Deutschland startet diesen Sonnabend mit sechs Debütanten in die Handball-WM im spanischen Städtchen Granollers.

Granollers. Ist der Standort ein Omen? An Granollers, ein beschauliches 60.000-Einwohner-Städtchen 30 Kilometer nordöstlich von Barcelona, hat der deutsche Handball nicht die allerbesten Erinnerungen. Hier erlebte die Nationalmannschaft, just wiedervereinigt, vor gut 21 Jahren eine der größten Pleiten ihrer Geschichte. Im Palacio de Deportes setzte es herbe Niederlagen beim olympischen Turnier von Barcelona. Und das Team von Bundestrainer Horst Bredemeier machte zu allem Überfluss hässliche Schlagzeilen, als nach Saufgelagen Kühlschränke aus den Zimmern der Spieler flogen. Bredemeier trat noch während des Turniers zurück.

Der gleiche Mann fungiert nun als Delegationschef der deutschen Nationalmannschaft, die seit Donnerstag in Spanien ist und an diesem Sonnabend (16 Uhr/ARD) gegen Brasilien ihr Auftaktmatch bei der 23. WM bestreitet. Am Sonntag (17.20 Uhr/ZDF) folgt die Partie gegen Afrikameister Tunesien.

Bredemeier meidet, welch Überraschung, die Vergleiche mit 1992. Er erinnert lieber an die WM, die ein Jahr später in Schweden ausgetragen wurde. Auch damals sei die Mannschaft unerfahren gewesen, habe aber unbekümmert gespielt und die Fachwelt mit einem sechsten Platz überrascht. "Das war die Geburtsstunde von Leuten wie Christian Schwarzer und Volker Zerbe", erzählt der Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes (DHB).

Solch große Namen hat der deutsche Handball derzeit nicht zu bieten. Entsprechend niedrig sind die Erwartungen. Bredemeier spricht angesichts von sechs WM-Debütanten von einer "heiklen Mission". Bundestrainer Martin Heuberger flehte nach dem letzten 35:25-Sieg im Testspiel am Mittwoch gegen Rumänien in Stuttgart geradezu um mehr Zeit: "Wir müssen die Mannschaft in Ruhe aufbauen, dann werden wir vielleicht irgendwann wieder ganz vorne mitspielen." Vielleicht. Irgendwann. Die Vokabeln, die Heuberger wählt, belegen die Ungewissheit, die die Reise nach Spanien begleitet.

Die Fakten lassen Böses erahnen. Stefan Kneer (Magdeburg), Adrian Pfahl (Gummersbach), Michael Haaß (Göppingen) und Martin Strobel (Lemgo) haben noch nie eine Champions-League-Partie bestritten. Torwart Silvio Heinevetter (Berlin) hat bisher sein großes Potenzial bei Turnieren nicht abrufen können. Und am Kreis muss sich das Team auf Patrick Wiencek verlassen, der zwar unbestritten große Fortschritte beim THW Kiel gemacht hat, aber noch nie bei einer WM antrat.

Linksaußen Kevin Schmidt (Wetzlar) hat erst drei Länderspiele bestritten und soll nun trotzdem vor den Augen der Handballwelt die Siebenmeter für die DHB-Auswahl verwandeln. "Ob man das erste oder 100. Länderspiel macht, spielt keine Rolle. Die Jungs spielen jede Woche in der Bundesliga, die sind abgebrüht genug", sagt Regisseur Haaß trotzig. Aber auch der 29-Jährige weiß, dass viele in Deutschland einen Absturz wie bei der WM 2011 (elfter Platz) befürchten.

Nur einer hat überraschend verkündet, dass die Mannschaft "nicht weit weg von der Weltspitze" sei: DHB-Manager Heiner Brand. Es gebe keine "Übermannschaft" bei diesem Turnier, selbst Olympiasieger Frankreich, Dominator der vergangenen Jahre und am nächsten Freitag der letzte deutsche Gruppengegner, sei durch den Wettskandal womöglich angeschlagen. Der einstige Bundesligastar Nikola Karabatic, der in Montpellier im Zentrum des Eklats steht, hatte schon beim olympischen Turnier in London nicht mehr die Form vorangegangener Jahre.

Die Analyse des Weltmeister-Trainers von 2007 fußt darauf, dass viele Teilnehmer, ob freiwillig oder nicht, den Beginn des neuen olympischen Zyklus genau wie Deutschland für den Neuaufbau nutzen. So muss Europameister Dänemark ohne Kreisläufer Michael Knudsen und Spielmacher Thomas Mogensen (Flensburg) antreten, die beide abgesagt haben. Kroatien verzichtet auf Regisseur Ivano Balic, den beherrschenden Spieler des vergangenen Jahrzehnts. Island, möglicher deutscher Gegner im Achtelfinale, tritt ohne seinen gealterten Rückraumstar Olafur Stefansson (Verletzung) an. Und bei Tunesien fehlt Wissem Hmam, der WM-Torschützenkönig von 2005. Ihn ersetzt auf der halblinken Position Wael Jallouz, der ab Sommer 2013 für den THW Kiel auflaufen wird.

So weit, so vielversprechend für einen Außenseiter wie Deutschland. Aber hätte die DHB-Auswahl in einem möglichen Viertelfinale auch eine Chance gegen Spanien? Gegen den Weltmeister von 2005, der mit enormer Physis das Tor von Weltklassekeeper Arpad Sterbik verteidigt und körperlich schlichtweg überlegen ist? Dieses Duell wäre problemlos mit der biblischen Auseinandersetzung zwischen David und Goliath zu vergleichen. Und selbst die hatte ja einen überraschenden Ausgang.