verschaffen, indem er frühzeitig die Kampfhandlungen einstellt und in eine Punktteilung einwilligt. Anand hat in den vergangenen Jahren, in denen er auf Platz acht der Weltrangliste zurückfiel, immer wieder unter gedanklichen Aussetzern gelitten, die zu unnötigen Niederlagen führten. Gegen Carlsen kann er sich diese Patzer nicht leisten. „Ich muss in Topform sein, und ich habe alles getan, um in Topform bin“, sagte Anand bei der Eröffnungsfeier. Carlsen grinste derweil. „Ich weiß, dass ich der Favorit bin, und ich kann mit dieser Rolle sehr gut leben.“